MieterEcho online 19.11.2021
Vorkaufsrecht gerichtlich geschreddert
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 9. November [1] hat das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten nahezu unmöglich gemacht. Wenn ein Haus zum Zeitpunkt des Verkaufs entsprechend den Milieuschutzauflagen vermietet ist, soll es nach dieser Gerichtsentscheidung für den Bezirk nicht mehr möglich sein, ein Vorkaufsrecht geltend zu machen. Damit entfällt auch das Druckmittel, mit dem manche Erwerber bisher dazu gebracht werden konnten, eine Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen und sich zum weitergehendem Schutz der Mieterinnen und Mieter zu verpflichten.
Dabei hatte die Bundesgesetzgebung im Juni diesen Jahres mit dem Baulandmobilisierungsgesetz auch Vorkäufe für Gemeinden mit angespannter Wohnungssituation erleichtert, damit sie „in zusätzlichen, städtebaulich relevanten Fällen leichter davon Gebrauch machen können“ [2]. Die Frist zur Geltendmachung des Vorkaufsrechts war von zwei auf drei Monate verlängert worden, bei bebauten Grundstücken allerdings nur für Schrottimmobilien.
Um eine solche handelt es sich bei dem vom Urteil des BVerwG betroffenen Haus in der Heimstraße 17 im Kreuzberger Milieuschutzgebiet Chamissoplatz nicht. Die Firma Pohl & Prym hatte das Gebäude am 5. Mai 2017 für 3,4 Millionen Euro erworben und sich geweigert, eine Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen. Der Bezirk machte daraufhin sein Vorkaufsrecht zugunsten der landeseigenen WBM geltend. Dagegen klagte Pohl & Prym, unterlag jedoch in den ersten beiden Instanzen.
Unterschiedliche rechtliche Bewertungen
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) begründete sein Urteil im Oktober 2019 [3] unter anderem damit, dass – insbesondere angesichts des hohen Kaufpreises – davon auszugehen sei, dass Pohl & Prym das Haus gewinnorientiert bewirtschaften werde. Es seien mieterhöhende Maßnahmen zu erwarten, außerdem biete die Firma vor allem Eigentumswohnungen an. Daher seien „negative Folgen für die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ zu erwarten. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertige nach Ansicht des Gerichts den Vorkauf zugunsten einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft (MieterEcho online, 22.10.2019 [4]).
Nach Auskunft des BVerwG wird seine Urteilsbegründung erst in zwei Monaten veröffentlicht werden. Seine Pressemitteilung lässt jedoch vermuten, dass die soziale Ausrichtung des Milieuschutzes bei seiner Urteilsfindung keinerlei Berücksichtigung fand. Das letztinstanzliche Urteil hat bundesweit Vorkaufsrechte der öffentlichen Hand massiv eingeschränkt.
Ähnlichkeit mit Schöneberger Vorkaufsfall
Eine ähnliche Argumentation hatte der Anwalt der öffentlichen Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als Verkäufer im Verfahren um Berlins ersten Vorkaufsfall, der Schöneberger Großgörschen-/Katzlerstraße, vor dem Berliner Landgericht im März 2017 vorgetragen. Dem war das Gericht gefolgt, indem es feststellte, „dass bei wörtlicher Auslegung des Gesetzestextes ein Vorkaufsrecht im Erhaltungsgebiet nur für unbebaute Grundstücke auszuüben sei“ (MieterEcho online 27.03.2017 [5]). Der Bezirk hatte nach dem Verkauf der drei Häuser durch die BImA an die Formica GbR/Bernhard Grote sein Vorkaufsrecht zugunsten der städtischen Gewobag ausgeübt, unterlag jedoch auch in der zweiten Instanz vor dem Kammergericht (MieterEcho 412, Oktober 2020 [6]), das eine Revision nicht zulassen wollte. Dagegen hatte das Land Berlin eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die immer noch beim Bundesgerichtshof liegt.
Das Vorkaufsrecht war nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weder hat es neue Wohnungen geschaffen, noch in nennenswertem Umfang Wohnraum schützen können. Das Kammergericht hatte in seinem Urteil im Fall Großgörschen-/Katzlerstraße auch darauf hingewiesen, dass landeseigene Unternehmen aufgrund ihrer privatrechtliche Verfasstheit auch nicht automatisch sozialer handeln würden. Für betroffene Mieter/innen war das Vorkaufsrecht trotzdem ein Rettungsanker, denn unter dem Dach eines landeseigenen oder genossenschaftlichen Unternehmens konnten sie sich sicherer fühlen. Dem wurde nun ein Riegel vorgeschoben. Es scheint, dass nur eine Änderung des Baugesetzbuchs Abhilfe schaffen könnte, mit der die Intention des Milieuschutzes abgesichert wird.
Menschenrecht auf Wohnen
Dramatisch ist das Urteil für diejenigen, deren Vorkaufsverfahren noch nicht abgeschlossen sind. Allein in Kreuzberg-Friedrichshain sind sieben Häuser betroffen. Im bezirklichen Vorkaufsrat XHain [7] unterstützen sie sich gegenseitig. Die Vernetzung wird weiterhin, und gerade jetzt wichtig bleiben. Möglicherweise sind sogar die bisher abgeschlossenen Abwendungsvereinbarungen in Gefahr und durch das Urteil des BVerW anfechtbar geworden.
Klar ist jedoch, dass ein grundsätzlich anderer Umgang mit Wohnraum notwendig wäre, denn Wohnen darf keine Ware sein. So setzt sich beispielsweise Eberhard Schultz, der als Menschenrechtsanwalt auch Betroffene vertritt, mit der von ihm gegründeten Stiftung [8] seit Jahren dafür ein, dass Deutschland endlich den UN Sozialpakt von 1966 unterzeichnet, „der längst völkerrechtlich verbindlich ist und das soziale Menschenrecht auf Wohnen festschreibt“. SPD und Grüne hätten vor der Bundestagswahl zugesichert, sich dafür einzusetzen. „Seitdem habe ich von diesem Thema in all den täglichen Meldungen über die Koalitionsverhandlungen kein Sterbenswort mehr gehört. Das halte ich für mehr als bedenklich“ betont der Jurist.
Elisabeth Voß
[1] www.bverwg.de/pm/2021/70
[2] www.bmi.bund.de/DE/themen/bauen-wohnen/stadt-wohnen/wohnungswirtschaft/baulandmobilisierung/baulandmobilisierung-artikel.html
[3] gesetze.berlin.de/bsbe/document/MWRE200000563
[4] www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/vorkaufsrecht-heimstr-17/
[5] www.bmgev.de/de/mieterecho/mieterecho-online/prozess-vorkaufsrecht-bima-groka/
[6] www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2020/me-single/article/vorkauf-gerichtlich-gekippt/
[7] www.baustelle-gemeinwohl.de/akteure/vorkaufsrat-xhain/
[8] sozialemenschenrechtsstiftung.org