MieterEcho online 27.03.2017
Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet in Frage gestellt
Am 23. März 2017 fand vor dem Berliner Landgericht der Prozess der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) gegen das Land Berlin statt. Die Bima klagt dagegen, dass der Bezirk Tempelhof-Schöneberg sein Vorkaufsrecht für die drei Häuser Großgörschenstraße 25/26/27 und Katzlerstraße 10/11 ausübte. Die Bima hatte die Gebäude am 26. Januar 2015 an die Formica GbR/Bernhard Grote verkauft.
Von der Verkaufsabsicht erfuhren die Bewohner/innen bereits Ende 2013 und organisierten sich als Interessengemeinschaft IG GroKa (1). Sie wehrten sich gegen den Verkauf an einen privaten Investor und bemühten sich, ihre Häuser mit der Genossenschaft Bremer Höhe selbst zu kaufen. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag wollte die Gebäude erwerben. Beides scheiterte jedoch an der Forderung der Bima, die einen Kaufpreis von mindestens 7,1 Mio. Euro verlangte. Dieser wäre mit den noch vergleichsweise günstigen Mieten nicht refinanzierbar gewesen.
Die Häuser liegen im Gebiet einer sozialen Erhaltungssatzung mit dem Ziel der „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ (§ 172 Abs. 1 Nr. 2. BauGB). Daher machte das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch und übte dieses Recht zugunsten der städtischen Gewobag aus. Das Bezirksamt nutzte ebenfalls die Möglichkeit, in einem solchen Fall nur den Verkehrswert zu bezahlen. Die Rechtmäßigkeit dieses Erwerbs zum günstigeren Preis als der ursprüngliche Erwerber belegte ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (2).
In der Verhandlung vor dem Landgericht, zu der viele Zuschauer/innen gekommen waren, ging es um mehrere Fragen: Durfte der Bezirk das Vorkaufsrecht zum günstigeren Verkehrswert geltend machen? Falls nein: Ist damit auch das Vorkaufsrecht hinfällig? Besteht überhaupt ein Vorkaufsrecht unter den gegebenen Voraussetzungen? Und kann nachgewiesen werden, dass die Gewobag zugesichert hat, den Zielsetzungen der Erhaltungssatzung zu folgen?
Das Gerichtsverfahren vor der dreiköpfigen Kammer für Baulandfragen des Landgerichts führte der Vorsitzende Richter Bartel. Die Bima wurde vertreten durch den Hauptstellenleiter Verkauf, Stephan Regeler, und Rechtsanwalt Clemens Lammek von der Kanzlei Dr. von Trott zu Solz und Lammek. Das Land Berlin war vertreten durch den Regierungsdirektor der Finanzverwaltung Podschus und den Stadtrat für Stadtentwicklung des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann (B90/Grüne), sowie ihren Rechtsanwalt Jörg Beckmann von der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll.
Ist das Vorkaufsrecht zum Verkehrswert rechtmäßig?
Die Formica GbR erwarb die Gebäude für 7,8 Mio Euro, das Bezirksamt setzte im Rahmen der Ausübung seines Vorkaufsrechts einen Verkehrswert von 6,35 Mio Euro an. Dies ist zulässig „wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet“ (§ 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Aber was ist eine deutliche Überschreitung? In dem hier verhandelten Fall lag der Verkaufswert nach Berechnung des Gerichts 23,41% über dem Verkehrswert – reicht das aus, um den Erwerb zum Verkehrswert zu rechtfertigen?
Dem Disput zwischen dem Vorsitzenden Richter und dem Anwalt des Landes Berlin war zu entnehmen, dass eine deutliche Überschreitung in juristischen Kommentaren bei einer Überschreitung von 20 oder 30 Prozent angenommen wird. Richter Bartel erklärte, das Gericht neige zu der Auffassung, einen Mittelwert von 25% anzusetzen. Rechtsanwalt Beckmann wies darauf hin, dass mehrheitlich von 20% ausgegangen würde, 30% sei eine Meinung eines besonders investorenfreundlichen Kommentars. Ein Mittelwert sei nicht logisch herleitbar. Hinzu käme, dass auch der absolute Wert, also die Differenz von 1,3 Mio. Euro, zu berücksichtigen sei. Das Land könne nicht einfach mehr als 1 Mio. Euro verschenken, daher sei es notwendig gewesen, von der Möglichkeit des Erwerbs zum Verkehrswert Gebrauch zu machen.
Wenn das Gericht bei seiner Auffassung bleibt, dann läge der Verkaufspreis nicht ausreichend über dem Verkehrswert, um von einem spekulativen Wert auszugehen, und dann wäre ein Erwerb zum Verkehrswert durch den Bezirk nicht gerechtfertigt gewesen.
Sind Vorkaufsrecht und Option Verkehrswert teilbare Rechtsakte?
Nach Auffassung der Bima wäre in einem solchen Fall das Vorkaufsrecht insgesamt hinfällig, weil es sich um einen einheitlichen Erwerbsvorgang gehandelt habe. Die Frist für den Bezirk sei längst abgelaufen, um ersatzweise einen Erwerb zum vollen Preis zu verlangen. Dem widersprach der Anwalt des Landes und erklärte, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht in jedem Fall ausüben wollte, notfalls auch zu einem höheren Preis. Dies sei schon deshalb folgerichtig, weil die damals zuständige Stadträtin Sibyll Klotz (B90/Grüne) mit der Ausübung des Vorkaufsrechts öffentliche Zielsetzungen im Sinne der Erhaltungsverordnung verfolgt habe, und nicht günstig Immobilien erwerben wollte. Daher handele es sich um zwei teilbare Rechtsakte, zum einen die Ausübung des Vorkaufsrechts, und zum anderen das Verlangen, dies zum Verkehrswert tun zu können. Auch hier schien der Vorsitzende Richter eher der Auffassung der Bima zu folgen.
Durfte der Bezirk das Vorkaufsrecht überhaupt ausüben?
Diese Frage wurde unter zwei Gesichtspunkten verhandelt. Zum einen sei zu klären, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk aus Sicht der Allgemeinheit notwendig sein. Dies sei abhängig davon, ob zu erkennen sei, dass der Erwerber der Erhaltungsverordnung zuwider handeln würde. Zwei Gründe dafür nannte Rechtsanwalt Beckmann: Zum einen hat sich der Erwerber Formica/Groth geweigert, die Abwendungserklärung zu unterschreiben, mit der er sich verpflichtet hätte, sich an die Auflagen des Bezirks zu halten, die den sozialen Ziele im Erhaltungsgebiet dienen. Damit hätte er den Verkauf an den Bezirks abwenden können. Zum anderen weist der überhöhte Kaufpreis darauf hin, dass ein ökonomisch bedingter Zwang zur Ertragssteigerung vorliegt.
Nicht zur Sprache kam die Kündigung des Integrationsvereins Harmonie durch den Erwerber im Februar 2016. Der Verein erfüllt eine wichtige Funktion in der Nachbarschaft und ist vom Bezirk ausdrücklich gewünscht, weswegen eine Entscheidung über die Räumungsklage der Formica gegen Harmonie im Juli 2016 vom Landgericht ausgesetzt wurde, bis über die Klage der Bima gegen das Land entschieden sei (3). Käme es zum endgültigen Verkauf an Formica, dann ginge das Angebot des Vereins für Migrant/innen und Flüchtlinge verloren, was sich im Sinne der Erhaltungsziele auch negativ auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung auswirken könnte.
Eine weitere Frage war die, ob ein bezirkliches Vorkaufsrecht für diese Häuser überhaupt möglich sei. Hier ging es um die grundlegende Auslegung des Gesetzestextes. Die Bima geht davon aus, dass ein Vorkaufsrecht nicht greift, so lange die Häuser entsprechend dem Bebauungsplan bewirtschaftet werden (§ 26 Nr. 4 BauGB), was hier der Fall sei. Der Vorsitzende Richter schien sich diese Auffassung zu eigen zu machen, indem er ausführte, dass bei wörtlicher Auslegung des Gesetzestextes ein Vorkaufsrecht im Erhaltungsgebiet nur für unbebaute Grundstücke auszuüben sei. Demgegenüber wies Anwalt Beckmann darauf hin, dass Erhaltungssatzungen ja gerade als Schutz für bebaute Gebiete aufgestellt werden. Hier scheint es ein Problem mit dem Wortlaut des Gesetzes zu geben.
Welche Zusagen machte die Gewobag?
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob sich denn die Gewobag überhaupt zur Einhaltung der Erhaltungsziele verpflichtet habe, schien es einige Unklarheiten zu geben. In der Prozessakte war die Kommunikation zwischen Bezirk und Gewobag nicht lückenlos dokumentiert, es lag jedoch eine Korrespondenz vor, aus der hervor ging, dass die Gewobag zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung bereit sei. Stadtrat Oltmann erklärte, er selbst habe die entsprechenden Gespräche mit Frau Michaelis von der Gewobag geführt. Der Anwalt des Landes beantragte eine Frist von 2 Wochen zur Nachreichung der fehlenden Unterlagen.
Das Urteil ist noch nicht gesprochen
Als der Vorsitzende Richter zum Ende der Verhandlung fragte, ob die Parteien bereit seien sich zu einigen, zum Beispiel auf einen Ankauf durch den Bezirk zu einem höheren Preis, signalisierte Rechtsanwalt Beckmann die Bereitschaft, darüber zu beraten. Von Bima-Anwalt Lammek kam jedoch eine klare Ablehnung. Die Bima habe kein Einigungsinteresse und möchte diesen Fall auch grundsätzlich geklärt haben.
Anders als es der Tagesspiegel in seinem Online-Bericht am Abend des Prozesstages behauptet (4), hat der Bezirk jedoch noch nicht verloren, denn ein Urteil wurde nicht gesprochen. Die Urteilsverkündung ist für den 26. April 2017 angesetzt (5). Es kann davon ausgegangen werden, dass es in jedem Fall zu einer Berufungsverhandlung vor dem Kammergericht kommen wird.
Wie so oft wurde der Streitfall in einer Männerrunde verhandelt. Der Vorsitzende Richter Bartel stellte abschließend fest: „es hakt an allen Ecken und Kanten“. Wäre es nicht für die Betroffenen Mieter/innen so ernst, hätte es amüsieren können, als er auf die Ausführungen der Parteien zur Höhe des Kaufpreises und den sich daraus ergebenden Konsequenzen mit ratlos wirkender Gestik feststellte: „Alle sagen A oder B“ – ja was denn sonst? Wer sich einig ist, landet nicht vor Gericht. Insgesamt konnte der Eindruck entstehen, dass der Vorsitzende Richter – mitunter fast noch intensiver als Rechtsanwalt Lammek von der Bima selbst – die Argumente gegen das bezirkliche Vorkaufsrecht ausformulierte. Schon zu Beginn, bei der Schilderung des Gegenstands der Verhandlung, sprach Bartel davon, der Bezirk habe sein Vorkaufsrecht geltend gemacht zu einem Preis „von dem er meint, es sei der Verkehrswert“. Entspringt dieser Verkehrswert also einer subjektiven Meinung, oder wie wird er ermittelt? Auf Nachfrage erläutert mir Stadtrat Jörn Oltmann, wie der Bezirk auf die 6,35 Mio. Euro kam: „Wir haben den Verkehrswert auf Basis einer Ertragswertverordnung ermittelt. Diese Ermittlung erfolgt neutral, darauf sind die Gutachter nach Wertermittlungsgesetz vereidigt.“
Grundsätzliche Bedeutung
Der Prozess stellt das kommunale Vorkaufsrecht in Erhaltungsgebieten grundsätzlich in Frage. Darüber hinaus wird hier versucht, ein gesellschaftliches Problem mit juristischen Mitteln zu bearbeiten, obwohl es politische Ursachen hat und demzufolge auch politisch gelöst werden müsste.
Die Bima als öffentliche Einrichtung des Bundes ist durch das Bima-Gesetz verpflichtet, Immobilien, die nicht vom Bund benötigt werden „wirtschaftlich zu veräußern“ (§ 1 Abs. 1 BImAG). Dies wird als Verpflichtung zu Verkäufen zum Höchstpreis ausgelegt, und füllt die Staatskasse von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Dabei werden die gesellschaftlichen Folgekosten außer Acht gelassen, die entstehen, wenn günstiger Wohnraum verschwindet, bzw. bei Freiflächen dessen Errichtung von vornherein verhindert wird. Den Kommunen nur in Erhaltungsgebieten eine Eingriffsmöglichkeit durch das Vorkaufsrecht zuzugestehen, greift zu kurz, und selbst dieses unzulängliche Instrument wird in diesem Gerichtsverfahren weitgehend in Frage gestellt.
Auf der Veranstaltung „Kaufen, um den Kiez zu erhalten?“ am 7. März 2017 im Kreuzberger SO36 erklärten Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) und der Kreuzberg-Friedrichshainer Baustadtrat Florian Schmidt (B90/Grüne), sich für die bessere Anwendbarkeit des kommunalen Vorkaufsrechts einsetzen zu wollen. Die Schärfung dieses Instruments ist wichtig und notwendig, und erfordert eine Reihe von Maßnahmen, auch auf Bundesebene. Auch das wirksamste Vorkaufsrecht kann jedoch weder eine sozial verantwortliche Wohnungspolitik ersetzen, noch frühere Fehler durch den Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände wiedergutmachen.
Von Elisabeth Voß
(1) IG GroKa: iggroka.de
(2) Das Vorkaufsrecht der Gemeinde nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Var. 2 BauGB – Die Herabsetzung des Kaufpreises, Verfasser/in: Ministerialrat Klaus Aschinger/geprüfte Rechtskandidatin Yvonne Müller, 21. April 2015: iggroka.de/wp-content/uploads/2014/12/VorkaufsrechtGemeinde_BundestagWissDienst7-3000-075-21April2015.pdf
(3) Integrationsverein kann vorerst in Schöneberg bleiben – Beitrag von Elisabeth Voß im MieterEcho 383 / September 2016: www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2016/me-single/article/integrationsverein-kann-vorerst-in-schoeneberg-bleiben.html
(4) Kein Vorkaufsrecht für die Häuser der Großgörschenstraße – Ralf Schönball im Tagesspiegel online am 23.03.2017: www.tagesspiegel.de/berlin/wohnungskauf-in-tempelhof-schoeneberg-kein-vorkaufsrecht-fuer-die-haeuser-der-grossgoerschenstrasse/19564432.html
(5) iggroka.de/termin/urteilsverkuendung-im-prozess-bima-gegen-berlin-wegen-vorkaufsrecht-fuer-grossgoerschen-katzlerstrasse/