MieterEcho 312/Oktober 2005: Europäisierung der Stadtpolitik

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MieterEcho 312/Oktober 2005

 TITEL

Europäisierung der Stadtpolitik

Kommt der Soziale Wohnungsbau unter die Räder?

Andrej Holm

Die Europäische Union prägt mit ihren Richtlinien und ihrer Orientierung auf Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum immer stärker die Entwicklung ihrer Mitgliedsstaaten. Vielfach scheinen Dienstleistungsrichtlinien, Maastrichter Kriterien und die umfangreichen Fördergelder aus den Strukturfonds die nationalstaatliche Ebene zu einem ausführenden Instrument zu degradieren. Der folgende Beitrag erläutert, welchen Einfluss die EU-Politik auf die Wohnungsversorgungssysteme in den einzelnen Staaten hat.

Da die Wohnungspolitik traditionell eine nationale Angelegenheit war, hat der Soziale Wohnungsbau in Europa viele Gesichter. Staatliche Förderprogramme, öffentliche Besitztümer und ein ganzes Paket gesetzlicher Regelungen bilden Bausteine, auf die die Wohnungspolitik zurückgreifen kann. Entsprechend haben sich in (West-)Europa auch sehr unterschiedliche Typen von sozialer Wohnungspolitik herausgebildet, die immer in direktem Zusammenhang zum jeweiligen Wohlfahrtssystem stehen.

Die verschiedenen Wohlfahrtssysteme

Sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten, die ein universelles solidarisches Versorgungsprinzip verfolgen und bei denen der Staat aus sehr hohen Steuereinnahmen zentrale Wohlfahrtsleistungen (Bildung, Gesundheit, Verkehr, Wohnen etc.) für alle Bürger/innen bereitstellt. Wohnungsbau wird in diesen Ländern allgemein gefördert, um die Bevölkerung des Landes gleichermaßen mit guten und günstigen Wohnungen auszustatten. Insbesondere Schweden, aber auch die anderen skandinavischen Länder zählen als Musterbeispiele dieses Modells.

Korporatistische Wohlfahrtsstaaten verfolgen ebenfalls ein solidarisches Versorgungsprinzip, jedoch nicht als allgemeines Bürgerrecht, sondern als Leistung für bestimmte soziale Gruppen. Die Finanzierung der Leistungen wird in der Regel - wie beim Prinzip der Kranken- bzw. Arbeitslosenversicherung - von den Gruppen selbst getragen, aber durch staatliche Zuschüsse ergänzt. Im Wohnungsversorgungsbereich setzten diese Länder vielfach auf gemeinnützige Bauträger, um auch Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen mit angemessenen Wohnungen zu versorgen. Frankreich (s. S. 16), Österreich und die Niederlande gelten als typische Vertreter dieses Systems. Der Soziale Wohnungsbau in Deutschland verfolgte zwar eine ähnliche Intention, doch unterschied sich das hiesige Modell vom Ausbau eines dauerhaft gemeinnützigen Sektors in anderen europäischen Ländern.

Liberale Wohlfahrtsstaaten sind durch eine strikte Marktorientierung der Sozialsysteme gekennzeichnet. Niedrige Steuern und geringe Abgaben stehen dabei einer Eigenverantwortung bei der sozialen Absicherung gegenüber. Für sozial schwache Haushalte gibt es ein Fürsorgenetz, das oft mit Instrumenten des Arbeitszwangs verbunden ist. Wohnungspolitik beschränkt sich in diesen Ländern meist auf die Wohnungsversorgung für die unteren Einkommensschichten. In der Regel spielen dabei die Kommunen oder die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen eine zentrale Rolle. Die Wohnungspolitik in Großbritannien gilt seit der großen Privatisierungswelle der 1980er Jahre als klassisches Beispiel für einen solchen (neo-)liberalen Trend.

Die Wohnungspolitik der BRD war lange Zeit von Tendenzen einer sozialdemokratischen Orientierung gekennzeichnet. Der Soziale Wohnungsbau - wenn auch nicht als universelles Bürgerrecht verstanden - richtete sich an "breite Schichten der Bevölkerung" (Zweites Wohnungsbaugesetz). Zugleich war der Soziale Wohnungsbau - zumindest auf programmatischer Ebene - durchgehend eigentumsorientiert. Der Bau von Mietwohnungen wurde als Übergangslösung angesehen, weil die Mehrzahl der zu versorgenden Haushalte noch nicht in der Lage war, Eigentum zu erwerben. Zudem richteten sich die Förderprogramme nicht ausschließlich an kommunale oder gemeinnützige Bauträger, sondern ganz ausdrücklich an private Bauherren (s. "Ein wohnungspolitisches Entwicklungsland"). Sozialer Wohnungsbau war so letztendlich ein Programm der Kapitalsubventionierung mit "sozialer Zwischennutzung" (s. "Nur eine soziale Zwischennutzung"). Daneben wurde in der BRD auf sehr starke Mieterschutzrechte gesetzt.

Die Wohnungspolitik in der BRD stellt damit einen europäischen Sonderfall dar. Auch in anderen Ländern, wie etwa Österreich, den Niederlanden oder Frankreich, gab und gibt es umfangreiche Förderprogramme, doch richten sich diese an kommunale oder gemeinnützige Bauträger, sodass die Fördergelder eine langfristige Auswirkung auf die Wohnungsversorgung haben.

Die Geschichte der EU-Stadtpolitik

Wie wirkt sich nun der Prozess einer Europäisierung auf diese unterschiedlichen wohnungspolitischen Traditionen aus? Die Stellung einer europäischen Stadt- und Wohnungspolitik ist seit Jahren eine umstrittene Angelegenheit. Zum einen fällt der Bereich der Stadtpolitik nicht unter die Zuständigkeit der Europäischen Union, zum anderen betreibt die Europäische Kommission seit den 1980er Jahren eine aktive Stadtpolitik. Susanne Frank, Juniorprofessorin an der Humboldt-Universität, unterscheidet drei Phasen der stadtbezogenen Aktivitäten der EU:

Ökologische Stadtpolitik: In den 1980er Jahren wurde der Umweltschutz zum offiziellen Ziel der EU-Politik erklärt. Damit öffnete sich ein Einfallstor, um die Stadtpolitik der einzelnen Mitgliedsländer zu beeinflussen, denn das internationale Verständnis von "Umwelt" ging weit über die ökologische Perspektive hinaus und umfasste auch die "städtische Umwelt". Die EU formulierte in dieser Zeit den Anspruch, ein "spezifisch europäisches Konzept für die Stadt" vorzulegen: Die normative Vision der "Europäischen Stadt" war geboren. Historisierende Idealbilder der "Europäischen Stadt" wurden den Gefahren der Stadtflucht, Zersiedelung und Deindustrialisierung gegenüber gestellt. Mit neuen Planungsmethoden und der Orientierung an traditionellen Werten (Dichte, Heterogenität und Multifunktionalität) sollte die "Europäische Stadt" gerettet werden. Ein Bestandteil dieser Entwicklungen sollte eine Angleichung der regionalen Unterschiede in der EU sein. Der Einfluss auf die Wohnungspolitik war hier allerdings eher gering.

Soziale Stadtpolitik: Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die Umweltorientierung der EU-Stadtpolitik von der so genannten Kohäsionsorientierung abgelöst. Dahinter verbarg sich das Ziel, die festgestellten Prozesse einer sozialen Spaltung in Europa und auch innerhalb der Städte zu bekämpfen. Die Kohäsionsorientierung wurde dabei als ein Gegenentwurf zur neoliberalen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik der EU verstanden. Im Maastrichter Vertrag wurde die Kohäsionspolitik zum gleichberechtigten Ziel neben Wirtschafts- und Wettbewerbsorientierung der EU erhoben. Der Europäische Strukturfonds stellte nicht unerhebliche Mittel bereit, um das Ziel einer Integration und Chancengleichheit für benachteiligte Stadtgebiete zu erreichen. Wenn auch die EU keine direkte Wohnungspolitik betrieb, mit dem Fokus auf die Quartiersebenen wurde die Wohnungsversorgung zu einem zentralen Baustein der EU-Projekte. So beteiligten sich kommunale und gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften vielfach direkt an der Umsetzung der EU-Programme und versuchten, die bereitgestellten Mittel in die Verbesserung ihrer Bestände zu lenken. Daneben erzwangen die EU-Programme oft eine Änderung der nationalen Fördermodalitäten. Da EU-Gelder immer an eine Komplementärförderung gebunden sind, werden Förderprogramme häufig so umgeschrieben und verändert, dass sie zu den EU-Vorgaben passen. In Berlin wurde so z.B. bei dem Sanierungsprogramm "Stadtweite Maßnahmen" die vorrangige Förderung von Wohnungssanierungen auf Wohnumfeldverbesserungen umgestellt. Auch die vorherige Beschränkung auf die förmlich festgelegten Sanierungsgebiete wurde aufgeweicht, sodass die Mittel auch in die Gebiete des Quartiersmanagements und des URBAN-Programms fließen konnten. Das Kohäsionsziel der EU kann dabei als Hebel für die Veränderung der nationalen Wohnungspolitiken gewertet werden. So versprechen etwa die in Großbritannien von der Regierung geförderten Housing Associations im Gegensatz zu den kommunalen Wohnungsverwaltungen (Council Housing) die bauliche und soziale Verwahrlosung aufzuhalten und eine Aufwertung der Bestände zu verwirklichen. Auch die Ausrichtung des Gesetzes über Solidarität und Stadterneuerung (SRU-Gesetz) in Frankreich entspricht der Orientierung der EU. Städte des Wettbewerbs: Die aktuelle Phase der europäischen Stadtpolitik ist vom Geist der Wettbewerbsorientierung bestimmt, wie er etwa in der so genannten "Lissabon-Strategie" aus dem Jahr 2000 deutlich wurde. Die Kohäsionspolitik wird dabei zu einem Instrument der Wettbewerbsorientierung degradiert. Sozialer Ausgleich und Zusammenhalt sind damit keine gleichberechtigten Ziele mehr, sondern nur noch erwünscht, wenn sie die Wettbewerbsfähigkeit voranbringen oder wirtschaftliches Wachstum beschleunigen. Auf der Programmebene der EU verschiebt sich im Zuge dieser Veränderungen der Schwerpunkt von krisenbetroffenen und benachteiligten Gebieten auf solche, die Entwicklungschancen im Sinne von Wirtschaftswachstum und Wettbewerb aufweisen können. Für die Wohnungspolitik bedeutet ein solcher Trendwechsel die verstärkte Hinwendung zur Eigentumsförderung und eine stärker marktförmige Gestaltung des sozialen Wohnungssektors. Wie auch hierzulande kann in vielen Ländern eine Verschiebung von der Objekt- zur Subjektförderung festgestellt werden: Wohnbeihilfen, Förderkredite, Baugelder oder Ähnliches werden - gebunden an bestimmte Einkommensgrenzen - an Haushalte ausgezahlt, damit diese sich unter den sonst unregulierten Marktbedingungen mit angemessenen Wohnungen versorgen können. Wohnungspolitisch gelten solche Förderungen als "verlorene Zuschüsse", weil sie keine langfristigen Auswirkungen auf die soziale Wohnungsversorgung haben. Österreich - traditionell ein Land mit einer sehr nachhaltigen sozialen Orientierung in der Wohnungspolitik - hat inzwischen die Vergabe von Fördermitteln an private Bauherren geöffnet.

Europa: Umkämpftes Feld einer sozialen Wohnungspolitik

Insgesamt beeinflusst die EU-Politik den Wohnungsversorgungsbereich eher indirekt, doch dadurch nicht weniger tiefgreifend. Die Wohnungspolitik - so scheinen es jedenfalls die letzten 15 Jahre zu bestätigen - vollzieht jeden inhaltlichen Schwenk der europäischen Stadtpolitik mit. Insbesondere die Fördermittel und die politische Unterstützung durch die EU scheinen wie die berühmte Karotte vor der Nase des Esels den Weg der Wohnungspolitik zu bestimmen. Doch um das inzwischen von der EU-Politik suspendierte Ziel der sozialen Kohäsion scheint sich eine Bastion einer sozialen Wohnungspolitik zu gruppieren. So stellte das SOCOHO-Projekt, ein europaweites, EU-gefördertes Forschungsvorhaben die besondere Funktion der Wohnungsversorgungssysteme für den sozialen Zusammenhalt fest. SOCOHO steht für "Social Cohesion and Housing" und bedeutet soviel wie: "Die Bedeutung des Wohnungswesens für den sozialen Zusammenhalt". Ohne eine sozial orientierte Wohnungspolitik, so die Forschergruppe, werden die Prozesse der Polarisierung und der Segregation nicht aufzuhalten sein.

Auch die CECODAS, das europäische Netzwerk der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, agiert auf europäischer Ebene. Anfang Oktober findet in Brüssel eine Konferenz mit dem Titel "Social Housing Week" ("Woche des Sozialen Wohnungsbaus") statt. Geladen sind nicht nur renommierte Referent/innen, sondern auch die Elite der EU-Funktionäre. Der Kommissionsvorsitzende Jose-Manuel Barosso selbst soll von der Wichtigkeit des Sozialen Wohnungsbaus in Europa überzeugt werden. Was dies angesichts der immer deutlicher werdenden neoliberalen Orientierung der EU-Politik bringen wird, bleibt jedoch fraglich.

Weitere Infos:

Über die aktuellen Entwicklungen des Sozialen Wohnungsbaus in Europa berichtete das MieterEcho bereits in Nr. 308 und 309.

Social Housing, UNECE-Konferenz Wien 2004
http://www.socialhousing2004.at

United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) , Committee on Human Settlements
http://www.unece.org/env/hs

SOCOHO
The Importance of Housing Systems in Safeguarding Social Cohesion in Europe
http://www.srz-gmbh.com

CECODHAS

CECODHAS, der europäische Verbindungsausschuss zur Koordinierung der sozialen Wohnungswirtschaft, ist ein gemeinnütziger Verband, der seine Mitgliedsorganisationen gegenüber den europäischen und internationalen Institutionen vertritt. Er wurde 1988 gegründet.

Kernaufgaben:

Quelle: http://www.cecodhas.org

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