MieterEcho 308/Februar 2005: UNECE-Konferenz "Social Housing"

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MieterEcho 308/Februar 2005

 SOZIALER WOHNUNGSBAU

"Social Housing" ist mehr als Sozialer Wohnungsbau

Bericht von der UNECE-Konferenz "Social Housing" vom 28.-30.11.2004 in Wien

Andrej Holm

Das Treffen in Wien wurde von der United Nation Economic Commission for Europe (UNECE), dem Committee on Human Settlements und dem Europäischen Verbindungsausschuss zur Koordinierung der sozialen Wohnungswirtschaft CECODAS einberufen. Eigentlich kein Kreis, in dem sich die Berliner MieterGemeinschaft üblicherweise verortet. Doch das Thema "Social Housing" machte uns neugierig. Dass sich hinter diesem Begriff mehr verbergen kann als der hier zu Lande zusammengekürzte "Soziale Wohnungsbau" ahnten wir. Wie die Fragen der Wohnungspolitik jedoch auf einer internationalen Ebene diskutiert werden, davon hatten wir keine Vorstellung.

Das Ziel der Konferenz war der internationale Austausch über Erfahrungen mit "Social Housing" und eine Diskussionen von Richtlinien, die als offizielles Dokument verabschiedet und veröffentlicht werden sollen. Das Wiener Treffen verstand sich als Folgeveranstaltung eines Workshops in Prag (2003). Auf der damaligen Veranstaltung wurde eine Arbeitsgruppe, die so genannte "Task-Force Social Housing", unter der Leitung von Wolfgang Förster des Wiener Magistrats gebildet. Diese Arbeitsgruppe versuchte seither, die Erfahrungen aus den einzelnen Ländern zu einem verallgemeinerbaren Grundsatzdokument ("Richtlinien") zusammenzufassen. Diese Richtlinien sollen den politischen Entscheidungsträgern eine Orientierung geben und zugleich den Interessenvertretern von Non-Government-Organisations, Bauvereinigungen und Mieterorganisationen ein Argumentationsmaterial in die Hand geben. Die Berliner MieterGemeinschaft griff das Material beherzt auf und erste Eindrücke gibt es hier zu lesen.

Im Mittelpunkt der Konferenz standen zunächst einmal Fragen: Was ist "Social Housing"? Wie lässt es sich definieren? Was ist unter Nachhaltigkeit (finanziell, sozial, ökologisch) von "Social Housing" zu verstehen? Welche politischen und administrativen Strukturen lassen sich in dem Bereich beschreiben? Nachhaltigkeit, Soziale Kohäsion, Effizienz des Managements, Partizipation - oberflächlich erinnerten die Schlagworte an die Debatten um Quartiersmanagement, Soziale Stadt und Urban 21, wie wir sie hier zur Genüge kennen. Doch wir merkten schnell, dass in vielen anderen Ländern mit diesen Phrasen eine wirklich substantielle Wohnungspolitik betrieben wird.

Was ist "Social Housing"?

"Social Housing", so Wolfgang Förster, Leiter des Referats für Wohnbauforschung und internationale Beziehungen der Wiener Stadtverwaltung, in einem der Eröffnungsbeiträge, das sei vor allem eine Frage der Belegung, der Erschwinglichkeit von Wohnungen und der Sicherheit der Mieter. Aus der Perspektive politischer Nachhaltigkeit ginge es vor allem darum, die eingesetzten Mittel effizient zu nutzen, dauerhafte Wirkungen zu erzielen, soziale Polarisierungen zu vermeiden und eine Mieterdemokratie im Sinne von Mitbestimmungsmöglichkeiten zu stärken. Dass diese Idealvorstellungen von Sozialem Wohnungsbau nicht überall erfüllt werden, war ein Ergebnis der Konferenz.

So verglich der Wiener Wissenschaftler Christian Donner die wohnungspolitischen Konzepte aus verschiedenen Ländern. Dabei stellte er eine fast verwirrende Vielfalt dessen vor, was alles unter dem Begriff "Social Housing" verstanden werden kann. In Großbritannien werden darunter in erster Linie öffentliche Bestände verstanden, die den Kommunen gehören ("Council Housing"). In Frankreich gibt es den Begriff des "Logement Social" - gemeint ist damit ein spezieller Bestand mit preiswerten Wohnungen (HLM= "Habitations à Loyer Modéré"). In Polen wird sozialer Wohnungsbau mit "Towarzystwo Budownictwa Spobecznego" (TBS) übersetzt, das sind von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften errichtete Wohnungen. Und in Deutschland und Dänemark schließlich wird unter "Sozialem Wohnungsbau" bzw. "Støttet Boling" in erster Linie Wohnungsbauförderprogramme verstanden. Um trotzdem ein bisschen Klarheit in das Begriffschaos zu bringen schlug Christian Donner vor, statt von einzelnen Programmen für einen Sozialen Wohnungsbau von einer umfassenden Sozialen Wohnungspolitik zu sprechen.

Kriterien einer solchen sozialen Wohnungspolitik versuchte Martti Lujanen vom finnischen Bauministerium zu umreißen. Sein Vorschlag war, unter "Social Housing" nicht nur eine Förderung, sondern die Summe der politischen Instrumente für eine soziale Wohnungspolitik zu verstehen. Kennzeichen dafür seien vor allem eine öffentliche Förderung, eine strenge Mietregulierung, eine Mieterauswahl nach sozialen Kriterien und Beteiligungsmöglichkeiten für die Bewohner/innen.

Die sozialen Wohnungsbestände sollten dabei nicht nur die Versorgung mit günstigen Preisen sicherstellen, sondern darüber hinaus verschiedene wohnungspolitische Funktionen erfüllen. Lujanen nennt dabei die Qualität der Gebäude, die sowohl in der Ausstattung als auch nach ökologischen Maßstäben und in der architektonischen Gestaltung Experimente ermöglichen, die der freie Markt in seiner Gewinnorientierung nicht gewährleisten kann. Darüber hinaus sollte sich eine soziale Wohnungspolitik durch ein effektives Management auszeichnen, gemeint ist dabei nicht nur eine korrekte Miet- und Betriebskostenabrechnung und ein funktionierender Hausmeisterservice, sondern eine langfristige Planung des Wohnungsbaus, der die Alterung der Gebäude und veränderte Wohnwünsche der Bewohner/innen rechtzeitig erkennt und aufgreift. Schließlich benennt Lujanen soziale Aspekte, die über bloße Versorgungsfragen hinausgehen und nach den besonderen Bedürfnissen verschiedener sozialer Gruppen fragen und einer Segregation entgegenwirken.

Wien: soziale Wohnungspolitik zum Anfassen

Vieles von diesen Vorstellungen hörte sich wie eine Wunschliste für eine bessere Wohnungspolitik an, doch auf einer Exkursion zu verschiedenen Projekten des Sozialen Wohnungsbaus in Wien wurde deutlich, dass Sozialer Wohnungsbau nicht überall ein verstaubtes Image wie in Deutschland hat. Die vorgeführten Projekte hatten in vielerlei Hinsicht einen Experimentiercharakter. Von der so genannten "Frauenwerkstatt", einem Gebäudekomplex, der ausschließlich von Frauen geplant und errichtet wurde und dadurch die weiblichen Bedürfnisse an das Wohnen stärker berücksichtigt, über Hochhäuser mit Swimmingpools auf den Dächern bis hin zu einem integrativen Wohnprojekt in dem der Anteil von Migrant/innen mindestens 50% betragen muss. Gemeinschaftsflächen und Räume für die Hausgemeinschaften spielten in allen Projekten eine zentrale Rolle. Eine solche Wohnungspolitik sei nur möglich, so Werner Faymann, der amtierende Stadtrat für Wohnungsbau und Stadterneuerung, durch "die Objektförderung und die direkte Einflussnahme durch die öffentliche Hand". Anders als in Deutschland sind die Bestände des Sozialen Wohnungsbaus in Österreich dauerhaft im Besitz der Kommunen und nicht nur durch eine begrenzte Förderung zeitlich definiert.

Nichtdestoweniger ist Wien kein wohnungspolitisches Schlaraffenland, auch dort wird bei den Baukosten und der Materialqualität gespart, auch dort sind die Wohnungen für Familien mit vielen Kindern zu klein und die Miete ist nicht umsonst. Doch bei den meisten Beteiligten war zu spüren, dass im Sozialen Wohnungsbau Häuser und Wohnungen geschaffen werden sollen, in denen Bewohner/innen leben, weil sie es wollen und nicht weil sie darauf angewiesen sind.

Negative Auswirkungen des freien Wohnungsmarkts

Die Konferenz hielt sich nicht lange mit der Bewunderung der Erfolge und gelungenen Beispiele auf, sondern versuchte, sich die Grundlagen und Voraussetzungen für eine sozial orientierte Wohnungspolitik zu erarbeiten. Die sonst so beliebten "best practice"-Beispiele wurden in das Rahmenprogramm verlagert, auf Veranstaltungen wie dieser leider keine Selbstverständlichkeit. Statt sich gegenseitig zu lobpreisen, wurden sowohl wichtige als auch komplizierte Themen wie die "institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen" und die "makro-ökonomischen Grundlagen und die Finanzierung" des Sozialen Wohnungsbaus auf die Agenda gesetzt.

Alexander Puzanov vom Moskauer Institut für Stadtökonomie, verwies auf die ökonomischen Notwendigkeiten für einen Sozialen Wohnungsbau. Anders als die Vorstellungen der deutschen Wohnungspolitik, dass Eingriffe in den Wohnungsmarkt nur vorübergehend sein dürften, bis dieser sich wieder erholt habe und seinen Versorgungsaufgaben voll gerecht werden könne, verwies Puzanov auf verschiedene Aspekte des Marktversagens und forderte eine auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete Wohnungspolitik. So verwies er auf die drei typischen Auswirkungen des Wohnungsmarkts, die einen Sozialen Wohnungsbau grundsätzlich rechtfertigen. Zum einen orientiert sich eine ausschließlich marktförmige Wohnungsversorgung immer nur an der augenblicklichen Nachfrage von Wohnungen. Veränderte Bedürfnisse spezieller sozialer Gruppen werden nicht vorausgesehen. Dadurch hat der Wohnungsmarkt die Tendenz, (zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen) zu wenig Wohnungen zu errichten. Insbesondere preiswerte Wohnungen zur Versorgung von ärmeren Gruppen der Gesellschaft lohnen sich für Investoren in der Regel auch nicht. Das Ergebnis ist schlichtweg, dass diese Wohnungen fehlen. Eine staatliche Wohnungsplanung hingegen kann dieses Problem langfristig lösen, da der Einsatz öffentlicher Mittel nicht am ökonomischen Gewinn, sondern an den politischen und sozialen Auswirkungen gemessen wird.

Zum Zweiten benennt er die Gefahr einer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, weil letztlich die Eigentümer und Wohnungsbaugesellschaften anhand bestimmter (oftmals persönlicher) Präferenzen den Zugang zu Wohnungen bestimmen. Insbesondere gesellschaftliche Randgruppen werden so von der Wohnungsversorgung ausgeschlossen. Eine öffentlich gesteuerte Wohnungsversorgung hingegen folgt in der Regel einem allgemeingültigen Versorgungsanspruch. Einschränkungen und Ausgrenzungen müssen politisch begründet werden. Versagte Ansprüche auf eine Wohnung wären damit öffentlich verhandelbar und könnten letztlich auch juristisch eingeklagt werden.

Als dritten Aspekt verweist Puzanov auf die negativen Effekte, die ein Wohnungsmarkt hervorbringt. So sei soziale Polarisierung ein logischer Effekt des Markts, weil der ja die Bewohner/innen nach ihren Einkommen und Vermögen in bessere oder eben schlechtere Wohngegenden sortiert. In den schlechtesten Quartieren konzentrieren sich dann die ärmsten Haushalte - so entsteht das klassische Slumgebiet. Für alle mit noch geringeren Einkommen bleibt nur die Obdachlosigkeit. Die sozialen Folgekosten, die für Integration, Betreuung und Gesundheitsprogramme und so weiter aufgebracht werden müssen, werden nicht von den Verursachern (den Investoren und Hausbesitzern) gezahlt, sondern aus den öffentlichen Haushalten. Deshalb sei es, so Puzanov, auch ökonomisch rational, öffentliche Gelder für den Wohnungsbau auszugeben, um solche Szenarien zu vermeiden.

Fördergelder für den Wohnungsbau und öffentlicher Besitz an Wohnhäusern sind aus dieser Perspektive kein Luxus des Sozialstaats, sondern eine Notwendigkeit für die gesellschaftliche Stabilität überhaupt. Ein solch ungebrochenes und vehementes Selbstverständnis für eine soziale Wohnungspolitik überrascht, wenn man die deutsche Debatte der Übergangslösungen und des Marktvertrauens gewohnt ist. Doch in Wien war die grundlegende Einsicht in die Notwendigkeit öffentlicher Intervention der Ausgangspunkt der Diskussion. Und insofern war auch die Berliner MieterGemeinschaft im Kreis der internationalen Debatte ganz gut aufgehoben.

Zum Weiterlesen

Sozialer Wohnbau - UNECE-Konferenz 2004, Wien
http://www.unece.org
http://www.unece.org/env/hs/welcome.html
http://www.cecodhas.org

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