MieterEcho 309/April 2005: Soziales Zentrum Bustour Leerstand

MieterEcho

MieterEcho 309/April 2005

 BERLIN

Das Objekt der Begierde

Soziale und politische Initiativen können vom Leerstand nicht profitieren

Christoph Villinger

Wie wär's mit der alten Kurt-Held-Schule in Kreuzberg am Görlitzer Park, dazu die alte Turnhalle als Konzertsaal? Alles in schönem Backstein, über den Eingängen steht noch wie vor 100 Jahren die Unterteilung nach "Knaben" und "Mädchen". Ab Sommer 2005 werden sie leer stehen. Oder vielleicht architektonisch etwas verspielter, der mit orientalischen Elementen geschmückte ehemalige Krankenhauskomplex des Bethanien in Kreuzberg an der Grenze zu Mitte? Zurzeit stehen dort über 1000 qm leer. Wenn man es etwas funktionaler will, kann man eine Schule mit riesigem Hinterhof in bestem DDR-Platten-Design mieten, direkt an der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Sie steht auch seit 2003 leer.

Zu einem guten Dutzend leer stehender öffentlicher Gebäude führte die Initiative für ein Soziales Zentrum am 03.03.2005 durch mehrere Innenstadtbezirke. Die Bustour mit etwa 40 Interessierten startete bei der vor über einem Jahr als "Soziales Zentrum" besetzten ehemaligen Kita in der Glogauer Straße 16 in Kreuzberg. Seit der Räumung steht sie wieder leer, aber zum Heizen hat der Bezirk genug Geld. Ein Vertragsabschluss scheiterte bisher vordergründig daran, dass der Bezirk Mieteinnahmen will und nicht nur die Erstattung der Bewirtschaftungskosten.

Senatsprogramm Zwischennutzung

Dabei beschloss der rot-rote Berliner Senat im November 2004 genau das Gegenteil zur "Zwischennutzung leerstehender Gebäude" (siehe MieterEcho Nr. 308). Diese können für "förderungswürdige und gemeinnützige Zwecke" an Vereine und andere Interessenten gegen Bezahlung der Unterhaltskosten vermietet werden. Allerdings steuert dies der Liegenschaftsfonds des Landes Berlin und damit sind die Bezirke faktisch in dieser Frage entmachtet. Diese zentrale Immobiliensammelstelle des Senats achtet nicht nur auf die "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" des Interessenten, sondern besonders darauf, dass "das Ziel eines Verkaufs der betreffenden Grundstücke nicht beeinträchtigt wird". Inzwischen sind "rund 8000 Objekte beim Liegenschaftsfonds gelistet", berichtete Uschi Volz-Walk von der Initiative für ein Soziales Zentrum und Moderatorin der Bustour. Doch die Nachfrage hält sich in Grenzen. Aber da auf Seiten der Politik noch immer von einem großen Immobilienboom in Berlin geträumt wird, herrsche dort laut Uschi Volz-Walk große Angst, dass "sie uns nicht mehr rauskriegen, wenn wir mal wo drin sind."

Leerstandsbesichtigung mit Bustour

Drei Stunden lang tourte der Bus durch die Stadt, vorbei an etlichen alten Schulen oder Kitas, im Gründerzeitstil oder im schönsten DDR-Schick. An jedem Gebäude brachte die kleine Reisegesellschaft Plakate an: "Leerstand von öffentlichem Eigentum - Dieses Gebäude gehört uns allen". Verursacht wird der Leerstand durch die zurückgehende Zahl von Schüler/innen, weshalb die Bezirksämter Schulen zusammenlegen. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass seit diesem Jahr eine Hort-Betreuung in den Schulen angeboten werden soll, was wiederum zur Schließung einiger Kitas führt.

So zum Beispiel in der Kreuzberger Cuvrystraße 11. Der knapp 700 qm große Bau "wäre doch was für den Anfang, wenn man sich nicht zutraut, größere Gebäude zu füllen", meinte Uschi Volz-Walk. Doch nicht nur Kitas und Schulen stehen leer. Über 1000 qm des früheren Sozialamts sind in dem ehemaligen Diakonissenkrankenhaus Bethanien am Mariannenplatz zu haben. Claudia Kessel von der "AG Zukunft Bethanien" schwärmte von dem "riesigen Potenzial, das in diesem Gebäude liegt" (siehe MieterEcho Nr. 308). Da sich in dem Gebäudekomplex schon etliche Künstlergruppen, ein Seniorencafé, die Musikschule und das Freilichtkino Kreuzberg befinden, sei der Weg zu einem generationsübergreifenden inter- und sozialkulturellen Zentrum nicht mehr weit.

Quasi gegenüber auf der anderen Seite des Bethaniendamms sind zwei riesige Gebäude der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zum sofortigen Bezug frei. Nachdenklich stand man vor einem seit 1995 leer stehendem, allerdings etwas schmucklosem Gebäude von ver.di am Michael-Kirch-Platz 4. "Von 8,5 Millionen Euro für dieses Gebäude träumt ver.di", erzählte Uschi Volz-Walk. Trotz einer Besetzung im November 2001 zeigte sich die Gewerkschaftsspitze nie zu Verhandlungen bereit, berichtete sie weiter. Doch da viele der Mitfahrenden auch Gewerkschaftsmitglieder sind, betrachtete man sich auch als "Miteigentümer". Ganz abgesehen davon, dass die nahegelegene und aufwändig modernisierte ehemalige ÖTV-Zentrale ebenfalls zum Teil leer steht. Allerdings gibt es hier durch im Keller eingedrungenes Grundwasser einige Probleme mit Schimmel.

Finanzkräftige Mieter bevorzugt

Auf dem Weg nach Prenzlauer Berg streifte man noch einen aus drei langen Plattenbauten bestehenden Schulkomplex in der Nähe des U-Bahnhofs "Märkisches Museum". Im Sommer 2005 soll auch diese Schule geschlossen werden. Eine andere ehemalige Schule wie der Plattenbau in der Fredersdorfer Straße zwischen Ostbahnhof und Frankfurter Allee soll gar "zur Wiese werden". Und in der Gertraudenstraße steht ein schönes altes Kaufhaus seit Jahren leer. Nur die direkte Nachbarschaft zum Dienstgebäude des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) verhinderte bisher eine Besetzung. Diese Nachbarschaft zieht aber andere Interessenten an. So hat die ESMT, eine private Elite-Uni für "Learning and Leading", auf deutsch "Lernen und Führen", den Zuschlag für das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR erhalten. "Umsonst und mietfrei", wie Uschi Volz-Walk zu berichten weiß. So sollte niemand aus der Politik behaupten, Mietfreiheit ginge nicht. Wenn man will, geht es ganz offensichtlich.

Der Leerstand von fünf Gebäuden eines Schulkomplexes in der Kastanienallee 82 in Prenzlauer Berg soll allerdings bald beendet sein. Als sich mehrere Genossenschaften, die Stiftung SPI (Sozialpädagogisches Institut) und gar eine Bürger/inneninitiative mit dem Namen "Forum K82" für das Gelände interessierten, vergab das Bezirksamt es kurzerhand an die private GLS-Sprachenschule als "investitionsstarkem" Bewerber in Erbpacht. Rechtsanwaltlich vertreten ließ sich die Sprachenschule unter anderem von dem Berliner Ex-Bürgermeister Eberhard Diepgen, wusste ein Vertreter der Bürger/inneninitiative zu berichten. Dagegen hatte das Konzept des "Forums K82" mit einem Stadtteilpark und einem Zentrum für selbstständige, kooperative Arbeit und Bildung offensichtlich wenig Chancen.

Auf ihrer Internet-Seite www.k82.org stellt die Bürger/inneninitiative nun einige kritische Fragen an das Bezirksamt. Warum vergibt der Bezirk "ohne jedwede Bürgerbeteiligung öffentliches Eigentum an einen privaten Investor?" Warum wird "die einmalige Chance vertan, dieses Juwel im Herzen des Quartiers dauerhaft für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen?" Jetzt fordert die Bürger/inneninitiative "die sofortige Rücknahme des Erbbaurechtsvertrags" und eine öffentliche Debatte im Bezirk über die Nachnutzung der Kastanienallee 82.

Am Ende der Bustour schwirrten den Teilnehmer/innen die Köpfe: Welches Gebäude nehmen, wenn man es kriegen könnte? Viele der Schulkomplexe wären nur mit einem großen Bündnis aus sozialen und politischen Initiativen sowie Künstlern zu füllen. Nur als es darum ging, welches Gebäude denn nun "das Schönste" sei, da waren das Bethanien und die Kurt-Held-Schule eindeutig die größten Objekte der Begierde.

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