MieterEcho 308/Februar 2005: Senat sucht Zwischennutzer

MieterEcho

MieterEcho 308/Februar 2005

 BERLIN

Senat sucht Pioniere

Zwischennutzer sollen für ökonomischen Aufschwung sorgen

Jutta Blume

Der Berlin-Boom nach Maueröffnung und Hauptstadtumzug ist ausgeblieben. Berlins Arbeitslosenquote liegt mit fast 20% weit über dem Bundesdurchschnitt. Die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt geht mit dem massenhaften Leerstand von Büro- und Gewerbeflächen einher.

Wenn man dem Berliner Senat glauben will, steckt in 'Arbeitslosen' und in 'leeren Flächen' ein enormes Potenzial: Arbeitslose sind schließlich potenzielle Existenzgründer (Ich-AGs) und diesen versucht man, ein Bedürfnis nach günstigen Geschäftsräumen schmackhaft zu machen. Die sich in prekären Situationen befindenden Kleinstunternehmer dürfen sich an vielen Orten als "Zwischennutzer" ausprobieren. Aber nicht nur leere Läden werden fleißig zwischengenutzt. Die "Zwischenpalastnutzung" im Palast der Republik zeigte, wie erfolgreich die temporäre Aktivität im leeren Raum sein kann. Der Senat sucht nun nach Zwischennutzern von allerlei brachliegenden öffentlichen Einrichtungen, vor allem am Stadtrand. Hier geht es weniger um die Erwirtschaftung von Gewinnen als darum, Betriebskosten auf private Initiativen abzuwälzen. Ob in privaten Läden oder auf öffentlichen Flächen: Zwischennutzung erhält einen Platz im ökonomischen Gefüge der Stadt.

Zwischennutzung als Dauerzustand

Pünktlich zum dreijährigen Bestehen der "Kolonie Wedding" im als Ghetto verrufenen Soldiner Kiez (s. MieterEcho Nr. 307) wird im Bezirk ein Marketingfeldzug nach dem anderen ausgerufen. Maßgeblich daran beteiligt ist die Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO, die seit Jahren leerstehende Läden im Wedding für eine künstlerische Zwischennutzung zur Verfügung stellt. Daraus entstanden ist die nunmehr auch als Verein gegründete "Kolonie Wedding": Künstler/innen betreuen im monatlichen Wechsel Ausstellungen. Inzwischen ist im Soldiner Kiez eine neue Infrastruktur am Wachsen: Studierende finden den Wedding längst nicht mehr unattraktiv. Auch dies zum Teil einer Werbeaktion der DEGEWO geschuldet: Zwei Semester lang konnten Studierende Wohnungen zum Betriebskostenpreis anmieten. Einige neue Kneipen haben eröffnet und luden kürzlich gesammelt unter dem Titel "Kurort Wedding" zum Besuch. Der Wedding entwickelt eine Corporate Identity. Mit dieser will er sich vom gentrifizierten Nachbarn Prenzlauer Berg abheben und setzt doch auf die gleichen Motoren der Entwicklung: Künstler und Studenten. Zumindest Vermieter hoffen, dass ein zahlungskräftigeres Klientel nachzieht.

Rund um die Brunnenstraße konnte man im Januar die Werke junger Modedesigner bestaunen. In leeren DEGEWO-Läden stellten sie unter dem Label "Wedding Dress" zwei Wochen lang ihre Kreationen aus. Einen Hauptgewinn für die besten Modedesigner gab es dabei auch: ein Jahr lang kostenlos ein Weddinger Ladenlokal nutzen zu dürfen. Ein Verkaufsschlager war "Wedding Dress" sicherlich nicht, die Beteiligten nutzten eher die Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren. Wie Sabine Lettmann aus Hamburg, die einmal testen wollte, wie das Berliner Publikum auf ihre Kollektionen reagiert. "Wir haben sogar etwas verkauft, obwohl wir das gar nicht erwartet hatten." Die Zwischennutzung diente als vorsichtiges Herantasten an neue Märkte.

Auch bei den Künstlern der Kolonie Wedding ist der direkte ökonomische Effekt wohl eher nebensächlich. Im Vordergrund steht, sich als Kurator auszuprobieren und damit den Lebenslauf aufzubessern. In der Regel kommen die Ladenbetreiber nicht einmal zu ihrer eigenen künstlerischen Arbeit. "Die Leute machen das nicht, um etwas zu verkaufen, es ist eher l'art pour l'art", so die Quartiersmanagerin Nicola Boelter. Obwohl die Kolonie Wedding nun schon seit drei Jahren besteht, handelt es sich um eine klassische Zwischennutzung. Die Künstler sind mit einer Frist von zwei Wochen kündbar, in den Schaufenstern hängen Schilder mit der Aufschrift: "Dieser Laden kann gemietet werden." "Tatsächlich ist es kaum vorgekommen, dass die Künstler die Läden plötzlich räumen mussten", sagt Nicola Boelter. Meistens zögen reguläre Mieter/innen erst nach, wenn die Künstler/innen die Nutzung sowieso aufgäben.

Erfolgreiche Existenzgründungen?

Künstler/innen als Vorreiter für reguläre Vermietungen waren nicht unbedingt die Zielgruppe des Quartiersmanagements Wrangelkiez, als es das "Wrangelei"-Projekt erfand. Die leeren Läden im Wrangelkiez sollten von Anfang an gezielt an Existenzgründer/innen vermittelt werden. Von den sieben Ladenlokalen, die zu Beginn des Jahres aus der Zwischennutzung in reguläre Mietverhältnisse übergegangen sind, wird schließlich nur einer ehrenamtlich genutzt: "Superhorst" in der Falckensteinstraße. Der Vereinsraum dient als offenes Wohnzimmer für die Anwohner/innen und als temporärer Ausstellungs- und Veranstaltungsort für wechselnde Gruppen. So konnten sich manche auch nicht so recht vorstellen, dass "Superhorst" mehr als eine Zwischennutzung sein würde. Ende des Jahres 2004, als die Förderung durch "Wrangelei" auslief, häuften sich die Anfragen "wann wir endlich ausziehen würden", so Vereinsmitglied Eric Eitel, um dann gleich hinzuzufügen "Superhorst bleibt." "Wir wollten nicht nur die Nestwärmer für kommerzielle Nutzer sein", bekräftigt Anna Bernegg. Denn ein Leerstandsproblem gibt es im Wrangelkiez inzwischen nicht mehr.

"Wrangelei" war nur bedingt ein Zwischennutzungsprojekt. Wie in anderen Quartiersmanagementgebieten auch, war es im Wrangelkiez ein Ziel, leer stehende Ladenflächen neuen Nutzungen zuzuführen. Wenn bei dem Projekt "Wrangelei" auch zunächst kurzfristige Mietverträge ausgehandelt wurden, so ging es doch darum, die Existenzgründer, die sich in diesen Läden ansiedelten, im Kiez zu halten. Das ist auch gelungen: Sechs der sieben geförderten Läden haben ihre Mietverträge in reguläre umgewandelt. In den vergangenen zwei Jahren erhielten die neuen Ladenbetreiber Mietkostenzuschüsse zunächst von 50%, im zweiten Jahr von 25%. Die Miethöhe von 8 Euro/qm (warm) hat sich vom Beginn des Projekts bis heute nicht verändert.

"Eigentümer für Zwischenvermietung zu gewinnen, war insofern schwer, da es sich im Wrangelkiez um private Hauseigentümer handelt, die zum Teil schon recht alt sind. Die sind schwer für neue Ansätze zu begeistern. Viele der Eigentümer wohnen auch nicht in Berlin, und die Hausverwaltungen interessiert nicht, ob der Laden leer ist. Die Hausverwaltungen wollen ihren festen Preis haben, je nach Renovierungszustand zwischen 8 und 12 Euro", beschreibt Quartiersmanagerin Yolanda Arias die schwierige Suche nach geeigneten Räumen.

Die Verhandlungen führte allerdings nicht das Quartiersmanagement direkt, sondern beauftragte damit die Firma Spielfeld Kulturkonsultationen. Diese trat dann als Generalmieterin auf und vermietete die Räume an die einzelnen Betreiber unter. Nach Ablauf der Förderung wurden die Untermietverträge in reguläre Mietverträge umgewandelt.

Für Carmen Reiz von Spielfeld Kulturkonsultationen hat sich die Vermittlung von Gewerbeflächen in den Quartiersmanagementgebieten Wrangelkiez und Boxhagener Platz inzwischen auch zur persönlichen Erfolgsstory verwandelt. Momentan vermittelt sie Zwischennutzer/innen für ein altes Fabrikgebäude in der Rungestraße in Mitte. Dort vermietet sie Büros von 13 bis 40 qm für eine Warmmiete um 5 Euro/qm inklusive Strom und Heizung. Die Verträge laufen in der Regel ein Jahr, danach wird mit höheren Mietpreisen zu rechnen sein. Sie hätte keine Probleme, Mieter/innen für dieses Objekt zu finden, berichtet Carmen Reiz. "Durch bezahlbare Mieten wagen viele den ersten Schritt in die Selbständigkeit. Unsere Zielgruppe ist wenig raumgebunden, oft reicht ihnen ein Laptop und ein Schreibtisch." Carmen Reiz, die auch das Maria am Ostbahnhof mitgegründet hat, ist überzeugt, dass diese Leute auch in die Außenbezirke ziehen würden, vorausgesetzt allerdings, dass sie in der Innenstadt keine Räume mehr zu diesen Preisen finden.

Vom Senat erforscht

Im Januar gab der Liegenschaftsfonds Berlin bekannt, die landeseigenen Immobilien nun vermehrt auch Zwischennutzungen zuführen zu wollen. Pressesprecherin Anette Mischler klingt allerdings nicht ganz so überzeugt von der neuen Linie. Viele Immobilien des Landes befänden sich in so schlechtem Zustand, dass sie auch für Zwischennutzer unattraktiv seien. Hinzu kämen immense Betriebskosten. Wer leerstehende Schulen oder Kitas nutzen möchte, müsse die Versorgung für riesige Flächen wieder anstellen lassen. Erste Interessenten gibt es trotzdem. Die Landschaftsarchitektin Anna Bernegg ist zum Beispiel mit dem Verein "Stadtversuchung" auf der Suche nach einem geeigneten Objekt für ein Landschaftsarchitekturzentrum, zum Arbeiten, zum Wohnen, zur Gestaltung der Außenanlagen und als Veranstaltungsort.

Damit könnten sie und ihre Mitstreiter den unsäglichen Titel "Raumpionier" einfangen - geprägt in universitären Zirkeln für die Pioniere der wirtschaftlichen Wiederbelebung des Wilden Ostens. "Raumpioniere" waren bisher Leute, die in aussterbenden Ortschaften in den neuen Bundesländern ihr Glück versuchten. Nach dem Willen des Senats sind die Raumpioniere nun auch in Berlin angekommen. Dort betätigen sie sich als Kleingärtner, Start-Up-Unternehmer, betreiben soziale Projekte oder die im vergangenen Sommer aller Orten aus dem Boden geschossenen Stadtstrände. Unter dem Titel "Raumpioniere Berlin" erfasste die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung brachliegende Flächen und ihre Nutzungen. Eine besondere Konzentration von Zwischennutzungen konnte im Spreeraum in der Nähe der Oberbaumbrücke festgestellt werden. Am Stadtrand mussten die Zwischennutzungen eher durch den Bezirk selbst angestoßen werden. So rief Marzahn die Initiative "Tausche Fläche gegen Nutzungsidee" ins Leben und stellte für die Vermittlungstätigkeit einen eigenen Mitarbeiter zur Verfügung. "Wir wollen herausfinden, ob jeder Bezirk so eine Stelle braucht", sagt Ursula Renker von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Zwischennutzer/innen seien zum größten Teil Existenzgründer/innen. "Nur der kleinere Teil der Nutzungen ist ehrenamtlich." Ob von den Zwischennutzungen ökonomische Impulse für die Stadt zu erwarten sind, bleibt fraglich. Die Zwischennutzer/innen selbst bleiben wahrscheinlich in einer prekären Situation, auch wenn sie zur "Aufwertung" einiger Quartiere beitragen.

Glossar

Corporate Identity: (engl., Abk. CI) bezeichnet die Firmenphilosophie und das äußere Erscheinungsbild eines Unternehmens.

Gentrifizierung: Ökonomische und soziale Aufwertung von städtischen, armen und häufig zuvor dem Verfall preisgegebenen Wohnquartieren. Die Aufwertung erfolgt durch Modernisierungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und dem damit verbundenen Zuzug Besserverdienender. Die veränderten ökonomischen und soziokulturellen Bedingungen führen zur Abwanderung der alteingesessenen niedrigverdienenden Bewohnerschaft.

L'art pour l'art: (frz.) wörtlich "Die Kunst um der Kunst willen". Die Redewendung bedeutet, dass etwas um der Sache selbst willen getan wird, ohne Nutzen daraus zu ziehen.

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