Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Koalitionsvertrag 2021 der neuen rot-grün-roten Landesregierung

Von Rechtsanwalt Marek Schauer

RA Marek Schauer


Endlich eine neue Regierung in Berlin! Werden wir in Zukunft weniger mühselig arbeiten müssen und in der dadurch gewonnenen Freizeit gleichzeitig unsere lebensnotwendigen wie darüber hinausgehenden Bedürfnisse entspannt befriedigen können?

Nein. Das ist ja auch nicht weiter verwunderlich. Die rot-rot-grünen Parteien haben in den letzten fünf Jahren hervorragend bewiesen, dass sie einen Staat auf Landesebene, der eine Marktwirtschaft betreut und gedeihen lässt, führen können. Und das bedeutet wie immer bei dieser Sorte Ökonomie: So lange produktiv für ein Unternehmen arbeiten wie möglich – wenn man eine Arbeit hat – wobei man das daraus resultierende Einkommen nicht selbst in der Hand hat. Miete (deren Höhe man auch nur sehr begrenzt in der Hand hat) für andere Unternehmen oder private Vermieter – wenn man eine Wohnung hat – abdrücken. Mit dem Restgeld muss man sich die daraus resultierende spärlich vorhandene Freizeit dann zurechtkalkulieren, was regelmäßig zu Lasten der eigenen Bedürfnisse geht – alles wie immer. Daran will die Regierung in Berlin jedenfalls aus meiner Sicht nichts ändern.

Das klingt trostlos, oder?

Ist es auch. Unter dem Titel „Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark.“ kann man das im Koalitionsvertrag nachlesen. Man sollte sich nicht davon täuschen lassen, dass „wirtschaftsstark“ ganz am Ende steht. Die anderen Attribute sind dem untergeordnet. Beispiel „Sozial“: Allein die Tatsache, dass es einen Sozialstaat braucht, sagt schon alles über den Verschleiß der Menschen in unserer Ökonomie und deren Armut. Wäre das kein systematischer Dauerbrenner, müsste sich ein Staatswesen das nicht zum Gegenstand machen. Sei es in der Wohnungsfrage oder bei der Sozialversicherung. Unsere Gesellschaft ist so eingerichtet, dass man ständig staatliche Hilfe benötigt, weil „die Wirtschaft“ einen in schlechte Lagen versetzt. Doch Obacht! Nur, weil es beispielsweise Wohngeld oder eine Krankenversicherung gibt, ist das kein Geschenk. Wohnungsnot und Krankheit sind ein Standortnachteil – nur deswegen ist das ein Thema für die Regierung, egal jetzt ob auf Landes- oder Bundesebene. „Vielfältig“ sollte einen bei der Gelegenheit aufhorchen lassen. Rassismus ist auch so ein Standortnachteil – wer in Ökonomie, Bildung oder Kultur abliefert, darf, wenn er oder sie es überhaupt in die Bundesrepublik geschafft hat, gerne hierbleiben und soll nicht unter den Vorurteilen deutscher Staatsangehöriger leiden.

Das sind ziemlich harte Gedanken. Jetzt aber zum Thema Mieten in Berlin: Wo kann ich da was nachlesen?

Das ist gleich Punkt 2 im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Stadtentwicklung, Bauen, Mieten“. Und die Reihenfolge ist Programm. Dort findet man zu Mieten erst etwas von Seite 14 bis Seite 17,5 (dann schließt der Punkt ab) und vorher kann man sich sehr lange mit dem Thema Bauen beschäftigen, wie die Bürgermeisterin es im Wahlkampf auch angekündigt hat. Für eine Mieterstadt wie Berlin und auch dafür, dass alle drei Parteien das Thema Miete im Wahlkampf noch mächtig auf die Agenda gesetzt haben, ist der Umfang dann doch recht spartanisch.

Wohnungsneubau schafft aber neuen Lebensraum, den die Zuziehenden und hier Lebenden benötigen und entspannt den Wohnungsmarkt, damit wir uns die Bestandswohnungen wieder leisten können, richtig?

Wenn man sich Neubaumieten leisten kann, sicher. Der Mietspiegel 2021 basiert auf Mieten der zurückliegenden vier Jahre ab 2017. Da sind die Nettokaltmieten schon überwiegend im zweistelligen Bereich. Das wird bei neuen Gebäuden dann ähnlich teuer. 

Der Neubau ist im Übrigen von der Mietpreisbremse ausgenommen. Das bedeutet, dass Vermieter dort ordentlich zulangen, ohne dass sich Mieter/innen zur Wehr setzen können. Solche Mieten können sich nur diejenigen leisten, die auch das nötige hohe Einkommen haben und das kann sich die Mehrheit der Mieter/innen bekanntlich sehr selten zurechtschustern.

Die Behauptung einer Ursächlichkeit zwischen Neubau und einem Fallen der Mietpreise im Wohnungsbestand hat mir noch nie eingeleuchtet. Erst einmal will jeder Vermieter die höchstmögliche Nettomiete aus seinen Mieter/innen herausquetschen. Die Notwendigkeit der Mietpreisbremse als Gesetz ist der Beweis dafür, sonst gäbe es sie nicht. Die Logik in dem Gedanken „Neubau lässt Bestandsmieten fallen“ ist wohl folgende: Wenn die Leute mehr Wohnungen zur Auswahl haben, dann sind sie nicht auf die Wucherpreise der Bestandsvermieter verwiesen. Umgekehrt müssten diese dann ihre Preise anpassen, damit sie ein Geschäft machen. Der Gedanke geht aber nicht auf, wenn die Neubaumieten – was ja der Fall ist – schon deutlich über den Bestandsmieten liegen. Wenn ich 15 Euro nettokalt/qm im Neubau zahle, sind
12 Euro im Bestand immer noch ein Schnäppchen. Wenn, dann macht der Gedanke nur Sinn, wenn alle Wohnungen im gleichen Preissegment liegen. Das wird jedoch nie der Fall sein, weil sich die hohen Bauinvestments sonst nicht rechnen. Das weiß übrigens auch die Regierung!

Deswegen will die Berliner Regierung bezahlbaren Wohnraum bauen und fördern?

Das ist richtig und verrückt gleichzeitig. Wenn es darum ginge, den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für alle zu decken, dann würde man konsequenterweise auch die Bedingungen dafür stellen. Die Berliner Regierenden schreiben jedoch: „Vor diesem Hintergrund hat die Koalition das erklärte Ziel, den Wohnungsneubau und die dazugehörige Infrastruktur in der Stadt mit höchster Priorität voranzubringen, um der Zielsetzung des Neubaus von 20.000 Wohnungen im Jahr zu entsprechen. Das Ziel dabei ist, möglichst die Hälfte davon in dieser Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment zu errichten.“

Was bezahlbar bedeutet, definieren selbstverständlich auch nicht diejenigen, die Miete bezahlen müssen, aber abgesehen davon ist das doch sehr weichgespült. „Möglichst“ ist schon eine Frechheit. Und bis 10.000 Wohnungen pro Jahr, also 50.000 in der Legislatur – damit tun die Regierenden gerade so, als gäbe es in den kommenden fünf Jahren lediglich 50.000 Leute, die bezahlbaren Wohnraum benötigen. „Bezahlbarer Wohnraum“ ist übrigens ein sehr verräterischer Begriff. Es verweist geradezu darauf, dass Wohnen dem Grunde nach erst einmal ein Geschäft für die Eigentümer der Wohnungen sein soll und die Belastung für die Mietenden in dieser Ökonomie eingepreist ist. Selbstverständlich ist Wohnen jedenfalls nicht. Und wer sich jenseits der sozialstaatlichen „Hilfen“ keine Wohnung leisten kann, der hat halt Pech und ist ohne Obdach. Zynisch ist daher der Satz in der Präambel des Koalitionsvertrags zu lesen: „Wir wollen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit beenden und Betroffenen eine menschenwürdige Perspektive eröffnen“ – denn Obdachlosigkeit ist unter dem Regime des Privateigentums genauso garantiert wie das Privateigentum in der Verfassung. Beendet wird die Obdachlosigkeit erst, wenn man das Geschäft mit der Wohnung los ist.

Wir leben aber nun mal im Hier und Jetzt und nicht in einer schönen Utopie! Gibt es denn realpolitische Vorschläge für die Mietenden in Berlin auf den meinetwegen 3,5 Seiten?

Die gibt es. Und sie belegen alle, in welcher Defensive sich Mieter/innen unter dem Druck des Immobiliengeschäfts befinden, aber bevor ich schon wieder anfange zu kritisieren – schauen wir uns die für mich wesentlichen Punkte einmal an: Milieuschutzgebiete sollen ausgeweitet werden. Der Datenaustausch (sic!) mit den Bezirken, wenn Wohnungskündigungen oder Zwangsräumungen anstehen, soll verbessert werden.

Die Vermieter der ehemals geförderten Wohnungen im sozialen Wohnungsbau, bei denen infolge des Wegfalls der Anschlussförderung die sehr hohe Kostenmiete und damit eine weit höhere als die Mietspiegelmiete verlangt werden kann, sollen auf letztere verpflichtet werden. Die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Berlin und den landeseigenen Wohnungsunternehmen „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“ soll fortgesetzt werden. Dies beinhaltet mieterschützende Überlegungen, die tatsächlich über bundesrechtliche mieterschützende Gesetze hinausgehen, zum Beispiel beim Thema Neuvermietung, Mieterhöhungen und sozialverträgliche Mieten bei Modernisierung. Der soziale Wohnungsbau soll ausgebaut werden, ebenso die Mietermitbestimmung – hier bleibt das Papier recht vage. Der Wohnberechtigungsschein (WBS) soll mehr Menschen zur Verfügung stehen – was ohne Wohnungen freilich auch eher ein kleiner Scherz sein dürfte.

Auf Landesebene sollen Regelungen zum Schutz vor Eigenbedarfskündigungen erlassen werden. Wie das nach dem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel – Bundesrecht vor Landesrecht – gehen soll, kann ich ehrlich gesagt nicht erklären. Die Regelungen zum Eigenbedarf im § 573 BGB sind abschließend. Aber lassen wir uns da überraschen. Konsequenterweise verfällt das Koalitionspapier wegen der Kompetenzgrenzen als Bundesland dann auch regelrecht in eine Bittstellerrolle: „Berlin wird sich im Bund weiterhin für Mieterschutz und gegen Immobilienspekulation einsetzen und – wenn nötig – dafür geeignete Bundesratsinitiativen einbringen. Die Koalition spricht sich für ein Mietenmoratorium für angespannte Wohnungsmärkte, für eine reformierte, sozial ausgewogene Modernisierungsumlage, für ein Schließen der Schutzlücken der Mietpreisbremse, für eine Verbesserung der Anwendbarkeit des Wucherparagraphen, für einen Umwandlungsvorbehalt über das Jahr 2025 hinaus, für Schutz vor Eigenbedarfskündigungen (…) aus.“ 

Ähnliche Formulierungen finden sich bei dem Passus zum baurechtlichen Vorkaufsrecht des Landes, nachdem dieses vor dem Bundesverwaltungsgericht zuletzt gescheitert ist. Die Koalition fordert entsprechend den Bund auf, eine klarstellende Regelung zu erlassen: „Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Ausübung des Vorkaufsrechts fordert die Koalition den Bund auf, eine klarstellende, rechtssichere Regelung für das vom BVerwG eingegrenzte Vorkaufsrecht sehr schnell umzusetzen, damit Berlin seine Strategie des Ankaufs von Wohnraum durch Ausübung des Vorkaufsrechts (auch preislimitiert) in sozialen Erhaltungsgebieten fortsetzen kann, um so Erwerber*innen von Wohnhäusern zum Abschluss von Abwendungsvereinbarungen zu bewegen.“

Warum ordnen Sie das jetzt alles so negativ ein?

Wie gesagt: Es zeigt, wer das Geschäft mit der Immobilie bestimmt und wer sich stets und ständig – als hätte man sonst nichts zu tun – damit herumschlagen und sich dagegen wehren muss und das ohne staatliche Hilfe nur schwer kann.

Natürlich ist es besser, bei der Howoge zu leben als bei Heimstaden oder einem dieser elenden Berliner Privatvermieter, die sich wie die Landlords benehmen, weil die Kooperationsvereinbarung des Landes mit der Howoge diese an einen Mieterschutz bindet, der bei einem privaten Vermieter so nicht existiert. Immerhin! Und wenn die Regierung ihren Fehler, die ehemals geförderten Wohnungen, die nun nach dem Wegfall der Förderung mit der Kostenmiete sehr teuer sind und weit über dem Mietspiegel liegen, wieder rückgängig macht und die Miethöhe begrenzt: Immerhin! Immerhin! – Das kann man bei nahezu jedem Projekt der Regierung die Mieter/innen betreffend sagen und gleichzeitig ist es verräterisch. Man rechtfertigt so eine ohnehin schlechte Lage, permanent mit der Gegenüberstellung einer noch schlechteren Lage statt sich mal zu fragen, wer einen in diese Lage eigentlich gebracht hat.

Können Sie denn nichts Positives vermelden? Werden die Wohnungen der großen Vermieter nicht nach dem erfolgreichen Volksentscheid von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ endlich vergesellschaftet?

Nein. Mal getrennt von der Frage, ob das auch aus fortschrittlicher Sicht als Mieter ein gutes Unterfangen war, ist das Koalitionspapier da sehr aufschlussreich: „Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des ‚Volksentscheides über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen‘ und wird verantwortungsvoll damit umgehen.“

Wenn jemand einem Respekt zollt, sollte man sehr genau hinhören. Nicht selten bedeutet dies Anerkennung der Interessen des Gegenübers unter gleichzeitiger Zurückweisung derselben. So auch hier. Mit dem Abladen des Ergebnisses des Volksentscheides in eine Expertenkommission, welche kritisch prüfen soll, ob das Anliegen verfassungskonform und finanzpolitisch stemmbar ist – obwohl die Initiatoren des Volksentscheides diesen Punkt längst fundiert positiv geklärt haben – und dem Verweis auf die letztendlich finale Entscheidungskompetenz des Landes: „Auf Basis der Empfehlungen der Expertenkommission legen die zuständigen Senatsverwaltungen im Jahr 2023 gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vor. Danach wird der Senat eine abschließende Entscheidung darüber treffen“, ist das Thema endgültig begraben worden.

 

Marek Schauer ist Rechtsanwalt und berät für die Berliner MieterGemeinschaft.
Er betreibt den Podcast „Dein gutes Mietrecht“ mietrecht.tips/podcast.

Zum Weiterlesen:
nd-aktuell.de/artikel/1158107.volksentscheide-mit-dem-grundgesetz-zur-revolution.html
Koalitionsvertrag Berlin 2021: tagesspiegel.de/berlin/rot-gruen-rot-koalitionsvertrag-berlin-2021-als-pdf-zum-download/27845258.html

 

Bitte beachten Sie: Der Beitrag wurde im MieterEcho 422 / Februar 2022 veröffentlicht und gibt die Rechtslage zum Zeitpunkt der Drucklegung wieder!


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