Entfesselter Wohnungsmarkt, hilfloser Senat
Gutachterausschuss konstatiert für 2017 ungebremste Preisexplosion für Bestandsimmobilien
Von Rainer Balcerowiak
Berlin ist nach wie vor ein Hotspot für internationale Immobilienanleger. Die Preise schießen scheinbar ungebremst in die Höhe. Das geht aus dem Ende Juli veröffentlichten Immobilienmarktbericht des Gutachterausschusses für das Jahr 2017 und das erste Quartal 2018 hervor. Der Bericht basiert auf den Daten aller in Berlin notariell beurkundeten Immobilienverkäufe.
Bei 30.770 Verkäufen wurde 2017 mit 18,2 Milliarden Euro der höchste jemals registrierte Geldumsatz auf dem Berliner Immobilienmarkt erzielt. Gegenüber dem Vorjahr bedeutete das eine Steigerung um 11%. In allen Teilmärkten gab es hohe Preissteigerungen. Mietwohnhäuser waren im Durchschnitt 16% teurer, bei Eigentumswohnungen betrug die Quote 13%. Lediglich bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist der Preisanstieg mit 9% geringer ausgefallen als im Vorjahr. Auffällig ist auch die seit Jahren zu beobachtende Veränderung der Käuferstrukturen. So stieg auch 2017 der Anteil der „Paketverkäufe“, bei denen ganze Areale den Eigentümer wechselten.
Andere Zahlen des Berichts verdeutlichen den hochspekulativen Charakter des Transaktionsgeschehens. So entsprechen die 2017 erzielten Kaufpreise für reine Mietwohnhäuser ohne gewerblichen Nutzungsanteil im Durchschnitt dem 28,8-fachen der zum Kaufzeitpunkt geltenden Jahresnettokaltmiete. 2016 betrug dieser Wert noch 25,9. Die profitable Refinanzierung einer derartigen Investition ist nur durch exorbitante Mietsteigerungen bzw. Umwandlung in Eigentumswohnungen und deren Verkauf realisierbar. Bei Wohnhäusern mit Gewerbeanteil zeigt sich eine vergleichbare Entwicklung. Bei einigen Zwangsversteigerungen wurde sogar mehr als das 40-fache der Jahresmiete gezahlt.
Die wachsende Nachfrage bei gleichzeitig unzureichendem Angebot erhöht unmittelbar den Verdrängungsdruck auf Mieter/innen. So ist die Zahl der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen binnen Jahresfrist um 25% auf 16.548 Wohnungen gestiegen. Auch beim Neubau spielen Eigentumswohnungen eine zentrale Rolle. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 15.569 Wohnungen fertiggestellt, davon 7.072 als Wohneigentum. Ein lukratives Geschäftsfeld, denn die Preise für Eigentumswohnungen sind weiterhin kräftig gestiegen.
Neuer Hotspot Wedding
Bei den Preisentwicklungen sind deutliche Verschiebungen innerhalb des Stadtgebiets zu verzeichnen. Der Markt in den alten Hotspots Prenzlauer Berg und Kreuzberg ist teilweise ausgereizt, die Zahl der Verkäufe nahm gegenüber dem Vorjahr deutlich ab und die Preise entwickelten sich auf hohem Niveau vergleichsweise moderat. Ganz anders ist die Entwicklung in Stadtteilen wie Tiergarten und Wedding. Besonders drastisch sind die Zahlen im Wedding. Die Zahl der Verkäufe erhöhte sich binnen Jahresfrist von 541 auf 981, der durchschnittliche Preis pro Quadratmeter Wohnfläche explodierte regelrecht von 2.200 auf 4.350 Euro, wobei es allerdings laut Bericht den Paketverkauf von „hochpreisigen Studentenwohnungen“ als „Sonderfaktor“ zu berücksichtigen gilt. Dennoch ist Wedding mit diesen durchschnittlichen Quadratmeterpreisen in die Spitzengruppe aufgerückt, noch vor Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Deutliche Preissprünge von mehr als 30% gab es ferner im Lichtenberger Ortsteil Rummelsburg und in Weißensee. An der Spitze der mittelfristigen Preisentwicklung steht unangefochten der Bezirk Mitte, der auch die Stadtteile Tiergarten, Moabit und Wedding umfasst. Dort wurden 2017 bei fast der Hälfte aller Verkäufe von Eigentumswohnungen Preise von mindestens 5.000 Euro/m² erzielt.
Den wachsenden Verdrängungsdruck durch Wohnungsverkäufe zeigt eine weitere Zahl. Galten regulär vermietete Eigentumswohnungen früher als regelrechte „Ladenhüter“, die nur mit deutlichen Preisabschlägen verkauft werden konnten, ist die Differenz zu bezugsfreien Objekten mittlerweile geschrumpft. Im gesamten Citybereich wurden für vermietete Wohnungen Durchschnittspreise von knapp 3.100 Euro/m² erzielt, 500 Euro mehr als im Vorjahr. Das Verkaufsgeschehen konzentriert sich stark auf einige Stadtteile. Knapp 54% aller Wohnungstransaktionen entfallen auf die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Pankow. Das sind (mit Ausnahme von Charlottenburg-Wilmersdorf) jene Bezirke, in denen sich besonders viele Milieuschutzgebiete befinden. Doch obwohl der rot-rot-grüne Senat nahezu gebetsmühlenartig predigt, dass der Erlass von sozialen Erhaltungssatzungen ein wirksamer Schutz vor Verdrängung sein könne, lässt sich in der Realität eine derartige Schutzwirkung nur in homöopathischen Dosen feststellen. Zum einen werden derartige Satzungen nur in solchen Gebieten erlassen, die ein hohes Aufwertungspotenzial aufweisen und daher für Investoren besonders interessant sind. Zum anderen greift der sogenannte Genehmigungsvorbehalt der Bezirke bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen angesichts der Bundesgesetzgebung weitgehend ins Leere. Die Abgeschlossenheitsbescheinigung für die Umwandlung muss erteilt werden, wenn sich der Hauseigentümer verpflichtet, die Wohnung in den kommenden sieben Jahren nur an die Mieter/innen zu verkaufen. Der Schutz vor Eigenbedarfskündigungen geht in Milieuschutzgebieten ohnehin nicht über die allgemein in Berlin geltende zehnjährige Kündigungssperrfrist nach Umwandlung hinaus. Und es gibt weitere Schlupflöcher, beispielsweise bei Zwangsversteigerungen.
Effektloses Vorkaufsrecht
Wenig relevant ist auch die seit Monaten medial gefeierte Anwendung des Vorkaufsrechts bei Hausverkäufen in Milieuschutzgebieten. Gerade mal 16 Häuser mit insgesamt 472 Wohnungen konnten auf diese Weise bis Ende 2017 dem spekulativen Wohnungsmarkt entzogen werden. Weitere Fälle sind noch nicht rechtskräftig entschieden. Doch selbst wenn die Bezirke in allen laufenden Verfahren obsiegen, würde die Zahl auf maximal 672 Wohnungen steigen. Die einstmals durchgreifenden Instrumente zur Mietpreisbegrenzung in Milieuschutz- und Sanierungsgebieten nach Modernisierungen, auch Mietobergrenzen genannt, wurden bereits vor Jahren durch Bundesrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung kassiert.
Die Gutachter gehen derzeit davon aus, dass Grundstücks-, Haus- und Wohnungspreise auch in den kommenden Jahren deutlich steigen werden, wenn auch mit „gebremster Dynamik“. Die Folgen für Mieter/innen und Wohnungssuchende sind entsprechend dramatisch. Laut dem im Mai veröffentlichten Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin für 2017 stieg der Mittelwert für in Berlin angebotene Wohnungen binnen Jahresfrist auf 10,15 Euro/m² nettokalt, was einer Steigerung um 12% entspricht. Im letzten Quartal lag dieser Mittelwert bereits bei 10,80 Euro/m². Auf der anderen Seite wurde nicht einmal jede zehnte Wohnung für weniger als 7 Euro/m² angeboten, in den begehrten Innenstadtlagen fast keine einzige mehr. Nur in den Beständen der sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften werden auf der Grundlage des noch vom rot-schwarzen Vorgängersenat vereinbarten Mietenbündnisses bestimmte Kontingente für WBS-Berechtigte und Transferleistungsbeziehende zu entsprechend niedrigen Preisen angeboten. Doch das ist angesichts der geringen Fluktuation und der großen Nachfrage nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Angesichts der äußerst bescheidenen Möglichkeiten des Senats zur Mietpreisdämpfung im Bestand müsste umso mehr der Fokus auf forcierten Neubau für alle Bevölkerungsschichten gelegt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. 2017 wurden gerade mal 11.470 Wohnungen im Geschosswohnungsbau fertiggestellt, davon lediglich rund 1.100 im geförderten sozialen Wohnungsbau. Dem standen in diesem Zeitraum 8.700 Sozialwohnungen gegenüber, die aus der Mietpreis- und Belegungsbindung fielen und nun frei vermietet werden dürfen. Eine Trendwende ist nicht erkennbar. Im Gegenteil. Erstmals seit 2010 sank 2017 die Zahl der erteilten Baugenehmigungen, eine Entwicklung die sich im ersten Quartal 2018 fortsetzte. Zudem werden baureife Grundstücke zunehmend regelrecht gehortet, da sie enorme Wertsteigerungen versprechen. Ähnliches gilt für Bauerwartungsland. Doch außer sorgenvollen Mienen und blumigen Ankündigungen hat der Berliner Senat bislang nichts präsentiert, was auch nur ansatzweise auf eine schnelle, nachhaltige Wende in der Wohnungspolitik hindeutet. Die soziale Zeitbombe Wohnungsnot tickt in der Hauptstadt jedenfalls immer lauter.
Zur sozialen Erhaltungsverordnung (Milieuschutz) hält die Berliner MieterGemeinschaft ein ausführliches Arbeitspapier mit dem Titel „Milieuschutz (un-)wirksam?“ bereit.
https://www.bmgev.de/politik/milieuschutz.html
Weitere Informationen:
Der Gutachterausschuss führt die Kaufpreissammlung über Grundstücksverkäufe, erstellt Verkehrswertgutachten und Berichte über den Berliner Immobilienmarkt und ermittelt jährlich die Bodenrichtwerte. Viele Daten und Informationen stehen kostenlos online zur Verfügung. https://www.berlin.de/gutachterausschuss
MieterEcho 397 / August 2018