Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Profit und Protest im Reichekiez

In der Reichenberger Straße regt sich eine Stadtteilinitiative gegen steigende Mieten und machte eine Führung durch den Kiez

Tobias Höpner
 

Für den 31. Oktober hatte die kürzlich erst gegründete Kreuzberger Stadtteilinitiative „Reichekiez von unten“ zum Kiezspaziergang eingeladen, um durch das Gebiet um die Reichenberger Straße, zwischen Görlitzer Park und Landwehrkanal, zu führen. Der Charakter einer Stadtführung wurde förmlich dadurch gesprengt, dass rund 150 Anwohner/innen und andere Interessierte teilnahmen. So wurde der Spaziergang schnell zur kleinen Demonstration, die die Wut über die steigenden Mieten im Kiez zum Ausdruck brachte.

 

Zum Auftakt zitierte die Initiative Bertolt Brecht: Man brauche doch, um die von Armut betroffenen Menschen gegen die Vermögenden aufzubringen, nur aus der Speisekarte eines luxuriösen Restaurants vorzulesen. Es wurde auf das Restaurant „Volt“ im alten Umspannwerk an der Hobrechtbrücke verwiesen, in dem schon ein Bohnensalat 14 Euro kostet.

Der gesamte Spaziergang bewegte sich thematisch zwischen Armut und Reichtum sowie der kapitalistischen Ausbeutung, die dieses Verhältnis begründet. So ging es einerseits zu einem Luxus-Penthouse in den Paul-Lincke-Höfen, das für 1,3 Millionen Euro angeboten wird, und andererseits wurde LowTec als Träger für 1-Euro-Jobs in der Reichenberger Straße 88 aufgesucht. LowTec ist daran beteiligt, Erwerbslose mit repressiven Maßnahmen beständig unter Druck zu setzen, während sie angesichts der steigenden Mieten schon lange keine Chance mehr haben, von ihrem Einkommen eine Wohnung im Reichenberger Kiez anzumieten. Eine Mieterin berichtete sogar, vom Jobcenter aufgefordert worden zu sein, fortzuziehen oder in eine kaum 45 qm große Wohnung auch noch Untermieter aufzunehmen.
 

Erfolge der Mieter/innen

Die Berliner Stadtpolitik kam nicht zu kurz. Anhand des GSG-Hofs in der Reichenberger Straße 127 klagte die Stadtteilinitiative die Privatisierungspolitik des Berliner Senats an. Schließlich war die ehemals städtische Gewerbesiedlungsgesellschaft GSG vor ein paar Jahren komplett an das börsennotierte Immobilienunternehmen Orco verkauft worden (siehe MieterEcho Nr. 321/April 2007).

Doch die Stadtteilinitiative zeigt nicht nur die bedrückenden Verhältnisse, sondern verweist auch darauf, dass immer wieder gemeinsam Erfolge erreicht werden: Zum Beispiel konnte die Hausgemeinschaft der Forster Straße 8 (siehe MieterEcho Nr. 341/Juli 2010) durch den Zusammenhalt der Mieter/innen bislang alle mietpreistreibenden Modernisierungsankündigungen der neuen Eigentümer abwehren. Und die Mieter/innen der Reichenberger Straße 119 (siehe MieterEcho Nr. 328/Juni 2008), die sich nach horrenden Forderungen von Betriebskostennachzahlungen zusammengeschlossen hatten, ließen sich gemeinsam von der Berliner MieterGemeinschaft beraten und haben seitdem allesamt keine Nachzahlung geleistet.

Auch wurden auf dem Kiezspaziergang zwei neue Stadtteilversammlungen angekündigt, eine für den Reichenberger Kiez selbst und eine weitere für den Kreuzberger Kiez rund um Kottbusser Tor, Oranienplatz und Heinrichplatz, wo sich gerade eine weitere Kiezinitiative gründet.
 

Protest nimmt zu

Insgesamt haben die drei gemeinsam geplanten Kiezspaziergänge im Kunger-, Schiller- und Reichenberger Kiez zweierlei gezeigt. Zum einen wächst mit dem zunehmenden Druck auf dem Wohnungsmarkt und den steigenden Mieten auch das Interesse an Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Zum anderen nimmt zumindest in einigen Stadtteilen die Bereitschaft deutlich zu, sich zu organisieren und gegen die Entwicklung zu protestieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich viele Mieter/innen nicht mehr verunsichern und ängstigen lassen, sondern sich gemeinsam mit anderen Betroffenen zusammenzuschließen und aktiv den Vermietern und der neoliberalen Stadtpolitik entgegen treten.
 

Weitere Infos und Kontakt:

 

MieterEcho Nr. 344 / Dezember 2010


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Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

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