MieterEcho 321/April 2007: Ein weiteres Geschenk für Investoren

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MieterEcho 321/April 2007

Quadrat PRIVATISIERUNG

Ein weiteres Geschenk für Investoren

Nach der Privatisierung der Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) drohen steigende Mieten für Gewerbetreibende

Hermann Werle

So wie mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften das Niveau der Wohnungsmieten reguliert werden kann, so konnte das Land Berlin mit der GSG als größtem Anbieter von Gewerbeflächen bislang auch auf die Gewerbemieten eine regulierende Wirkung ausüben. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen werden die negativen Folgen der Privatisierung der 42 GSG-Gewerbehöfe zu tragen haben.

Nach längerem parlamentarischen Hin und Her fiel im März die endgültige Entscheidung zur Privatisierung der GSG. Die 1965 gegründete Gesellschaft unterhält rund 750.000 qm Gewerbefläche, die rund 1200 kleine Firmen und Gewerbetreibende mit insgesamt über 12.000 Beschäftigten beherbergt. Die Bereitstellung von preisgünstigen Gewerberäumen entspricht dabei der Zielstellung, mit der die GSG vor über 40 Jahren mit ihrem ersten Gewerbehof in der Kreuzberger Blücherstraße ihre Tätigkeit aufnahm. Seither wurden diverse Gewerbehöfe aus der Gründerzeit saniert oder neu gebaut. Die hierfür eingesetzten Fördermittel von Land, Bund und Europäischer Union gewährleisteten langfristig stabile und preiswerte Mieten, und das vor allem in Bezirken, in denen Berlin seit Jahren die größten sozialen Probleme aufweist. Steigende Gewerbemieten wirken sich also unweigerlich negativ auf die sozialen Strukturen in diesen Bezirken aus, da sie die wirtschaftliche Basis kleiner Betriebe zerstören und damit Insolvenzen und wachsende Arbeitslosigkeit befördern können.

Luxus für alle?

Käufer der GSG ist die an der Börse notierte ORCO Germany Immobiliengesellschaft, eine Tochter der ORCO Property Group mit Sitz in Luxemburg. Deren Tätigkeitsfeld liegt überwiegend in Osteuropa und besteht in der Aufwertung von Wohn- und Gewerbeimmobilien. In Berlin ist ORCO u.a. im Prenzlauer Berg und in Mitte aktiv, wo z. B. die ehemaligen Fabriketagen der Fehrbelliner Höfe in Luxuslofts umgewandelt werden. Diese Art der Verwertung von Gewerbeflächen steht im Zentrum der Geschäftsphilosophie des Investors, wie unschwer aus der Selbstdarstellung zu entnehmen ist. So sei "die Fokussierung auf erstklassige Standorte und prestigeträchtige Immobilien in allen großen europäischen Städten" kennzeichnend für ORCO. Das Hauptaugenmerk des Finanzinvestors liegt dementsprechend "auf dem Erwerb, dem Management und der Veräußerung von Wohnimmobilien im Mittelklasse- und Luxussegment in Zentraleuropa, in Deutschland, Kroatien, Slowakei und Russland." Eine längerfristige oder gar luxuriöse Förderung kleiner Berliner Gewerbetreibender liegt ORCO sicherlich wenig am Herzen, denn das wird bekanntermaßen an keiner Börse der Welt honoriert.

Baden gehen mit Lederer

Herzlich willkommen ist ORCO im Club der Besserbetuchten. Seit Februar 2007 ist ORCO Mitglied im Netzwerk der Berlin Partner GmbH, die sich als zentrale Anlaufstelle für Investoren versteht, diese "bei der Ansiedlung unterstützt" und "den Standort Berlin profiliert und vermarktet." Neben dem Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) sorgen insbesondere die Vertreter der Industrie- und Handelskammer Berlin über die Berlin Partner für eine reibungslose Vermarktung der städtischen Vermögen. Die IHK begrüßte denn auch am 7. März 2007 ausdrücklich den Verkauf der GSG und vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass dies "das Signal für die Privatisierung weiterer landeseigener Unternehmen sein" sollte. Und für den Chef der Berliner Linkspartei, Klaus Lederer, gehört die Privatisierung zu den drei bedeutendsten Entschlüssen, die in den ersten 100 Tagen dieser Legislaturperiode getroffen wurden: "Die GSG-Privatisierung", so Lederer in der Berliner Zeitung vom 13. März 2007, "war eine wichtige Entscheidung. Sie bedeutet eine Stärkung der Investitionsbank, und wir bekommen Geld, mit dem wir Schwerpunkte wie die Sanierung der Bäder finanzieren können." Warum die Investitionsbank auf diesen kleinen Geldsegen nicht verzichten kann, verrät uns der Spitzenpolitiker der Linkspartei nicht. Und dass die kleinen Gewerbetreibenden, wenn sie mit ihren Betrieben baden gegangen sind, sich nicht einmal mehr ein Bad in einem der sanierten Bäder leisten können, behält er auch lieber für sich.

Ein besonderes Geschenk: "Silicon Wedding"

Doch selbst wenn die Investitionsbank Finanzmittel bräuchte und für die Sanierung der Bäder Geld benötigt würde, wäre das kein Grund für die Privatisierung der GSG und schon gar nicht zu dem geringen Preis von weniger als 300 Millionen Euro. Nach Ausführungen des finanzpolitischen Sprechers der Grünen, Jochen Esser, hätten die GSG und die Technische Universität allein 180 Millionen Euro in den Ausbau des Fachbereichs für Bauingenieure im Technologie- und Innovationspark Berlin (TIB) investiert. Es könne daher nicht sein, dass ein millionenschweres Universitätsgelände an die Finanzinvestoren der ORCO verscherbelt würde, der "aus Berliner Steuermitteln, Eigenmitteln der TU und Fördermitteln des Bundes" errichtet wurde. Wegen seiner Konzentration von Forschung, Wissenschaft und High-Tech-Unternehmen auf einem Gelände wird dieser GSG-Gewerbehof in Anspielung auf das kalifornische Technologiezentrum "Silicon Valley" liebevoll "Silicon Wedding" genannt. Für den Berliner Senat war dieses Stück Berliner Erfolgsgeschichte lediglich ein Bonuspräsent an den Investor.

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