MieterEcho 325/Dezember 2007: "Soziale Stadt" in den Mühlen des Stadtumbaus

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MieterEcho 325/Dezember 2007

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"Soziale Stadt" in den Mühlen des Stadtumbaus

Beobachtungen aus dem Norden Marzahns

Miriam Fritsche

Am S-Bahnhof Ahrensfelde befindet sich das nördlichste Gebiet Marzahns, einer der jüngsten Abschnitte des Ost-Berliner Großsiedlungsbaus. Zwischen 1982 und 1989 entstanden hier 13.100 Wohnungen, überwiegend elfgeschossige Plattenbauten vom Typ WBS 70. In ihnen lebten Anfang der 90er Jahre 36.700 Menschen. Marzahn-Nord-West gehörte zu den ersten Gebieten des Quartiersmanagements, hinsichtlich Einwohnerzahl und Fördervolumen ist es auch das größte Quartiersmanagement-Gebiet Berlins. Aufgrund hoher Einwohnerverluste (34% zwischen 1992 und 2002) und großen Leerstands ist es zudem Stadtumbaugebiet. Gründe genug, um einen Blick auf das Geschehen im Marzahner Norden zu werfen: Wie verhält es sich dort mit der Beteiligung von Bewohner/innen an der Quartiersentwicklung?

Bereits Ende der 90er Jahre wurden in Marzahn-Nord-West überdurchschnittlich viele Wegzüge verzeichnet. Zugleich war die Anzahl von Arbeitslosen und Sozialhilfebeziehenden gestiegen, sodass 1999 die damalige Senatsbauverwaltung das Quartier als "Gebiet mit besonderem Entwicklungsbedarf" einstufte und ein privates Planungsbüro mit dem Aufbau eines Quartiersmanagements im Rahmen des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" beauftragte.

Quartiersmanagement-Gebiet der ersten Stunde

Die Quartiersmanager waren keine Unbekannten im Bezirk: Sie hatten sich seit Anfang der 1990er eine Namen mit der "Plattform Marzahn" gemacht, die die Plattenbausanierung in der Großsiedlung Marzahn moderierte.

Früh entwickelten die Quartiersmanager ein "Strategisches Handlungskonzept", an dem sich ihre Arbeit in den ersten Jahren orientierte: Wie in allen Quartiersmanagement-Gebieten der ersten Phase sollte auch in Marzahn-Nord-West ein bunter Strauß aus Öffentlichkeitsarbeit, Wohnumfeldverbesserungen, kulturellen Projekten, Aufwertung der sozialen Infrastruktur, Integration von Migrant/innen und beruflichen Qualifizierungsangeboten zu einer Stabilisierung des Quartiers beitragen. Auch wenn die Informationen aus der Frühphase spärlich sind, so ergibt sich das Bild eines Quartiersmanagements, das zügig Verwaltungsstellen, Wohnungsunternehmen, Schulen und freie Träger vernetzte und über die Jahre hinweg mit der Finanzierung verschiedener baulicher Maßnahmen (Freiflächen, Parkanlagen, Schulhöfe, Umbau von Gebäuden der sozialen Infrastruktur etc.) und der Förderung "weicher" Projekte (z.B. Stadtteilfeste, Quartierszeitung, Kulturveranstaltungen) zu einem Motor der Quartiersentwicklung wurde.

Mitsprache des Bewohnerbeirats zunächst ohne Konflikte

Auf Initiative des Quartiersmanagements organisierten sich Spätaussiedler in einem Verein und einige Bewohner in einem Bewohnerbeirat. Letzterer stand als beratendes Gremium dem Quartiersmanagement zur Seite und entwickelte Ideen für einzelne Projekte. Alle Seiten schienen mit diesem Beteiligungsmodell zufrieden: Das Quartiersmanagement konnte "aktivierte" Bewohner/innen vorweisen, die seine Arbeit begleiteten. Die engagierten Bewohner/innen konnten mitreden. Und aus Sicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lief diese Bewohnerbeteiligung reibungslos - und damit konfliktfrei. Aber im Herbst 2002 brachte ein jäher Paukenschlag dieses Arrangement ins Wanken: Das Quartier sollte Schwerpunkt der durch das Programm "Stadtumbau Ost" geförderten Wohnungsabrisse werden. Das Konzept sah einen Teilrückbau von Elfgeschossern in der Quartiersmitte auf drei bis sechs Stockwerke vor. Das bedeutete den Abriss von fast 1300 und die Modernisierung von 450 verbleibenden Wohnungen.

"Stadtumbau Ost" sah Abrisse vor - Bewohnerbeirat wurde aktiv

Anstatt, wie gewohnt, den Abriss als zweifelsohne quartiersrelevante Frage dem Bewohnerbeirat vorzustellen und zu diskutieren, erfolgte die Information durch das zuständige Wohnungsunternehmen kurzfristig und ohne Diskussionsmöglichkeit. Welche Häuser für den Abriss vorgesehen waren, erfuhren die Betroffenen durch die Tagespresse. Diese als "Übergehen" gedeutete Informationspolitik mobilisierte Protest gegen die Stadtumbaupläne. Im Quartier meldeten sich Stimmen zu Wort, die den Umgang mit den verunsicherten Mieter/innern kritisierten. Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, wurde ein Kreis von Protestlern aus dem Bewohnerbeirat aktiv. Er verfasste ein Positionspapier, in dem Informationen über den Abriss, eine Berücksichtigung der Bewohnerschaft sowie eine Klärung von sozialen, mietrechtlichen und finanziellen Auswirkungen des Stadtumbaus gefordert wurden. Daraufhin wurde deutlich, dass die Hinhaltetaktik auf Abstimmungsschwierigkeiten zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und dem abreißenden Wohnungsunternehmen (WBG Marzahn) zurückzuführen war: Sie waren sich uneinig über die Finanzierung der geplanten Modernisierung ("Stadtumbau Ost" subventioniert Abrisse; für die Modernisierung der verbleibenden Wohnungen müssen Landesmittel bereitgestellt werden). Der damalige Senator zögerte und favorisierte einen Komplettabriss der ausgewählten Elfgeschosser.

"Fluchtversuch nach Brandenburg"

Angesichts der Gemengelage aus divergierenden Interessen, unsicherer Finanzierung, unkoordinierter Stadtumbaustrategie und dosierter Herausgabe von Informationen entschied sich der Bewohnerbeirat zu einem öffentlichkeitswirksamen Schritt: Im Mai 2003 bat er den Amtsdirektor des benachbarten Ahrensfelde, die Möglichkeit einer Aufnahme des Quartiers in die Gemeinde zu prüfen. Dieser "Fluchtversuch nach Brandenburg" löste ein reges Medienecho aus, die "Abendschau" berichtete live aus dem Quartier und ließ die Kritiker/innen zu Wort kommen. Als der Senat Ende 2003 die Fördermittel bewilligte und damit grünes Licht für die Umsetzung des "Ahrensfelder Terrassen" getauften Umbauprojekts gab, feierten die Nordmarzahner das als Erfolg, zu dem sie entscheidend beigetragen hatten.

Misstrauen und Vorwürfe belasteten Zusammenarbeit

Jedoch ließ der Katzenjammer nicht lange auf sich warten: Der Bewohnerbeirat fühlte sich im Stadtumbaukonflikt von der Senatsverwaltung und dem Quartiersmanagement im Stich gelassen und warf den professionellen Quartiersbetreuern vor, sich in der Erfolgsgeschichte "Ahrensfelder Terrassen" mit fremden Federn geschmückt zu haben. Misstrauen und Vorwürfe machten die Runde und belasteten die Zusammenarbeit. Die Quartiersmanager, die die Einrichtung eines neuen Quartiersrats vorbereiteten, sahen sich mit der Verdächtigung konfrontiert, den Bewohnerbeirat abwickeln zu wollen. Was war passiert?

Im Sommer 2005 hatte der Senat eine stadtweite Umstrukturierung der Quartiersmanagement-Verfahren beschlossen (MieterEcho Nr. 310 berichtete), die sich auch auf die Veränderung lokaler Beteiligungsstrukturen erstreckte. Neu zu schaffende Quartiersräte sollten künftig über die Mittelvergabe aus dem Fördertopf "Soziale Stadt" entscheiden. Die Einrichtung solcher Gremien geht zurück auf Erfahrungen mit den "Millionenfonds", die 2001 allen Quartiersmanagement-Gebieten zur Verfügung standen und in denen Jurys aus Bewohner/innen und Professionellen über die Verwendung von jeweils einer Million DM pro Quartier entschieden hatten. In wissenschaftlichen Auswertungen hatten diese Fonds durchweg gute Noten als geeignete Mittel der Bewohnerbeteiligung bekommen. Die Einrichtung von Quartiersräten orientiert sich nun an den "Millionenfonds" und zielt auf eine breitere Legitimierung der Mittelverwendung und eine Verstetigung des Einbezugs möglichst vieler Interessen aus dem Quartier.

Quartiersrat mit Entscheidungskompetenz entstand

In Marzahn-Nord-West tagt der Quartiersrat seit April 2006 regelmäßig. Er diskutiert und entscheidet, für welche Projekte Finanzmittel der "Sozialen Stadt" verwendet werden sollen. Seine Mitglieder setzen sich zusammen aus 14 Bewohner/innen sowie neun Interessenvertreter/innen der lokalen Schulen, Kindertagesstätten, Wohnungsunternehmen, freien Träger und Vereine, wobei die Quartiersmanager Wert legten auf eine Mitarbeit der ansässigen Migrantenorganisationen. Der Quartiersrat entscheidet mit einer Zweidrittelmehrheit. Im Laufe des Jahres 2006 befürwortete er Projekte, für die insgesamt Fördermittel in Höhe von 900.000 Euro veranschlagt waren. Neben Bauprojekten zur Aufwertung von Freiflächen lagen die Schwerpunkte auf der Förderung von Beratungsangeboten für Arbeitslose, verschiedenen Integrationsprojekten und der Finanzierung einer Imagekampagne für das Quartier. Diese Umstrukturierung stellt auf den ersten Blick eine begrüßenswerte Neuerung der Fördermittelvergabe dar: Entschied zuvor eine von professionellen Akteuren dominierte Steuerungsrunde, hebt oder senkt jetzt im Quartiersrat ein mehrheitlich von Bewohner/innen besetztes Gremium die Daumen. Die Bewohnerbeteiligung scheint jetzt qualitativ tiefer zu reichen: vom unverbindlichen Mitreden hin zum Mitbestimmen bei der Geldvergabe. Jedoch wies der durch den Verlauf des Stadtumbaus geschulte Bewohnerbeirat auch auf mögliche Tücken des Modells hin. Seine Kritik zielte darauf ab, künftig nicht mehr in quartiersrelevanten Fragen zurate gezogen zu werden, sondern im neuen Quartiersrat lediglich als "Stimmvieh" für bereits feststehende Projektanträge zu dienen. Mit seinen Bedenken machte er deutlich, dass die Ankündigung von "mehr Beteiligung" nicht notwendigerweise auch eine Steigerung der Beteiligungsintensität bedeuten muss.

Mehr Transparenz im Quartiersmanagement durchgesetzt

Dass der Teufel bei "von oben" initiierten Beteiligungsmodellen auch gerne im Detail steckt, ist seitdem im Nordmarzahner Quartiersrat ein sensibles Thema - als Folge arbeiten die Quartiersmanager mit einer größeren Transparenz, die Senatsverwaltung stellt sich der Diskussion, die Bewohner/innen begutachten sehr genau, was ihnen zur Abstimmung vorgelegt wird und scheuen auch nicht vor Widerrede zurück. So sind beispielsweise Aufgaben, Arbeitsweise, Zusammensetzung, Beschlussfähigkeit und Entscheidungsmodus des Quartiersrats in einer Geschäftsordnung geregelt. Die Senatsverwaltung hatte dafür zwar den Rahmen vorgegeben, die Mitglieder des Quartiersrats setzten aber Modifizierungen durch und aktualisierten vor Kurzem unter dem Eindruck der Erfahrungen der ersten 18 Monate diese Geschäftsordnung.

Seit seiner ersten Sitzung bewegt sich der Quartiersrat in Marzahn-Nord-West in einem Spannungsfeld aus wohlwollend-konstruktiver Mitarbeit, kritischer Beobachtung der Arbeit des Quartiersmanagements und latenter Konfliktbereitschaft - ein pikantes Arrangement, das aber der Transparenz des Quartiersmanagements und der damit einhergehenden Entscheidungen keinesfalls geschadet hat.

Weitere Informationen zum Quartier und zum lokalen Quartiersrat unter: www.marzahn-nordwest-quartier.de und www.stadtteilzeitung-nordwest.de

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