MieterEcho 310/Juni 2005: Neuausrichtung Quartiersmanagement

MieterEcho

MieterEcho 310/Juni 2005

 BERLIN

Strategische Neuausrichtung?

Das Berliner Quartiersmanagement wächst und wächst

Elvira Vernes

Mitte Januar 2005 haben die Faktionen der beiden Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag einen Antrag eingereicht und damit ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt "weiterentwickeln und ausweiten" zu wollen. Begründet wird dies damit, dass die "aktuellen Ergebnisse der Zwischenevaluation durch das Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS) nach fünf Jahren (…) eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung" des Programms bieten. Entsprechend soll das "sehr wichtige und unverzichtbare Instrument zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere" fortgeführt werden.

Auch in Berlin will man "weiterhin eine erfolgreiche Politik der sozialen Stadtentwicklung verwirklichen." Dazu werde das Berliner Quartiersmanagement (QM) einer "strategischen Neuausrichtung" unterzogen, die sich "auf die Auswertung des Quartiersmanagementverfahrens seit 1999 und das Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2004" stützen könne. Wie die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reiher mitteilt, wird zukünftig und "noch vor den Sommerferien (…) unter dem Oberbegriff 'Quartiersverfahren Soziale Stadt' mit vier differenzierten Handlungspaketen eingegriffen werden."

Konkrete Auswertung kaum möglich

Zieht man hingegen die verfügbaren Länderstudien zum Programm sowie die oben genannte Zwischenevaluierung des IfS zurate, dann liest man, es sei "kaum möglich, zu quantitativen Aussagen dazu zu gelangen, wie sich die Lage in den Pogrammgebieten infolge des Einsatzes des Programms Soziale Stadt verändert hat." Warum also das Programm "sehr wichtig" und "erfolgreich" sein soll, bleibt einigermaßen unklar, zumal wenn den politischen Eliten Erwerbslosigkeit weiterhin als das zentrale Problem gelten soll. Laut IfS-Studie "zeigten (sofern entsprechende Daten vorhanden waren) die sozioökonomischen Kontextdaten (z.B. Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängeranteile) in aller Regel bislang keine positive Veränderung; die ökonomischen und sozialen Probleme sind in den Gebieten weiterhin größer als im städtischen Durchschnitt." In diesem Bereich von Erfolg zu sprechen - das Programm sei geeignet, "Segregationstendenzen entgegenzuwirken, negative Auswirkungen auf die Lebenschancen der Bewohnerinnen und Bewohner zu verringern", schreiben die Faktionen von SPD und Grünen -, darf daher wohl als vermessen gelten. Nicht nur der Appell von Franz Müntefering (SPD) und Katrin Göring-Eckhardt (Bündnis 90/Die Grünen), "bei der Bundesagentur für Arbeit darauf hinzuwirken", dass die Gebiete des Programms Soziale Stadt "beim Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente besonderes Augenmerk bekommen", verhallt ungehört. Auch zu einer Aktuellen Stunde im Bundestag, die im April 2005 zum Bund-Länder-Programm ausgerichtet wurde, entsandte die Bundesagentur keinen Vertreter, sondern teilte per Fax lapidar mit, das Programm habe mit ihren Aufgabenbereichen nichts zu tun. Wie niedrigere oder höhere Erwerbslosigkeit gewertet werden kann, wurde unlängst von Konrad Maier erläutert: Dass nämlich eine Senkung lediglich auf eine Aussteuerung aus der Statistik und das Drängen in "ungeliebte Beschäftigungsmaßnahmen" zurückzuführen sein kann, während etwa eine Steigerung der Arbeitslosenquote als ein Erfolg des Programms Soziale Stadt betrachtet werden könnte, wenn es nämlich gelingt, Menschen darin zu bestärken, "durch den Gang zum Arbeitsamt einen neuen Versuch zu starten, in der Erwerbstätigkeit neu Fuß zu fassen." Von solchen Überlegungen sind die Strategen im Berliner Senat jedoch weit entfernt. Denn was derzeit unter "Weiterentwicklung und Ausweitung" bzw. "strategischer Neuausrichtung" des Programms verstanden wird, ist der Versuch, sich mittelfristig aus den Quartieren zurückziehen zu können.

Vier neue Stadtteilmanagementverfahren

Bereits ab Sommer 2005 sollen vier neue so genannte "Quartiersverfahren" das bisherige Quartiersmanagement ablösen bzw. ergänzen. Es wird unterschiedlich gestaffelte Kategorien (I-IV) von Quartiersverfahren geben, die sich unter den Überschriften "Intervention" (Kategorien I und II), "Prävention" (III) und "Verstetigung" (IV) zusammenfassen lassen (s. Tabelle auf der nächsten Seite).

Quartiersverfahren
Kategorie I und II - Intervention

In Kategorie I werden Gebiete mit überdurchschnittlich hohen Anteilen von Erwerbslosen, Sozialhilfeempfängern und "Ausländern" zusammengefasst, wenn hier zugleich eine starke Zunahme dieser Anteile und eine außergewöhnlich hohe Mobilität der Bewohnerschaft zu beobachten ist, also die "problematischen" Bevölkerungsteile in erheblichem Maße zuwandern. Das Ziel, so der Berliner Senat, sei es, "das Sozialgefüge zu stabilisieren, Anonymität aufzulösen, soziale Kontrolle aufzubauen und eine Basis für das Engagement von interessierten Bewohnern zu schaffen." Fehlende Erwerbsmöglichkeiten oder Armut spielen keine Rolle, vielmehr sollen die Menschen "Fragen ihres Wohnumfeldes, der Situation des öffentlichen Raumes wie auch des Zusammenlebens im Quartier als ihre eigene Sache begreifen und dazu befähigt werden, das Gemeinwesen selbst zu organisieren (Empowerment)." In dieser Kategorie, die also den bereits etablierten Interventionsansatz umfasst, sollen zwei Quartiere im Westteil der Stadt erweitert sowie ein neues Quartiersmanagement-Gebiet (QM-Gebiet) im Norden Neuköllns neu etabliert werden. Dem Vernehmen nach wird wohl der Bereich südlich des Richard- und Karl-Marx-Platzes in den Genuss eines originären QM-Verfahrens kommen, während bis auf das Quartier Marzahn-NordWest keine Quartiersmanagements im Ostteil der Stadt verbleiben sollen. Wer erwartet hatte, auch das klägliche QM am Kottbusser Tor werde aufgelöst, sieht sich getäuscht. Nach Bezirksangaben wird es in der Fläche vielmehr ausgedehnt. Man darf also gespannt sein, ob sich die Mieter der Waldemarstraße nicht nur mit der Privatisierung ihres Wohnraums, sondern zugleich mit dem Quartiersmanagement konfrontiert sehen.

Das Verfahren der Kategorie II heißt in 'bürgernahem' Neudeutsch "Stadtteilmanagementverfahren Intervention - SMV I". Es wird in Quartieren, die auf Grund des Monitoring Soziale Stadtentwicklung ähnliche Problemlagen wie die bisherigen QM-Gebiete aufweisen, zur Anwendung gelangen. Doch sollen dort keine Quartiersagenturen eingerichtet, sondern vielmehr "starke Partner" gefunden werden, zu denen Wohnungsbaugesellschaften, Stadtteilzentren oder Nachbarschaftsheime gehören können. Insbesondere von der GSW dürfte wohl von Senatsseite erwartet werden, dass sie sich als "starker Partner" im Quartiersverfahren geriert. Für sechs Gebiete in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln ist von SMV I die Rede. Sie sollen, heißt es, aufgewertet und mit stabilen nachbarschaftlichen Strukturen ausgestattet werden, sich auf "die fünf Strukturmerkmale des QM (Team vor Ort, Steuerungsrunden, Empowerment/Bürgerbeteiligung, integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept, Beteiligungs-, Aktivierungsfonds)" stützen und pro Jahr auf einen Integrationsfonds von ca. 100.000 Euro sowie einen lnterventionsfonds von ca. 150.000 Euro zurückgreifen können.

Kategorie III - Prävention

Kategorie III, das "Stadtteilmanagementverfahren Prävention - SMV P", kommt in so genannten "problematischen Gebieten" des Monitorings zum Einsatz und soll insbesondere an bestehende Netzwerke anknüpfen. Auch hier geht es um soziale Aufwertung und die Stabilisierung des Quartiers. Die fünf Strukturmerkmale des QM gelten ebenfalls als zielführend und ein Integrationsfonds von ca. 100.000 Euro steht zur Verfügung, den die "starken Partner" verwalten werden. Elf solcher "starker Partner" will der Senat in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Spandau, Neukölln und Marzahn-Hellersdorf identifiziert haben und mit SMV P in die Spur schicken.

Kategorie IV - Bewohnergetragenes Verfahren

Kategorie IV schließlich, das "Bewohnergetragene Verfahren", ist ein anderes Wort für die Gebiete, die aus dem QM-Programm herausfliegen, weil in ihnen "eine deutliche Verbesserung der sozioökonomischen Situation festgestellt werden konnte." Hier soll die Quartiersarbeit "verstetigt und in die Hände der sich selbst organisierenden Bewohnerschaft übergeben werden". Die bisherigen QM-Gebiete in Prenzlauer Berg (Falkplatz, Helmholtzplatz) und um den Boxhagener Platz in Friedrichshain-Kreuzberg sind damit die ersten Quartiere, in denen die für alle Quartiere geltende fehlende demokratische Legitimation in nicht gewählten Bewohnerbeiräten und die jeweils umgesetzte mittelschichtsorientierte Aufwertungsstrategie mit der Beseitigung der bisherigen Quartiersagentur "geadelt" wird. Zu welchem Ende, bleibt abzuwarten.

Strategie oder Kapitulation?

Die Hoffnung des Senats, der mehr oder minder verzweifelt bemüht ist, das Anwachsen weiterer "problematischer Gebiete" zu verhindern, liegt offensichtlich in der Suche nach Partnern in der privaten und "zivilgesellschaftlichen" Sphäre. Denn es sind die "starken Partner" wie Wohnungsbaugesellschaften oder Nachbarschaftszentren, die für eine nachhaltige Bestandsentwicklung sorgen und zur Aufwertung der Siedlungen beitragen sollen, weil sie, so die Senatsverwaltung, "vertraut sind mit sozialpolitischen Aufgaben." Das ist, um ein Bild aus der aktuellen Debatte im Kontext der Neoliberalisierung staatlichen Handelns zu bemühen, die Aufforderung an die Akteure vor Ort, "das Rudern" selbst zu übernehmen und anzuerkennen, dass der Staat nunmehr nur noch steuern mag. Damit entspricht das Bund-Länder-Programm (und das Berliner Quartiersmanagement mit seiner strategischen Neuausrichtung hat dann Vorbildcharakter) "den Reformvorstellungen der Bundesregierung für einen ‚ermöglichenden' und ‚aktivierenden' Staat und stellt insofern eine Pionierleistung dar". Eine Pionierleistung, die die Politikwissenschaftler/innen Matthias Bernt und Miriam Fritsche unlängst als eine "ambivalente Innovation" bezeichnet haben, die sich nicht - wie noch die Behutsame Stadterneuerung vor allem der 1980er Jahre - "auf den Versuch einer Reformierung und Demokratisierung eines sozialstaatlichen Quartiersentwicklungsmodells" bezieht, sondern sich heute vielmehr "in die Ungleichheitslogiken neoliberaler Stadtentwicklungsmodelle einpasst." Es ist in der gegenwärtigen Debatte umstritten, ob angesichts der desolaten Senatspolitik tatsächlich von einer "Strategie" gesprochen werden kann. Eine Kapitulation vor einer gesamtstädtischen Perspektive ist es allemal.

* Monitoring Soziale Stadtentwicklung: Download unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/

Zum Weiterlesen:

Sylvia Greiffenhagen/Katja Neller (Hg.): Praxis ohne Theorie? Wissenschaftliche Diskurse zum Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt". Mit Beiträgen u.a. von Konrad Maier, Matthias Bernt und Miriam Fritsche. VS Verlag: Wiesbaden 2005, 412 S., 29,90 Euro.

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