MieterEcho 324/Oktober 2007: Begehren blockt blöde Blöcke

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MieterEcho 324/Oktober 2007

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Begehren blockt blöde Blöcke

Das Bürgerbegehren "Spreeufer für alle" ist nun Thema in einer Diskussion, die viele in der Politik gern vermieden hätten

Henrik Haffki

Es mag sein, dass der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg zu den Verfechtern der direktdemokratischen Einflussnahme zählt, aber mit dem Aufbegehren 'seiner' Bevölkerung hat er wohl nicht gerechnet. Für das Bürgerbegehren "Spreeufer für alle" zeigt er zum Teil wenig Verständnis, schließlich habe es bereits jahrelang Diskussionen gegeben. Mit wem eigentlich? Sogenannte Bürgerbeteiligung ist bekanntlich selten mehr als ein "Alibi".

Zur Einreichung des Begehrens im Bezirksrathaus kniff der Bürgermeister. Immerhin war - neben betroffenen Anwohner/innen und Aktivist/innen des "Initiativkreis Mediaspree versenken" - die Presse zahlreich erschienen. Seither gerät die "Mediaspree", das Vergnügungsschiff ignoranter Investoren - finanziert aus öffentlichen Geldern - zunehmend in Seenot.

Einen privatisierten Spreeblick lehnen die Initiator/innen ab: "Wir wollen die Spreeufer für alle, anstatt für wenige, die es sich leisten können." Für alle bestehenden und künftigen Bebauungspläne soll gelten, dass Neubauten zum Ufer einen Abstand von 50 Metern einhalten. In diesem Bereich gäbe es dann Platz für Grün- und Kulturflächen. Neubauten sollen eine Traufhöhe von 22 Metern nicht überschreiten. Eine zweite Frage behandelt die vorgesehene Straßenbrücke. Wenn überhaupt, dann soll allenfalls eine Fußgänger- und Fahrradbrücke in Verlängerung der Brommystraße entstehen. Eine Straßenbrücke wäre - neben den üblichen Belastungen - auch ein Hindernis für einen möglichen Park, der dann durchschnitten würde. Die genannten Forderungen ziehen Entschädigungen an die Investoren nach sich, die sich nach Berechnungen des Bezirksamts auf 165 Millionen Euro belaufen könnten. Somit ist das Begehren das wahrscheinlich wertvollste seiner Art. Dennoch sind die Forderungen nicht unrealistisch, da sich etwa zwei Drittel der bebaubaren Grundstücke entlang der Spree in der Hand landeseigener Betriebe (BEHALA, BSR) befinden. Andere könnten mit Ersatzgrundstücken abgefunden werden oder unter öffentlichem Druck zum Verzicht bewogen werden. 5400 Unterschriften müssen nun in sechs Monaten zusammenkommen. Der Zuspruch der Anwohner/innen ist hoch. Wenn der Bezirk die Planungen nicht entsprechend der Forderungen verändert und mögliche Verhandlungen fehlschlagen, könnte es danach zu einem "Bürgerentscheid" kommen.

Ein Aktivist des Netzwerks Abriss Berlin, das den Initiativkreis unterstützt, schreibt: "Meine Mitbewohnerin hat ihren Handy-Vertrag bei O2 mit der Begründung gekündigt, dass sie das Mediaspree-Projekt 'O2-World' nicht unterstützen möchte." Der Protest ist verständlich, denn allein für die hoch subventionierte neue Veranstaltungshalle, die den anderen öffentlich subventionierten Hallen in Berlin das Wasser weiter abgräbt, wurde ein Stück der mittlerweile in aller Welt berühmten East-Side- Gallery abgerissen. Der Investor hatte freien Blick auf die neue Halle verlangt. Da er aber auch die überdimensionierte Werbetafel - inmitten eines kleinen Parks - beim Bezirksamt durchgesetzt hat und diese nun das Stadtantlitz am Spreeufer nachhaltig kontaminiert, bestand nie die Gefahr, dass jemand die "O2-World" hätte übersehen können. Die auf der Tafel angebrachten Kameras überwachen übrigens illegal auch den öffentlichen Raum.

Leuchtreklame und Kameraüberwachung

Es drohen Gentrifizierung und bebaute Ödnis: Neben dem geplanten Hochhaus-Idyll und anderen architektonischen wie städtebaulichen Fehlplanungen, die sich gut mit "Block an Block - kompakt, anspruchslos, teuer - Spreeblick inklusive" beschreiben lassen, geht es für viele Mieter/innen und alternative Projekte um ihre Verdrängung aus den zentrumsnah gelegenen Gebieten von Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte. Der gegenwärtige wie der kommende Verdrängungsprozess werden die teilweise ohnehin schwierige Situation der Bewohner/innen weiter verschlechtern und dem Charme der angrenzenden Kieze eine ausgewiesene Langeweile aus Konsumterror und Entertainment-Einfältigkeit entgegenbringen. Zum Ausgleich wird uns bewachter Ausgang gewährt - am fünf Meter breiten Spreeufer-Wanderweg: Über uns neue Lofts und Werbetafeln, neben uns blöde Blöcke und ein Fluss ohne Aufenthaltsqualität: Die Media-Spree.

Eigentum verpflichtet - kein Eigentum auch. Wir bleiben alle. Das Begehren kann ein Mittel zur Durchsetzung sein.

Ziele des Bürgerbegehrens "Spreeufer für alle":

Weitere Informationen: www.ms-versenken.org oder www.abriss-berlin.de.

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