MieterEcho 324/Oktober 2007: "Spät" ist nie "zu spät"

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MieterEcho 324/Oktober 2007

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"Spät" ist nie "zu spät"

Gerade weil den Investoren die Entwicklung des Spreeufers in Friedrichshain-Kreuzberg nicht so recht gelingen will, kommt das Bürgerbegehren im richtigen Augenblick

Christoph Villinger

Ein UFO ist gelandet - mitten in Friedrichshain-Kreuzberg. Diese Assoziation drängt sich auf beim Anblick der neuen Mehrzweck-Halle der Anschutz Entertainment Group (AEG). Das aus Werbegründen auch "O2-World" genannte Bauwerk wuchs innerhalb weniger Monate zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke in den Himmel. Die Eröffnung ist 2008 geplant. Inzwischen ist auch die erste der überdimensionalen Leuchttafeln an der Mühlenstraße installiert. Doch kaum werden die seit Jahren vorangetriebenen Planungen sichtbar, entwickelt sich endlich Widerstand der Anwohner/innen. Parallel entsteht links und rechts der Spree durch die vielen Zwischennutzer und Clubs eine neue Party-Meile.

Anscheinend muss man die O2-Halle konkret gesehen und den engen Grünstreifen vor dem Ver.di-Haus persönlich erlebt haben, um die eigene Phantasie anzuregen. Wäre hier nicht statt den 10 Metern auch ein 50 Meter breiter öffentlicher Streifen am Spree-Ufer möglich? Könnte man aus den noch halb der öffentlichen Hand gehörenden und nicht mehr benutzten Grundstücken wie die der BSR und beim Viktoria-Speicher nicht besser Parks machen, als sie mit Glaspalästen der Medienindustrie voll zu stellen?

Zweiter Potsdamer Platz oder Investorenruine?

Jahrelang interessierte es quasi nur die Stadtplaner/innen und Politiker/innen, was entlang der Spree zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke als Mediaspree geplant wird. Doch nun, da die weit leuchtende Werbetafel der AEG die Nacht erhellt, wachen die Anwohner/innen auf. Dabei waren die Pläne seit Jahren bekannt, auch das MieterEcho wies bereits in seiner Ausgabe vom September 2002 (Nr. 292) darauf hin. Mit dem Bürgerbegehren (siehe nachfolgenden Artikel) werden nun diese Pläne infrage gestellt. Denn das vorläufige Scheitern der hochtrabenden Mediaspree-Pläne ist offensichtlich. Deren Sprecher Christian Meyer bestätigt, dass auf dem ursprünglich mit dem zweifachen Bauvolumen des Potsdamer Platzes geplanten Gelände von Anschutz "vorrangig" nicht viel mehr als die Mehrzweck-Halle gebaut wird. "Hier wird eben punktuell gebaut, nicht so flächendeckend wie am Potsdamer Platz", sagt dazu Meyer. Ebenso kann er eigentlich nur bei zwei von über 20 angekündigten Projekten sagen, dass dort etwas aktuell passiert. Bei dem Viktoria-Speicher und am ehemaligen Osthafen. Ansonsten sitzen die Investoren weiterhin auf ihren Grundstücken, haben seit mittlerweile fast zehn Jahren tolle Computeranimationen im Internet, aber nichts passiert. Ab wann darf man ein Projekt als gescheitert bezeichnen?

Etwas empört entgegnet darauf Pressesprecher Meyer: "Erst durch die Investoren ist das Spreeufer überhaupt öffentlich zugänglich gemacht worden, vorher war da für niemanden zugängliche Wüste". Zwar haben erst die alten verwahrlosten Industrie- und Hafenbrachen für Investoren diese Lücken entstehen lassen, doch angesichts der neuentstandenen Clubs, kleinen Gärten und Parks sowie potenziellen Badestränden drängt sich die Frage auf: Was ist die bessere "Lösung" für die Berliner/innen? Könnte man nicht die Pläne von Anschutz und Co als "Zwischenlösung" ansehen?

"Friedliche Koexistenz" am Spreeufer?

Auch Mediaspree-Sprecher Meyer will nicht in Konfrontation zu den Clubs gehen. Denn durch sie entsteht zurzeit links und rechts der Spree eine angesagte Partygegend, was objektiv die Gegend aufwertet. Die aus Mitte verdrängten Clubs "müssen sich an der Spree neu erfinden", nennt Meyer dies. Aber am Spreeufer sei noch niemand verdrängt worden - als ob es die Auseinandersetzungen um den "Schwarzen Kanal" nicht gäbe. Meyer kann sich als Mediaspree eine "friedliche Koexistenz" mit den Clubs gut vorstellen, zum Beispiel funktioniere es zwischen dem Allianz-Tower und der "Arena" doch auch. Ebenfalls bestätigt Meyer, dass nun etliche Investoren mit ihren Grundstücken weg von Gewerbeeinheiten hin zur Wohnnutzung wollen. Doch auch dabei zielen sie wieder auf das "hochpreisige Segment". Darüber hatte sich vor zwei Jahren selbst Bundespräsident Horst Köhler bei seinem Besuch in Friedrichshain-Kreuzberg mokiert. Als ihm die Baupläne vorgestellt wurden, dachte er an Wohnungen für die vielen kinderreichen Familien in Kreuzberg. Betreten schauten in diesem Moment die Bezirkspolitiker/innen beiseite.

Neubau Brommy-Brücke beschlossen

Inzwischen ist vielen Bezirkspolitiker/innen insgeheim klar, dass die hochtrabenden Pläne gescheitert sind, und sie beginnen vorsichtig zurückzurudern. Zum Beispiel soll nach einem BVV-Beschluss von Anfang September die Brommy-Brücke in der Verlängerung der Eisenbahnstraße nur für Fußgänger und Fahrräder sowie Busse und Straßenbahnen gebaut werden. Die Grünen wollten sogar nur einen reinen Fußgängersteg. Denn wo Busse fahren, könnten dies auch Autos.

Als ein weiteres Signal für das aktuelle Scheitern von Mediaspree kann man die Einladung von Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) zu einem "Forum Kreative Spree" interpretieren. Zwar will er dort nur über "temporäre Zwischennutzung" diskutieren, aber daraus kann schnell eine Dauernutzung werden. Genauso wie Schulz das Bürgerbegehren grundsätzlich begrüßt, weil "Stadtentwicklung von der Diskussion lebt" und es "nie zu spät ist".

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