MieterEcho 321/April 2007: Mythologie der Privatisierung

MieterEcho

MieterEcho 321/April 2007

Quadrat PRIVATISIERUNG

Mythologie der Privatisierung

Sarrazins Argumente zum Verkauf der Wohnungsbaugesellschaften

Andrej Holm

Gerade rechtzeitig zum für Berlin so wichtigen Gerichtstermin in Karlsruhe im Oktober wartete Finanzsenator Sarrazin mit dem Vorschlag auf, die verbliebenen Berliner Wohnungsbaugesellschaften zu verkaufen. Die Begründung für diesen Vorschlag lieferte eine Untersuchung aus der Senatsverwaltung für Finanzen, in der herausgefunden wurde, dass es keine "hinreichenden Argumente gegen die Privatisierung öffentlicher Wohnungsunternehmen" gäbe. Da die Karlsruher Richter zwar die Klage Berlins ablehnten, aber auch keine konkreten Sparvorgaben formulieren konnten, sind weitere Wohnungsprivatisierungen vorerst vom Tisch. Da dies jedoch sicher nicht der letzte Angriff auf die landeseigenen Wohnungsbestände gewesen sein wird, lohnt sich eine genauere Betrachtung der sarrazinschen Argumentation.

Im Oktober letzten Jahres veröffentlichte die Senatsverwaltung für Finanzen eine Studie mit dem Titel "Fakten und Legenden zum Zusammenhang zwischen Wohnungsmarkt und Marktanteil öffentlicher Wohnungsunternehmen". Das Ziel der Studie war es, den Kritiker/innen von Wohnungsprivatisierungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dazu setzten sich die Autoren der Studie mit Argumenten für einen öffentlichen Wohnungsbau auseinander, die auf den damals wie heute aktuellen Debatten basieren. Dabei versucht die Studie insbesondere, drei Argumente zu widerlegen: Zum einen dämpfen öffentliche Wohnungsunternehmen das Mietniveau, zum anderen erhalten sie die Handlungsspielräume bei der Quartiersentwicklung und drittens haben sie eine wichtige Funktion bei der Wohnungsversorgung unterstützungswürdiger Haushalte.

Öffentliche Wohnungsunternehmen und Mietentwicklung

Zunächst versucht die Studie, anhand von statistischen Datensammlungen und längst veralteten Untersuchungen von 1993 zu beweisen, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Anteil von öffentlichen Wohnungen und dem städtischen Mietniveau gibt. Zwar zeigten frühere Untersuchungen, dass die Mieten der kommunalen Wohnungen niedriger als die Mieten der privat vermieteten Wohnungen waren, doch dies sei auf unterschiedliche Ausstattungsstandards zurückzuführen. Eine Dämpfung des Mietniveaus - so suggeriert die Studie der Finanzverwaltung - hat nichts mit den tatsächlichen Miethöhen zu tun, sondern würde nur gelten, wenn kommunale Wohnungsbaugesellschaften bei Wohnungen gleicher Qualität eine geringere Miete verlangten. Dass der Verzicht auf Luxusmodernisierungen eine bewusste Investitionsentscheidung der landeseigenen Wohnungsunternehmen ist, wird dabei ausgeblendet.

Für das zentrale Argument der Studie werden etwa 30 Städte mit mehr als 200.000 Einwohner/innen miteinander verglichen. Mithilfe dieser Beispiele will Sarrazin beweisen, dass der Anteil der kommunalen Wohnungsunternehmen sich nicht auf das Mietniveau auswirkt. Doch dieser Vergleich ist methodisch fragwürdig, denn ostdeutsche Schrumpfstädte wie Leipzig oder Magdeburg werden ohne jede Berücksichtigung ihrer regionalen Besonderheiten mit München, Stuttgart und Frankfurt verglichen. Das wenig überraschende Ergebnis dieser Übung: Es gibt keinen feststellbaren Zusammenhang. Zugleich blendet die Studie aus, dass sich alle Städte mit einem öffentlichen Wohnungsanteil von 15 und mehr Prozent im Bereich der geringsten Mietniveaus bewegen. Der Mietspiegelindex weist für diese Städte Durchschnittswerte von etwa 5 Euro/ qm aus.

Konkret für die Berliner Situation vergleicht die Studie die durchschnittlichen Mieten in Berlin mit denen der landeseigenen Wohnungsunternehmen. In der Interpretation der Daten wird festgestellt: "Die Mietniveaus der städtischen Unternehmen sind sehr unterschiedlich ... (und es) ergibt sich somit kein Anhaltspunkt für eine mietpreisdämpfende Wirkung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften." Bei genauerer Betrachtung der Daten zeigt sich, dass mit einer Ausnahme - der Howoge - alle Wohnungsunternehmen unter den Berliner Durchschnittswerten liegen. Regelrecht hinterlistig wird die Studie, wenn der überdurchschnittliche Anstieg der Mieten in den letzten Jahren festgestellt wird. Mit Steigerungen von bis zu 13% liegen die Werte tatsächlich über der durchschnittlichen Berliner Mietsteigerung mit knapp 4%, doch die Hintergründe für diese Entwicklung sind bekannt: Zum einen fordert der Finanzsenator von den Wohnungsbaugesellschaften eine ausschließlich betriebswirtschaftliche Orientierung sowie Dividenden für die Landeskasse, zum anderen wurden überwiegend Bestände mit einem niedrigen Mietniveau privatisiert, sodass diese Wohnungen aus der Statistik fielen.

Die theoretische Begleitmusik der Studien liefert ein alter Bekannter in Sachen Privatisierung: Ulrich Pfeiffer. (Das MieterEcho berichtete über ihn mehrmals, zuletzt in Nr. 320.) Der Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft empirica, verneint die Möglichkeit der Marktbeeinflussung durch öffentliche Wohnungsbestände. Da die öffentlichen Wohnungen - so der Gedankengang des Experten - ja nur einen Teil des Gesamtbestands ausmachten, würden günstigere Mieten vor allem die dort wohnenden Mieter/innen begünstigen und diese von Umzügen abhalten. Die Wirkung öffentlicher Wohnungsbestände sei demnach nicht "mietpreisdämpfend", sondern "fluktuationsdämpfend". Geringe Mieten - so sollen wir hier wohl lernen - sind gar kein Vorteil, sondern sie stellen vor allem Fesseln dar, die uns in der Freiheit des häufigen Wohnungswechsels einschränken.

Wohnungsbaugesellschaften und Quartiersentwicklung

Auch für die Quartiersentwicklung sieht die Studie keinen besonderen Beitrag der Wohnungsbaugesellschaften. Die Argumentation ist auch in diesem Fall relativ schlicht, denn es werden ausschließlich die Aufwendungen der Gesellschaften in den festgelegten Quartiersmanagementgebieten betrachtet. Da die Aktivitäten in diesen Gebieten aus öffentlichen Fördermitteln finanziert werden, könnten sie von privaten Eigentümern ebenso in Anspruch genommen werden. Zudem seien die Aufwendungen im Eigeninteresse der Wohnungsbaugesellschaften, da sie der Wiederherstellung der Vermietungsfähigkeit dienen. Insofern sei die Betätigung der Wohnungsbaugesellschaften keine Besonderheit der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, sondern eine ganz rationale betriebswirtschaftliche Kalkulation.

Doch das Engagement der Wohnungsbaugesellschaften geht über die quartiersbezogenen Aktivitäten privater Eigentümer weit hinaus. Frank Bielka, der Vorstandsvorsitzende der DEGEWO betont: "Wir schaffen (...) einen Zusatznutzen für die Stadt, der gemeinsam mit der finanzwirtschaftlichen Rendite die sogenannte ‚Stadtrendite' ergibt. Das ist ein großes Plus der kommunalen Wohnungsunternehmen". So unterstützt die DEGEWO das Bezirksamt Neukölln beispielsweise mit jährlich 20.000 Euro bei der Aufrechterhaltung der Sportanlage Lipschitzallee in der Gropiusstadt. Ein anderes Beispiel für den von Bielka angesprochenen Zusatznutzen sind auch die verschiedenen Galerien und Veranstaltungsräume, in denen die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften kostenfrei die Werke junger Künstler präsentieren und somit ihren Beitrag zum kulturellen Leben in der Stadt stiften. Viele Aktivitäten der Wohnungsbaugesellschaften wie etwa Kinder- und Familienfeste oder die Unterstützung eines 1.-Mai-Fests "für Toleranz, Demokratie, bunte Vielfalt und gegen braune Einfalt" in Lichtenberg durch die HOWOGE sind im Einzelnen eher unscheinbar, doch sie gehen über die übliche Nachbarschaftsverantwortung von Wohnungsvermietern ebenso hinaus wie die Förderung von Sozialprojekten oder das Sponsoring von Sportvereinen. Auch Beispiele aus anderen Städten zeigen deutlich, dass öffentliche Wohnungsbaugesellschaften ihre Überschüsse in stadtentwicklungspolitische Projekte investieren. So gibt die Hamburger SAGA, mit über 135.000 Wohnungen eine der größten öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, nach Aussagen ihres Geschäftsführers Lutz Basse jährlich mehr als 250 Millionen Euro für städtische Projekte aus. Vergleichbares ist von Überschüssen der privaten Immobilienwirtschaft bisher nicht bekannt geworden.

Wohnungsbaugesellschaften und soziale Wohnraumförderung

Das dritte Argument der Sarrazin-Studie ist der fehlende Beitrag der kommunalen Wohnungsunternehmen bei der Versorgung von Problemgruppen mit angemessenen Wohnraum. Dazu zählen insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen, Familien mit Kindern, Alleinerziehende, Ältere und behinderte Menschen sowie Wohnungslose.

Wie oft, wenn sich keine empirischen Argumente gegen die öffentlichen Wohnungsbestände finden lassen, kommt der "entspannte Wohnungsmarkt" ins Spiel. In der sarrazinschen Lesart bedeutet dies, dass die knapp 140.000 Belegungsbindungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften "derzeit auf dem Berliner Wohnungsmarkt wegen der entspannten Marktlage ohne praktische Relevanz sind". Daneben zeigt der Finanzsenator sophistische Qualitäten und verweist auf die traditionellen Zielsetzungen der Wohnungsbaugesellschaften. Diese bestanden gemäß dem bis 2001 geltenden II. Wohnungsbaugesetz in der "Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung" und eben nicht in der Versorgung von "Problemgruppen" im Sinne der sozialen Wohnraumförderung, wie es im seit 2002 geltenden Wohnraumfördergesetz festgelegt ist.

Auch hier sehen wir uns mit dem bereits bekannten Argumentationsmuster Sarrazins konfrontiert: Die Verschlechterung der Rahmenbedingungen der Wohnungsbaugesellschaften - hier die Umstellung auf die soziale Wohnraumförderung - werden benutzt, um die Überflüssigkeit der kommunalen Wohnungsunternehmen zu verdeutlichen. Und wenn die Wohnungsbaugesellschaften gar nicht mehr gebraucht werden, dann - so der Gedankengang des Finanzsenators - können sie auch gleich verkauft werden. Der Druck auf die Wohnungsbaugesellschaften, "betriebswirtschaftlicher" zu agieren oder auch die Abkehr von früheren wohnungspolitischen Zielen sind Bausteine einer politischen Demontage des öffentlichen Wohnungsbaus und ein deutlicher Schritt in Richtung Privatisierung.

Wohnungspolitischer Unsinn mit fataler Wirkung

Denn bei der Auseinandersetzung mit der Studie des Hauses Sarrazin geht es weniger um Stilfragen der Argumentation als vielmehr um die Perspektiven der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften selbst. Denn so schlecht vorgetragen die Fakten im Einzelnen auch sind, das Ergebnis der Untersuchung sollte alarmieren: "Hinreichende Argumente gegen die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände gibt es nicht". Das ist keine zufällige Schlussfolgerung, sondern ein gefährliches Kalkül. Denn in der Landeshaushaltsordnung heißt es unter § 65: "Berlin soll sich (...) an einem bestehenden Unternehmen in einer solchen Rechtsform nur beteiligen, wenn ein wichtiges Interesse Berlins vorliegt und sich der von Berlin angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt". Davon ausgehend, dass der Finanzsenator die Landeshaushaltsordnung kennt, dürfte sich nach der Logik von Sarrazins Studie das Land Berlin nicht mehr an den Wohnungsbaugesellschaften beteiligen.

Es ist zu befürchten, dass uns der wohnungspolitische Unsinn der Finanzverwaltung auch in Zukunft begleiten wird, denn die verbliebenen sechs Wohnungsbaugesellschaften stellen einen der letzten größeren Bestandteile des Landesvermögens dar und wecken seit Jahren die Begehrlichkeiten der Privatisierer.

*) Stadtrendite ist ein junger Begriff, mit dem der Wert (Nutzen) eines Unternehmens für die Stadt bezeichnet wird, z.B. in gesellschaftlicher, sozialer oder ökologischer Hinsicht.

Städtische Wohnungsunternehmen:

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