MieterEcho 319/Dezember 2006: Häuser, Hartz und Heuschrecken

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MieterEcho 319/Dezember 2006

Quadrat TITEL

Häuser, Hartz und Heuschrecken

Die Preispolitik der Finanzinvestoren

Andrej Holm

Etwa 140.000 vormals kommunale Wohnungen wurden in den letzten Jahren an internationale Finanzinvestoren verkauft. Ein Großteil der privatisierten Siedlungen ist von kleinen, einfachen Wohnungen geprägt, deren Mieten bisher mehrheitlich unterhalb der Hartz-IV-Bemessungsgrenzen für die Kosten der Unterkunft liegen.

Die massiven Wohnungsprivatisierungen der letzten Jahre haben den Berliner Wohnungsmarkt gravierend verändert. Im Vergleich zu 1991 hat sich der Anteil von kommunalen Wohnungen von fast 30 auf knapp 15% verringert. Von den 482.000 kommunalen Wohnungen (1991) haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften heute nur noch über etwa 270.000 Wohneinheiten. Im Gegenzug hat sich die Anzahl und der Anteil von Wohnungsbeständen im Besitz internationaler Finanzinvestoren wie Cerberus, Oaktree oder Apellas deutlich erhöht. Waren sie zu Beginn der 90er Jahre noch ein völlig unbekannter Eigentümertypus, besitzen die Anlage- und Investmentfonds inzwischen mit 140.000 Wohnungen fast 10% des Berliner Mietwohnungsmarkts.


Richtwerte AV-Wohnen

Wie das Beispiel der GSW (2004 von Cerberus gekauft) zeigt, beschränken sich Umwandlungen und Modernisierungen nur auf einen kleinen Teil des privatisierten Gesamtbestands (siehe MieterEcho Nr. 318). In etwa zwei Dritteln der Wohnungen waren bisher keinerlei Aufwertungsaktivitäten festzustellen.

Ein Blick auf die Struktur der Bestände gibt Aufschluss über dieses abwartende Investitionsverhalten. Für etwa 110.000 Wohnungen im Besitz von Finanzinvestoren konnte eine Zuordnung nach dem Baualter erfolgen. Demnach liegen etwa 75% dieser Wohnungen in Wohnsiedlungen, die zwischen 1919 und 1972 errichtet wurden. Die Anteile in den für den Wohnungsmarkt attraktiven Altbaubeständen (vor 1919) und modernen Neubauten (nach 1990) ist verschwindend gering. Weitere 12% der Wohnungsbestände der Finanzinvestoren befinden sich in Ostberliner Plattenbaugebieten. Insgesamt konzentrieren sich demnach fast 90% dieser Wohnungen in Gebieten, denen gemeinhin ein nur geringes Aufwertungspotenzial zugesprochen wird.

Der Blick auf die Baualtersgruppen zeigt zudem, dass sich die privatisierten Wohnungen in den Gebieten konzentrieren, in denen es auch die meisten Wohnungen gibt, deren Miethöhe innerhalb der Bemessungsgrenzen für Wohnkosten liegt, die in den Ausführungsvorschriften (AV-Wohnen) für ALG-II-Beziehende festgelegt sind.


Tabelle Eigentümerstruktur
Finanzinvestoren mit Hartz-IV-kompatiblen Wohnungsbeständen

Die Finanzinvestoren besitzen insbesondere fast ein Viertel des Wohnungsbestands in den von ALG-II-Beziehenden nachgefragten Nachkriegssiedlungen. Damit haben sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wohnbedingungen für Harz-IV-Haushalte. Würden die neuen Eigentümer in den privatisierten Wohnungsbeständen umfassende Aufwertungsstrategien verfolgen, würden viele Mieten die Hartz-IV-Angemessenheitsgrenzen überschreiten. Die Jobcenter würden zur Senkung der Wohnkosten auffordern und in der Konsequenz wären Zwangsumzüge die Folge. Zudem würde sich der für ALG-II-Haushalte zugängliche Wohnungsbestand verringern.


Tabelle Baualtergruppen

Doch bisher scheinen auch die neuen Eigentümer die Aufwertungspotenziale in vielen Bereichen Berlins als nur gering einzuschätzen. Ein Blick in die Wohnungsangebote macht deutlich, dass sich ein Großteil der Wohnungen innerhalb der Hartz-IV-Bemessungsgrenzen bewegt. Eine Recherche in den Internetangeboten der Gagfah/Fortress, der GSW/Cerberus und Lonestar (Hellersdorf) zeigte, dass die Mietpreise von etwa der Hälfte der angebotenen Wohnungen unter den geltenden Bemessungsgrenzen lagen.

Die Wohnungsangebote der Gagfah/Fortress beschränkten sich auf Wohnungen in Westberliner Bezirken. Dabei lagen 36 der 56 1-Raum-Wohnungen unter den Bemessungsgrenzen der Berliner AV-Wohnen. Bei den 2-Raum-Wohnungen traf dies für 106 von 186 angebotenen Wohnungen zu.

Bei größeren Wohnungen war der Anteil der angemessenen Wohnungen deutlich geringer. Lediglich 11 der 40 3-Raum-Wohnungen lagen innerhalb der Bemessungsgrenze. Noch größere Wohnungen lagen alle deutlich über den festgelegten Werten.


Tabelle Wohnungsangebot Gagfah

Bei den Internetangeboten der GSW stellte sich ein ähnliches Bild dar. Auch hier wiesen die kleineren Wohnungen deutlich höhere Anteile von Hartz-IV-kompatiblen Wohnungen auf. Von den 121 angebotenen 1-Raum-Wohnungen lagen zwei Drittel (80) innerhalb der Grenzwerte und etwa jeweils die Hälfte der 2- und 3-Raum-Wohnungen weisen Mietpreise auf, die im Rahmen von Hartz IV als angemessen gelten würden.

Auch in den Beständen von Lonestar in Hellersdorf richtet sich das Wohnungsangebot ausdrücklich an ALG-II-Haushalte. Zwar gibt es keine Angebote in dem dort knappen Segment der 1- und 3-Raum-Wohnungen, aber im Bereich der 3- bis 5-Raum-Wohnungen liegen mit einer einzigen Ausnahme alle 92 angebotenen Wohnungen unter den Bemessungsgrenzen der Berliner Regelung.


Tabelle Wohnungsangebot GSW

Die Struktur dieser Wohnungsangebote verdeutlicht, dass - trotz der im bundesweiten Vergleich relativ großzügigen Berliner Regelung zu den Wohnkosten - für Hartz-IV-Haushalte in bestimmten Wohnungsmarktsegmenten nur schwer eine angemessene Wohnung zu finden ist. So scheinen in den Ostberliner Plattenbauten alleinstehende ALG-II-Beziehende nur schwer eine Wohnung bekommen zu können, während größere Haushalte in den Siedlungen der Nachkriegszeit keine geeignete Wohnung finden werden. Diese Beschränkungen spiegeln eine allgemeine Struktur des Berliner Wohnungsmarkts wider und sind keine Besonderheit der Finanzinvestoren.

Hart an der Grenze

Die über 300.000 Bedarfsgemeinschaften, die sich an die festgelegten Miethöchstgrenzen der AV-Wohnen halten müssen, stellen eine gerade für einfache Wohnungsbestände wichtige Nachfragegruppe dar. Auch die neuen Eigentümer der privatisierten Bestände haben dies erkannt und orientieren sich in ihren Angeboten an den amtlichen Bemessungsgrenzen. Eine Stichprobe von etwa 450 Wohnungsangeboten der Gagfah/Fortress zeigte, dass etwa 20% der Hartz-IV-kompatiblen Wohnungen die Angemessenheitsgrenze der Bruttowarmmiete um weniger als fünf Euro unterschreiten. Die Häufung von Angeboten knapp unter der Angemessenheitsgrenze deutet darauf hin, dass die Vermietung an Haushalte, die von ALG II leben müssen, zur Geschäftsstrategie gehört.

Auch bei anderen Gesellschaften - etwa bei der GSW - lassen sich ähnliche Vermietungspraktiken feststellen. So wies das Internetangebot bei einer Stichprobenuntersuchung im November sechs 2-Raum-Wohnungen auf, die für 443,98 Euro bruttowarm angeboten werden. Die Bemessungsgrenze für 2-Personen-Haushalte liegt bei 444 Euro.

Aus den Vivacon-Blöcken des Grazer Damms berichteten Mieter/innen, dass die Verwaltung bei der Modernisierungsumlage für die Balkonanbauten bei ALG-II-Haushalten auf einen Teil der Umlage verzichtete, um die Grenzwerte nicht zu überschreiten. Eine vermietete Wohnung ist eben auch für Finanzinvestoren die Grundlage für das Geschäft.

Perspektive Discountwohnen

Die Beispiele zeigen, dass sich die Finanzinvestoren auf dem Berliner Wohnungsmarkt ganz bewusst an den sozialpolitischen Vorgaben und Richtlinien im Zusammenhang mit Hartz IV orientieren. Da sich die bisherigen Verwertungsstrategien auf die Umwandlung und Aufwertung kleinerer Bestände sowie eine Rationalisierung der Verwaltungsabläufe konzentriert, steht die Etablierung eines Billigmarktsegments nicht im Widerspruch zu den Renditeinteressen der Anleger. Im Gegenteil: Eine über die Sozialkassen des Landes finanzierte Garantiemiete ist die Voraussetzung für gewinnbringende Extra-Aktivitäten. Denn ein hoher Vermietungsstand und regelmäßige Mieteinnahmen reichen in der Regel aus, um die laufenden Kreditkosten der mit viel Fremdkapital erworbenen Wohnungsunternehmen zu refinanzieren. Modernisierungen und Einzelverkäufe hingegen sichern die hohe Verzinsung des (geringeren) Eigenkapitalanteils.

In Dresden (wo mit der Wohnungsbaugesellschaft WOBA alle kommunalen Wohnungen an Fortress verkauft wurden) befürchten die Wohnungsgenossenschaften sogar steigende Leerstandszahlen in ihren Beständen, weil sie davon ausgehen, dass Fortress sich mit Dumpingpreisen am lokalen Wohnungsmarkt durchsetzen will. In Berlin stehen die Finanzinvestoren eher in Konkurrenz zu den verbliebenen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Ein Wettbewerb um die billigste und sparsamste Wohnungsverwaltung jedoch würde den sozialen Charakter öffentlicher Wohnungsbestände endgültig infrage stellen und ganz in der Argumentationslinie des Finanzsenators liegen, der ja keine Vorteile in öffentlichem Wohnungsbestand erkennen kann.

Doch auch für künftige Investitionsstrategien kann die Kalkulation mit Angemessenheitsgrenzen von Vorteil sein. Ergibt sich zu einem späteren Zeitpunkt die Chance für eine Umwandlung oder Aufwertung einzelner Bestände, können schon kleinste Mieterhöhungen einen Auszug der Mieter/innen provozieren. Im günstigsten Fall wird die Wohnung über die Umzugsaufforderung des Jobcenters frei für eine weitere Verwertung. Insofern ist die Orientierung der Finanzinvestoren an den Hartz-IV-Bemessungsgrenzen kein Grund zur Entwarnung.

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