MieterEcho 315/April 2006: Sächsischer Ausverkauf

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MieterEcho 315/April 2006

 PRIVATISIERUNG

Sächsischer Ausverkauf

Schlagabtausch in Dresden: Von "Privatisierungswahn" und "ideologischer Symbolpolitik"

Andrej Holm

Mit knapper Mehrheit entschieden die Dresdner Stadträte am 09.03.2006 für den Komplettverkauf der Woba und somit für die Veräußerung des gesamten kommunalen Wohnungsbestands. Etwa 48.000 Wohnungen gingen für 1,7 Milliarden Euro an den US-amerikanischen Private-Equity-Fonds Fortress.

Oberbürgermeister Roßberg will mit den Einnahmen die Schulden der Stadt tilgen und ein wenig Geld auf die hohe Kante legen. Die Privatisierungsfreunde von Welt bis Handelsblatt bejubeln den "Dresdner Coup" und ernennen die sächsischen Stadträte zur "Avantgarde der deutschen Kommunalpolitik" (Zeit, 10.03.2006). Dresden wird zur "ersten schuldenfreien deutschen Großstadt" (Financial Times Deutschland, 10.03.2006) stilisiert - doch sie ist vor allem eines: die erste deutsche Großstadt ohne einen eigenen Wohnungsbestand.

Kaum eine Wohnungsprivatisierung der vergangenen Jahre - und es gab ja einige - wurde medial so intensiv begleitet wie der Verkauf der Woba-Dresden GmbH (Woba). Die Dresdner Entscheidung wurde von Journalisten belagert, das MDR-Fernsehen schaltete live ins Rathaus und der ARD-Hörfunk sendete deutschlandweit. Der Plenarsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt und wegen des großen Interesses musste sogar der benachbarte Festsaal geöffnet werden.

Der Grund dafür lag in der Radikalität der sächsischen Verkaufsabsichten - es ging nicht um städtische Anteile oder Teilbestände oder den Verkauf einer von mehreren städtischen Wohnungsbaugesellschaften, sondern um einen Total-Ausverkauf. Abwägungen gab es keine: Wie viele Wohnungen braucht die Stadt? Welche Bestände sollen privatisiert werden? Ist die Privatisierung eine Teilstrategie für die wirtschaftliche Stabilisierung des kommunalen Wohnungsunternehmens? So standen sich Befürworter/innen und Gegner/innen der Privatisierung in aller Schärfe gegenüber. Für die einen steht Dresden für den erwünschten Rückzug der öffentlichen Hand aus der Wohnungsversorgung - für die anderen ist es der Ausverkauf einer letzten Bastion des Sozialstaats.

Haushaltslüge einmal anders

Das Märchen von dem auf einen Schlag entschuldeten Haushalt spielte in den Argumenten für die Privatisierung eine zentrale Rolle und lässt sich auf den ersten Blick auch wesentlich glänzender darstellen als ein haushaltspolitischer "Notlagenverkauf", wie wir es aus Berlin kennen.

Und dennoch: Auch die Haushaltsargumentation in Dresden war vor allem eine gelungene Legitimationsstrategie. Von den eingenommenen 1,7 Milliarden Euro müssen die Verbindlichkeiten der Woba selbst abgezogen werden - übrig bleiben 981,7 Millionen Euro, abzüglich etwa 123 Millionen Euro für Honorare, Bankgebühren und Kreditermächtigungen (Financial Times Deutschland, 15.03. 2006). Von den restlichen 858,7 Millionen Euro sollen die 741 Millionen Euro Schulden der Stadt beglichen werden. Bleiben noch über 100 Millionen Euro zur zusätzlichen Verwendung für den Kämmerer. Soweit die Zahlen.

Die Privatisierung der Woba soll jährlich 75 Millionen Euro Zinszahlungen einsparen. Das macht beim Dresdner Gesamthaushalt von 1,8 Milliarden Euro nicht einmal 5% aus. Von einer drückenden Schuldenlast und einer Kommune am Rande der Handlungsfähigkeit kann also bei Dresden nicht die Rede sein. Darüber hinaus verdeckt die Argumentation den Charakter der bisherigen Ausgabenstruktur im Dresdner Haushalt: Die Zinszahlungen finanzieren nicht die Anschaffung besonders wertvoller Sachgüter, sondern dienen vor allem der Deckung laufender Ausgaben. Aber laufende Ausgaben müssen langfristig durch laufende Einnahmen getragen werden und nicht durch einmaliges Verscherbeln von Tafelsilber. Der Fall Dresden demonstriert, dass "Haushaltsfragen" zu einem flexiblen Argument der Privatisierungspolitik geworden sind.

Linkspartei im Schlingerkurs

Die Mehrheitsverhältnisse im Dresdner Stadtrat waren knapp. Die Pro-Privatisierungs-Stadträte von CDU und FDP standen Verkaufsgegnern von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegenüber. Das Zünglein an der Waage spielte die in dieser Frage zerstrittene Linkspartei: 9 (von insgesamt 17) Linkspartei-Stimmen für die Privatisierung reichten, um 100 Jahre kommunalen Wohnungsbau in Dresden zu beenden.

Oskar Lafontaine hat mit seiner scharfen Kritik gegen den "Privatisierungswahn" die Debatte innerhalb der Partei eingeläutet. Offene Briefe der Dresdner Privatisierungslobbyisten um Christine Ostrowski, Positionspapiere für den kommenden Parteitag und eine Hand voll Interviews der Parteiprominenz um Gysi, Kipping und Co. dokumentieren den Schlagabtausch im linken Lager. Doch der Streit geht über die Dresdner Verkaufspläne hinaus. Es geht um eine bundespolitische Positionierung der neuen Linkspartei. Privatisierung wird dabei zu einem zentralen Konfliktpunkt für oder gegen die neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft erhoben.

Auch wenn die sächsische Bundestagsabgeordnete Katja Kipping findet, der Widerstand gegen die Privatisierung sei nun noch schwerer, weil selbst die Linke darin verwickelt sei, so ist das Thema jetzt zumindest auf dem Tisch und auch die Privatisierungskritik ist wahrnehmbar geworden. Doch beim Aufbau einer politischen Position darf es nicht bei der Lafontainschen Verteidigung der letzten Sozialstaatsreste bleiben - es geht vielmehr um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der globalen Enteignungsökonomie. In diesem Sinne ist öffentliches Eigentum an Wohnungen vielleicht nicht die einzige Form, um auch langfristig eine soziale Wohnungsversorgung zu sichern, aber sie ist der aktuell wohl effektivste Weg, den internationalen Anlagefonds den Zugriff auf unsere Städte zu verwehren.

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