Urban 2000
URBAN 21 - und die Welt wird zur Scheibe ...
Ein Reader zum "WELTBERICHT für die Zukunft der Städte. URBAN 21"
Editorial
Die in Berlin stattfindende Weltkonferenz URBAN 21 ist die Fortsetzung der Rio-Konferenz von 1992, auf der sich die Staaten zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung verpflichteten – und Basisinitiativen, Nichtregierungsorganisationen sowie selbstorganisierten Zusammenschlüssen von Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme geben wollten. Wollten, denn bereits auf der Weltsiedlungskonferenz in Istanbul 1996, HABITAT II, war davon keine Rede mehr. Auf der Sonder-Generalversammlung der Vereinten Nationen "Rio + 5" (1997) starteten die Regierungen von Brasilien, Deutschland, Singapur und Südafrika ihre "Globale Initiative für nachhaltige Entwicklung", die, so der Anspruch, "weltweit Lösungen für eine sozial- und umweltverträgliche Stadtentwicklung" finden will und zu diesem Behufe eine stärkere fachliche Ausrichtung für den Bereich der städtischen Politik anstrebt. Mit drei Regionalkonferenzen in Singapur (April 1999), Essen (September 1999) und Pretoria (März 2000) sowie Rio de Janeiro (April 2000) wurde der Höhepunkt dieser Initiative in Berlin vorbereitet.
Ziel der Konferenz ist es unter anderem, ein Abschluss-Kommuniqué zur Gestaltung der Zukunft der Städte zu verabschieden, das »an stadtpolitischen Dokumenten, die in der Vergangenheit Maßstäbe gesetzt haben, zu messen sein« soll (URBAN 21 - Ankündigung).
Unter dem Titel Reinventing the City – Urban Future 21 ist dieses Papier vor einigen Monaten als Executive Summary erschienen. Unter der Federführung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wurde es von der "empirica Gesellschaft für Struktur- und Stadtforschung mbH" erstellt. Namentlich waren der empirica-Geschäftsführer Christian Pfeiffer und der in London lehrende Soziologe Peter Hall mit der Erarbeitung des Papiers betraut. Vor knapp vier Wochen erblickte – mit z.T. bemerkenswerten Änderungen – auch die deutsche Fassung das Licht der Öffentlichkeit: "Weltbericht für die Zukunft der Städte. URBAN 21" geheißen. Das für die "Weltkonferenz der Städte" vorbereitete Papier zeichnet sich, höflich formuliert, durch eine Ansammlung von Aporien, Banalitäten und Chimären aus und kann so mit gutem Grund als das neoliberale ABC für die Städte des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden.
Das Papier kondensiert in seinem durchgängig neoliberalen Duktus die Städte der Welt zu drei urbanen Formationen, die durch good governance (also "gutes Regierungs- und Verwaltungshandeln") nachhaltig gestaltet werden sollen. Da gibt es dann arme Städte, die von spontanem, überproportionalem (Bevölkerungs)Wachstum und informeller Ökonomie gekennzeichnet sind; Städte mittleren Wohlstands, die noch einen rapiden Wachstumsprozess durchlaufen, deren Bevölkerung aber nur noch langsam wächst; und die reifen, alternden Städte mit mäßigem Wachstum. In einem globalen Netzwerk könnten all diese Abziehbildchen von Stadt voneinander lernen (Stichwort: best practice) und so Glück und Frieden über ihrer BewohnerInnen ausschütten, jedenfalls dann, wenn sie bereit sind, "empirica" und der Bundesregierung zu glauben und folgen. Die Berliner MieterGemeinschaft hat, nicht wegen der (fehlenden) Qualität des Papieres, sondern wegen der nicht von der Hand zu weisenden Befürchtung, das dessen message tatsächlich Grundlage auch für praktisches städtisches Handeln wird, eine Reihe von befreundeten internationalen StadtexpertInnen - unter ihnen Soziologen, Planer, Geographen und Politikwissenschaftler - gebeten, sich mit dem Papier auseinander zu setzen. Die Dokumentation dieser Texte und die zentralen Kapitel des Weltberichtes legen wir hiermit vor.
Dem Inhaltsverzeichnis sind die AutorInnen dieser Publikation zu entnehmen, die leider nur sehr kurzfristig geplant und umgesetzt werden konnte. So haben weitere 30 befreundete WissenschaftlerInnen ihr Interesse an einer Debatte und eigenen Beiträgen bekundet, aus terminlichen Gründen jedoch zunächst absagen müssen. Ihnen allen gilt unser ausdrücklicher Dank. Dank im übrigen auch allen anderen Beteiligten, insbesondere auch den unentgeltlich arbeitenden ÜbersetzerInnen.
Noch ein paar Anmerkungen zum Vorgehen: Alle AutorInnen erhielten von uns die englischsprachige Fassung, einige bezogen sich aber auch auf die deutsche; insofern sind einige Seitenangaben entsprechend unterschiedlich bezeichnet. Unsere Bitte um Kommentierung des Weltberichtes richtete sich zentral auf fünf von uns entwickelte Fragestellungen, bot aber auch die Möglichkeit, sich unabhängig davon mit dem Papier auseinander zu setzen. Die Fragen seien hier dokumentiert:
- Ein Kernbegriff des emirica-Papiers ist "good governance". Neben den ideologischen Vorannahmen, stehen für uns auch die strategischen Optionen dieses Konzeptes zur Disposition. Kann "good governance" das harmonisierende Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Kräfte bewirken oder sind unversöhnliche soziale Gegensätze nur kontrovers auszuhandeln?
- Der Bericht legt nahe, Armut sei Ergebnis unzureichender Bildung, zu der angeblich alle gleichberechtigten Zugang hätten. Aber existieren nicht schon längst immer weiter auseinander driftende Bildungsklassen? Darüber hinaus ist auch die Frage zu stellen, ob hier wirklich an "Bildung" oder nicht eher an "Erziehung" zu Gunsten neoliberaler Profitmaximierung gedacht wird.
- International versuchen lokale Regierungen, Städte für mittelständische Eliten attraktiver zu machen. Stimmt aber die dahinterstehende Vorstellung, dass, was dem Mittelstand diene, auch der Stadt insgesamt nutze? Oder ist nicht vielmehr die Herausbildung urbaner Eliten dem selben Prozeß geschuldet, der auch eine lokal zu verortende neue Unterklasse schafft?
- Das vorliegende Papier verficht eine neoliberale Wirtschaftspolitik mit der Hoffnung auf eine weltweite Wohlstandsmehrung. Insbesondere public privat partnership und eine Abkopplung bisher öffentlicher Dienstleistungen von den Quellen gesellschaftlichen Reichtums werden als Voraussetzung für soziale Integration dargestellt. Aber verstärken nicht gerade der Abbau bisheriger Wohlfahrtssysteme, die Deregulierung erkämpfter Arbeits- und Sozialstandards und die flächendeckende Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und Güter eine gesellschaftliche Polarisierung?
- Sind die hier angedeuteten - in dem Bericht vertretenen Thesen - Ausdruck einer Gesamtstrategie? Wenn ja, wie könnte man sie beschreiben?
Die Redaktion des MieterEcho, deren "Arbeitsgruppe Enquete" für diese Publikation verantwortlich zeichnet, hat sich bereits in ihrem Heft vom Juni 2000 (Nr. 280) sowohl mit den Verfassern des Weltberichtes, der Rolle der "empirica Gesellschaft" und dem historischen Kontext beschäftigt und auch das »Maßstäbe setzende Papier« selbst in einem ersten Anlauf gewürdigt. Es ist beabsichtigt, diese Diskussion fortzuführen. Der vorliegende Reader soll dazu ein erster Beitrag sein. Diskussionen allein werden freilich die avisierten Angriffe der neoliberalen Nachhaltigkeitsstrategen mit ihren good governance-Allüren rund um URBAN 21 nicht beeindrucken...
Volker Eick
Berlin, Juni 2000