Urban 2000
Die Stadt wiedererfinden - Urbane Zukunft 21
(Zusammenfassung) "Weltbericht für die Zukunft der Städte"
empirica GmbH
Das 21. Jahrhundert wird das erste des Städtischen sein. Schon heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Am Ende des kommenden Jahrhunderts wird fast die ganze Welt in einem einzigen globalen Städtenetzwerk zusammenleben. Alle Menschen in allen Städten der Welt werden gemeinsame Anliegen teilen: Sie wollen bezahlbare Häuser besitzen, anständig entlohnte Arbeit finden, Zugang zu sauberer Luft, Wasser, modernen Sanitäreinrichtungen und bezahlbarer Gesundheitsversorgung haben, ihre Kinder in gute Schulen schicken, schnell und bequem zu ihrem Arbeitsplatz und wieder zurück pendeln, in einer sauberen, grünen, sicheren und kulturell pulsierenden Umgebung leben und das Gefühl haben, dass sie als wahrhafte treuhänderische Verwalter in ihren Städten leben. Weltweit stehen die Städte vor der gleichen Herausforderung: Wie bringt man physische Veränderungen und die Planung von unentbehrlicher Infrastruktur in Einklang mit der Bewahrung von einmaligen Naturschätzen, landschaftlicher Schönheit, historischem Erbe und kultureller Individualität und der Aufrechterhaltung der Sicherheit für die Einwohner.
Good governance muss das Instrument zur Förderung des gemeinschaftlichen Zieles einer nachhaltigen Entwicklung in all ihren Dimensionen sein.
Die erfolgreichen Städte des 21. Jahrhunderts können aus den Erfahrungen derjenigen Städte lernen, die Ende des 20. Jahrhunderts ihre Entwicklung erfolgreich bewerkstelligt haben. Im Kern wird es darum gehen, von anderen zu lernen und an deren Beispiel zu wachsen, so dass kreative und innovative Lösungen entstehen und sie wiederum zu den Städten mit den besten Praktiken (best practice) des 21. Jahrhunderts machen.
Ohne entschiedenes lokalpolitisches Handeln in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, das von der Überzeugung getragen sein muss, dass diese Anliegen zu den staatsbürgerlichen Grundrechten gehören, werden die Städte diese Ziele allerdings nicht erreichen. Im Gegenteil: Nach den gegenwärtigen Trends zu urteilen, wird sich die Zahl der städtischen Armen in den nächsten 25 Jahren verdoppeln ebenso wie die Fläche der von ihnen bewohnten Elendsviertel.
Dies ist jedoch kein vorbestimmtes Ergebnis: Die Stadtbewohner sind nicht dazu verdammt, für immer so zu leben. Weltweit können Menschen in den Städten - sogar die Ärmsten unter ihnen - sich selbst in Macht setzen (empower), um Wege aus ihren gegenwärtigen vielfachen Zwangslagen zu finden. Während urbane Ökonomien ihren Schwerpunkt von der Güterproduktion auf die Bereitstellung von Dienstleistungen verlagern, werden Städte zunehmend dazu in der Lage sein, sich von ihrer traditionellen Rohstoffbasis zu emanzipieren und ihr wirtschaftliches Schicksal in eigene Hände zu nehmen. Durch die Entwicklung ihrer eigenen Humankapital-Ressourcen, ihrer eigenen wirksamen politischen und ökonomischen Organisation sowie ihrer eigenen erfolgreichen good governance-Praxis, werden sie sich selbst befreien können.
Damit sie wirklich erfolgreich sein können, brauchen die Städte des 21. Jahrhunderts größere Autonomie. Nach einem lange währenden Zeitalter, in welchem zentralisierte Regierungsmacht die Norm war, muss eine neues Machtverhältnis hergestellt werden. Die Städte sollten im neuen urbanen Jahrhundert wenigstens die Mittel für die Inkraftsetzung (empowerment) ihrer selbst und ihrer Bürger finden. Letzteren muss ein angemessenes Maß an Verantwortung gewährt werden, und es muss ihnen die Macht gegeben werden, dieser Verantwortung durch die Mobilisierung entsprechender Ressourcen zu begegnen. Deshalb muss jede Stadt ihre eigene Steuer- und Ressourcenbasis haben, damit sie eine eigene umfassende Grundversorgung anbieten kann.
Städte werden immer eine zweifache wirtschaftliche Aufgabe haben: Zum einen müssen sie ihre eigenen lokalen Märkte, vor allem ihre örtlichen Arbeitsmärkte, ihre lokale Infrastruktur und ihren Wohnungsbestand entwickeln, um attraktive Orte zum Arbeiten und Leben zu werden. Dies ist die Voraussetzung für örtliches Wohlbefinden und erfolgreiche internationale Wettbewerbsfähigkeit. Sie müssen unterstützende Nachbarschaftsnetze entwickeln und zwar in erster Linie im informellen Sektor, der nach wie vor viele der übermäßig wachsenden Städte dominiert. Für die Schwachen, für die Alten, die nicht mehr arbeiten können, und für die Jugend, die erst noch ausgebildet werden muss, damit sie aktive und produktive Bürger werden, müssen sie soziale Dienstleistungen entwickeln. Das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen der Familie (für die meisten Menschen nach wie vor die einzige vertraute Unterstützungsgruppe), den informellen Nachbarschaftsnetzen und den öffentlichen Wohlfahrtsinstitutionen müssen sie schützen. Das wird nicht einfach, wie das traurige Beispiel der überlasteten Wohlfahrtssysteme der ausgewachsenen Städte zeigt.
Aufgrund des weltweiten Wettbewerbs werden die Städte des 21. Jahrhunderts zum anderen immer stärker in globale Produktions- und Austauschnetzwerke eingebunden sein. Deshalb wird lokale Autonomie umso dringender benötigt. Denn jede Stadt wird immer mehr um ihr wirtschaftliches Wohlergehen wetteifern müssen, indem sie ihren endogenen Humankapital-Bestand entwickelt, effektive öffentliche Dienste als wichtige Vorleistung für private Betriebe erbringt, Gelegenheiten für qualitativ hochwertige Lebensstile schafft, um so qualifizierte Beschäftigte anzuziehen, und die angemessene Mischung von miteinander konkurrierenden Aktivitäten austariert.
Vor diesem Hintergrund ist es erste Aufgabe, eine förderliche Umgebung zu schaffen, die es allen - einschließlich der ärmsten Menschen in den informellen Nachbarschaften - ermöglicht, ein Netzwerk von Chancen anzuzapfen, in der sich kleine örtliche Unternehmen eine Grundlage schaffen können, um erfolgreich im Außenhandel und in den Außenmärkten zu bestehen und in der lokalen Anbietern billig und effektiv die Mittel zur Befriedigung der täglichen Bedürfnisse der Menschen zur Verfügung gestellt werden können.
Diese doppelte Aufgabe, nämlich innere und äußere Wirtschaftsentwicklung zu fördern - verlangt in den verschiedenen Städten nach unterschiedlichen Visionen und Konzepten.
In den armen, von übermäßigem Wachstum geprägten, Städten brauchen die Bürger Unterstützung, damit sie sich selbst befreien können. Besonders Menschen in informellen Siedlungen brauchen in erster Linie verbesserten Zugang zu ausgedehnteren Netzwerken, zu Kleinkrediten und zu einer besseren Güterversorgung oder Baumaterialien.
In den Städten mit mittlerem Einkommen, denen eine schnelle ökonomische Entwicklung widerfährt, sollte die Stadtverwaltung zum Partner derjenigen Privatunternehmen werden, die den bedeutsamen strukturellen Übergang von hauptsächlich produktionsorientierter industrieller Ökonomie zur Informations-Dienstleistungsökonomie vollziehen.
In den ausgewachsenen, alternden Städten wirkt die Aufgabe - nämlich sowohl die Privatwirtschaft als auch, und sogar mehr, ihren ausgedehnten öffentlichen Sektor umzubauen - genauso einschüchternd. Um den Übergang zum Informationszeitalter zu meistern, müssen als Antwort auf die permanent sich verändernde ökonomische Umgebung zum Mittel der Deregulierung greifen.
Das wirkliche Versprechen und die Hoffnung des nächsten Jahrhunderts bestehen darin, dass die Armen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit von ihrem historischen tagtäglichen Überlebenskampf befreit werden, indem die endlich durch bessere Bildung und Ausbildung sowie billigere und effektivere Kommunikation in Macht gesetzt (empowered) werden, für sich selbst ein gesünderes und produktiveres Leben zu realisieren. Die sinkenden Geburtenrate wird in einer nach der anderen Stadt den Zugang zu guter Bildung bedeutend verbessern und Investitionen in den Wohnungsbau, die Infrastruktur und kapitalintensivere hochqualifizierte Arbeitsplätze beschleunigen.
Am Ende des 20. Jahrhunderts sind viele städtische Lebensmuster - angefangen von unserer weit verbreiteten Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor bis hin zu den Energiequellen, die wir zum Heizen und Kühlen unserer Gebäude benutzen - nicht nachhaltig und haben keine längerfristige Zukunft. Viel zu viele der drängenden Probleme der städtischen Umwelt - Luftverschmutzung, Übernutzung der Wasservorräte, Abbau von Ressourcen - halten sich nicht an Grenzen und bedrohen unsere Gesundheit, unseren Wohlstand und letztlich unsere Arbeit sowie unser Wohlergehen. Deshalb müssen wir die Stadt für das 21. Jahrhundert wiedererfinden (re-invent), indem wir eine neue Art der Ökostadt entwickeln, unsere Rohstoffe recyceln und von erneuerbaren Energien leben. Wir sollten viele unserer traditionellen städtischen Technologien des 20. Jahrhunderts wiedererfinden, an erster Stelle unsere Energiesysteme.
Das ist nicht nur notwendig, es ist gänzlich möglich. Bereits bestehende Technologien werden uns das emissionsfreie Auto, das Null-Energie-Haus und die Stadt, die zunehmend ihre Ressourcen recycelt, liefern. Es bedarf lediglich der Beschleunigung ihrer Entwicklung und ihrer Verbreitung. Die sozio-politischen Institutionen müssen einen ähnlichen Prozess der Wiedererfindung durchlaufen. Städte müssen ihre Verwaltungen dezentralisieren und private Märkte nutzen, um öffentliche Ziele zu erreichen. Sie müssen integrierte Verkehrssysteme lenken, billigeren Boden bereitstellen sowie den privaten und den informellen Sektor bei der Entwicklung angenehmer, gut gestalteter und reibungslos funktionierender neuer Nachbarschaften unterstützen.
Die Stadt am Ausgang des 20. Jahrhunderts war ein Ort, der von hierarchisierter Massenbeschäftigung und Massenproduktion in riesigen Unternehmen dominiert war. Das Bild der Stadt am Ausgang des 21. Jahrhunderts wird von Netzwerken kleiner Produzenten und Dienstleistungsunternehmen geprägt sein, die die ökonomische Basis für Dezentralisierung, vielfältige Entscheidungsfindungsprozesse und die Inmachtsetzung (empowerment) der Bürger bereitstellen.
Übersetzung aus dem Englischen: Erwin Riedmann
© 2000-2003 Berliner MieterGemeinschaft e.V.