Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Kündigung wegen Zahlungsverzugs

Die Frage, ob eine Pflichtverletzung des Mieters nicht unerheblich ist und zu einer ordentlichen Kündigung berechtigt, ist durch eine Gesamtschau zu ermitteln, bei der die Verletzungshandlung des Mieters und sein Verschulden abgewogen sowie geprüft werden muss, ob die Kündigung des Vermieters eine angemessene Reaktion ist. Dabei sind die Art der Pflichtverletzung, das bisherige Verhalten des Mieters, die Dauer des beanstandungsfreien Wohnens, die Dauer der Pflichtverletzung, die Wiederholungsgefahr, das Verhalten des Mieters nach der Kündigung sowie das eigene Verhalten des Vermieters zu berücksichtigen.

AG Schöneberg, Urteil vom 22.03.2023 – AZ 11 C 73/22 –

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Hans-Christoph Friedmann

Der Vermieter einer Wohnung in Schöneberg verlangte von seiner knapp achtzigjährigen Mieterin im Juni 2019 die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete um 42,31 Euro auf 437,85 Euro ab dem 1. September 2019. Zwar gab es keinen Zweifel, dass die vom Vermieter verlangte Miete nach dem Berliner Mietspiegel 2019 gerechtfertigt war, die Mieterin stimmte jedoch wegen des am 18. Juni 2019 in Kraft getretenen „Mietendeckels“, der die Forderung einer höheren als der an diesem Tag geltenden Miete untersagte, nicht zu. In dem Verhandlungstermin am 25. Februar 2020 wurde vor dem Amtsgericht Schöneberg ein Vergleich geschlossen, wonach der Erhöhungsbetrag während der Geltung des sogenannten „Mietendeckels“ weder gefordert noch entgegengenommen wird; gleichzeitig war die Mieterin nach dem Vergleich für den Fall, dass das Berliner Gesetz für verfassungswidrig erklärt werden sollte, verpflichtet, den Erhöhungsbetrag nachzuzahlen.
Die Mieterin befand sich zum Zeitpunkt der Verhandlung nach einer Hüftoperation in einer Rehaklinik und ließ sich von ihrem Anwalt vertreten. Dieser sandte ihr den Vergleich zu und empfahl gleichzeitig, die Mieterhöhungsbeträge beiseitezulegen und wies darauf hin, dass sie diese gleich an den Vermieter nachzahlen müsse, falls das Bundesverfassungsgericht den „Mietendeckel“ für verfassungswidrig erklärt. Nach Rückkehr aus ihrer Reha war die gesundheitlich stark beeinträchtigte Mieterin zunächst mit der großen Menge an Post, welche sie nach mehreren Wochen Abwesenheit vorfand, überfordert, weshalb sie entgegen ihrer Gewohnheit unter anderem den Brief ihres Anwalts nicht sofort öffnete und in ihrem Mietordner abheftete, sondern beiseite legte.
Als der „Mietendeckel“ im Jahr 2021 tatsächlich vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wurde, hatte die Mieterin längst vergessen, dass es ein Gerichtsverfahren um die Mieterhöhung aus dem Jahr 2019 gegeben hatte. Sie hatte auch den Brief ihres Anwalts aus dem Jahr 2020 noch immer nicht zur Kenntnis genommen. Auch der Vermieter unternahm zunächst nichts, sondern wartete ab, bis ein kündigungsrelevanter Mietrückstand von mehr als zwei Monatsmieten aufgelaufen war. Mit Schreiben seiner Hausverwaltung vom 15.Februar 2022 forderte er die Mieterin dann unter Hinweis auf einen „Vergleich vom 25.Februar 2020“ auf, die Mietrückstände für die Zeit vom 1. September 2019 bis Februar 2020 in Höhe von 1.269,30 Euro bis zum 28. Februar 2022 auszugleichen und ab März 2022 die erhöhte Miete zu zahlen. Da sie den Vergleich nicht kannte, war dieses Schreiben für die Mieterin rätselhaft, was sie der Hausverwaltung auch mit Schreiben vom 23. Februar 2022 mitteilte. Sie bat darin um Übersendung einer Kopie des erwähnten Vergleichs. In ihren Mietunterlagen fand sie nur die Mieterhöhung mit der vorbereiteten, von ihr aber nicht unterzeichneten Zustimmungserklärung. Als Antwort erhielt sie am 1. März 2022 eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs. Die Mieterin widersprach mit Schreiben vom 3. März 2022 der Kündigung, da sie von einem Irrtum der Hausverwaltung ausging, was diesem Schreiben auch zu entnehmen war. Als Antwort erhielt sie eine weitere Kündigung vom 28. März 2022, welche nun auch den weiteren Rückstand für März 2022 aufführte. Daraufhin durchsuchte die Mieterin nochmals alle ihre Unterlagen und fand tatsächlich – gesondert von ihren sonstigen Unterlagen – ein Bündel Briefe mit dem Schriftverkehr zu dem Gerichtsprozess aus dem Jahr 2019/2020.
Sie zahlte daraufhin am 1. April 2022 sofort den gesamten Mietrückstand und änderte ihren Dauerauftrag entsprechend. Der Vermieter hielt jedoch an seiner Kündigung fest und verklagte die Mieterin auf Räumung und Herausgabe der Wohnung. Nachdem die fristlosen Kündigungen jedenfalls aufgrund der vollständigen Zahlung der Mieterin innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB unwirksam geworden waren, hatte das Amtsgericht Schöneberg nun noch zu beurteilen, ob die gleichzeitig erklärten ordentlichen Kündigungen des Vermieters das Mietverhältnis beendet hatten. Dies verneinte das Amtsgericht nach der gebotenen Gesamtabwägung der Umstände, da es nach seiner Auffassung an einer Erheblichkeit der Pflichtverletzung der Mieterin fehlte, und wies die Klage des Vermieters ab. Zwar habe die Mieterin leichtfertig gehandelt, als sie auf die Mahnungen und sogar auf die erste Kündigung hin nicht sofort das Naheliegende getan und kurzfristig den Anwalt kontaktiert hatte, der sie regelmäßig in Prozessen vertritt. Dennoch habe ihr Pflichtverstoß kein ausreichendes Gewicht. Das Alter der Beklagten und ihr Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt würden zwar nicht entschuldigen, aber nachvollziehbar machen, warum sie die Sachlage nicht richtig überblickt habe. Außerdem berücksichtigte das Gericht, dass das Mietverhältnis seit 1970, also seit über 50 Jahren beanstandungsfrei verlaufen war und die Mieterin außerdem die Miete über einen Dauerauftrag zahlte und auch weiter zahlt, sodass kein Anhaltspunkt für eine Wiederholungsgefahr bestehe. Zudem hielt das Gericht auch die Kündigung nicht für eine angemessene Reaktion des Vermieters. In der Regel fordere ein Vermieter, wenn die Miete unterzahlt wird, zeitnah zur Nachzahlung auf. Stattdessen habe der Vermieter hier fast ein Jahr abgewartet, bis ein Rückstand aufgelaufen war, der zur Kündigung berechtigt. Hierzu führte das Gericht aus: „Auf die Bitte einer langjährigen, bis dahin zuverlässigen und darüber hinaus betagten Mieterin darf man erwarten, dass die Vermieter ihrer Bitte nachkommen. Tun sie dies nicht und kündigen stattdessen sofort den Mietvertrag, entsteht der Eindruck, die (Vermieter) hätten nur auf die Möglichkeit gewartet, das Mietverhältnis beenden zu können. Dann sind sie aber nicht besonders schutzwürdig. “


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