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Mietrecht

Urteile

Kündigung wegen Eigenbedarfs und Härtegründe

Eine Mieterin kann auch bei einer begründeten Eigenbedarfskündigung die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen, wenn ein Umzug die unmittelbare Gefahr der Verschlechterung der gesundheitlichen und psychischen Situation der Mieterin bedeuten würde.

AG Kreuzberg, Urteil vom 11.01.2022 – AZ 6 C 61/20 –

Mitgeteilt von Rechtsanwältin Franziska Dams

Die Vermieter einer Wohnung in Kreuzberg kündigten der dort seit über 20 Jahren lebenden Mieterin wegen Eigenbedarfs. Einer der Vermieter wollte die Wohnung seinem 25-jährigen Sohn, welcher die Wohnung gemeinsam mit einem Freund nutzen wollte, gegen eine „marktangemessene“ Miete zur Verfügung stellen. Das Gericht war nach Vernehmung des Sohnes sowie seines Großvaters von der Ernsthaftigkeit dieser Nutzungsabsicht überzeugt. Allerdings hatte die Mieterin eingewandt, dass die Räumung der Wohnung für sie wegen ihrer chronischen gesundheitlichen und psychischen Probleme sowie wegen ihrer Verwurzelung in der Wohngegend eine besondere Härte darstellen würde. Das Gericht holte zum gesundheitlichen Zustand der Klägerin ein Sachverständigengutachten ein. Dieses bestätigte das Vorliegen einer schweren rheumatischen Grunderkrankung sowie schwerer psychischer Probleme mit erhöhter Wiederholungsgefahr für Suizide. Das Gericht war auf Grundlage des Gutachtens überzeugt, dass die „unmittelbare Gefahr einer Verschlechterung der psychischen Situation der Beklagten“ weit über das „übliche Maß an Belastungen aufgrund eines Wohnungswechsels“ hinausginge. Außerdem begründe in diesem besonderen Fall auch die lange Wohndauer und die damit einhergehende „Verwurzelung“ eine besondere Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 BGB.Aufgrund der gesundheitlichen Labilität der Mieterin und ihrer geminderten Fähigkeit, Therapieempfehlungen zu folgen, sei ein „strukturierendes Umfeld, welches ihr Halt gibt und in welchem sie ohne besondere Schwierigkeiten in Krisensituationen die notwendigen medizinischen und sozialen Hilfeangebote finden kann, von gesteigerter Bedeutung“ . Auch stellte das Gericht fest, dass das Interesse der Mieterin am Erhalt der Wohnung das Interesse der Vermieter an der Beendigung des Mietverhältnisses überwiegt. Bei dieser Abwägung spielte auch eine Rolle, dass es dem 25-jährigen Sohn des Vermieters einfacher als der Mieterin fallen würde, geeigneten Ersatzwohnraum auf dem Wohnungsmarkt zu finden. Die Räumungsklage der Vermieter wurde daher abgewiesen.


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