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Mietrecht

Urteile

Kündigung wegen Eigenbedarfs für Nichten und Neffen als nahe Verwandte des Vermieters

Leibliche Nichten und Neffen des Vermieters sind kraft ihres nahen Verwandtschaftsverhältnisses zum Vermieter Familienangehörige im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

BGH Urteil vom 27.01.2010 – AZ VIII ZR 159/09 –

Die kinderlose und verwitwete Vermieterin hatte bis zum Alter von 85 Jahren in ihrer Eigentumswohnung gewohnt und zog im Sommer 2004 in eine Seniorenresidenz um. Nach ihrem Umzug vermietete sie ab September 2004 die Wohnung an die Mieter. Im Jahr 2007 übertrug die Vermieterin das Eigentum an der Wohnung an ihre Nichte und ließ sich zugleich ein lebenslanges Nießbrauchrecht eintragen. Durch die Stellung als Nießbraucher blieb sie weiterhin Vermieterin. Im Schenkungsvertrag war darüber hinaus vereinbart, dass die Nichte als Gegenleistung für die Übertragung der Wohnung ihre Tante (die Vermieterin) auf Lebenszeit in deren Haushalt in der Seniorenresidenz zu versorgen und die häusliche Grundpflege zu übernehmen hat.
Landgericht hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen und in seinem Urteil die Ansicht vertreten, dass bereits die Voraussetzungen für eine Eigenbedarfskündigung nicht vorliegen würden, weil die Nichte nicht zu den engen Familienangehörigen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gehören würde. Die Revision der Vermieterin beim BGH war erfolgreich. Nach Ansicht des BGH liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an einer Eigenbedarfskündigung vor, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Hierbei sei das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Nichte nicht zu den Familienangehörigen im Sinne der Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gehören würde.
Der BGH wies auf eine bereits getroffene Entscheidung des BGH hin, derzufolge zwischen Geschwistern ein so enges Verwandtschaftsverhältnis bestehe, dass in diesen Fällen für eine Eigenbedarfskündigung das zusätzliche Merkmal einer besonders engen sozialen Bindung nicht erforderlich sei. Grundsätzlich sei für die Bestimmung des Kreises der durch § 573 Abs. 2 Satz 2 BGB privilegierten Familienangehörigen bei entfernten Verwandten ein zusätzliches Kriterium – wie z. B. konkrete persönliche Beziehungen oder soziale Bindungen – erforderlich. Eine solche Einschränkung bei entfernten Verwandten sei aufgrund des Zwecks des Gesetzes zum Schutz des Mieters erforderlich. Je weitläufiger der Grad der Verwandtschaft oder Schwägerschaft, umso enger müssten die konkreten über die Verwandtschaft hinaus gehenden persönlichen oder sozialen Beziehungen im Einzelfall sein. Nach Ansicht des BGH gehören Nichten und Neffen zwar nicht zu den engsten Verwandten wie Kinder, Eltern oder Geschwister, jedoch sind sie als Kinder der Geschwister immer noch mit dem Vermieter eng verwandt und gehören nicht zu den entfernten Verwandten. Das Gesetz erlaube die Kündigung wegen Eigen- bedarfs bei Familienangehörigen, weil es davon ausgehe, dass zwischen diesen ein besonderes Maß persönlicher Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität bestehe, die die Privilegierung einer Eigenbedarfskündigung zugunsten von Familienangehörigen rechtfertige.
Vom Bestehen einer solchen Verbundenheit ist nach Ansicht des BGH nicht nur bei Geschwistern, sondern auch bei deren Kindern, d. h. den leiblichen Nichten und Neffen des Vermieters, auszugehen.
Zwar ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kein direkter Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffs des Familienangehörigen, die generelle Einbeziehung von Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen sei aber vor dem Hintergrund anderer Regelungen gerechtfertigt, in denen ebenfalls Familienangehörige allein aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung privilegiert würden, ohne dass eine tatsächliche persönliche Verbundenheit im Einzelfall nachgewiesen werden müsse. Einen Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen zu ziehen sei, böten die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen. In diesen Regelungen wird der Kreis der privilegierten Familienangehörigen entsprechend konkretisiert, sodass diejenigen Familienangehörigen, die mit einer Partei in gerader Linie oder bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind, ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. In dieser Regelung kommt nach Ansicht des BGH zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber Nichten und Neffen ohne Weiteres noch als enge Familienangehörige ansieht. Diese gesetzgeberische Wertung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bei der Auslegung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen und rechtfertigt es, Nichten und Neffen auch hier in den Kreis der privilegierten Familienange- hörigen einzubeziehen. Bei einer Eigenbedarfskündigung zu ihren Gunsten bedarf es deshalb – ebenso wie bei Geschwistern des Vermieters – über die Tatsache der Verwandtschaft hinaus nicht eines zusätzlichen ein- schränkenden Tatbestandsmerkmals wie etwa einer tatsächlich bestehenden engen sozialen Bindung zum Vermieter.
Abschließend nahm der BGH zu der vom Amtsgericht festgestellten Unzumutbarkeit und der deshalb gemäß § 308 a ZPO getroffenen Anordnung über die unbefristete – mindestens bis zum 30. September 2009 fortdauernde – Fortsetzung des Mietverhältnisses Stellung.
In diesem Zusammenhang ließ es der BGH offen, ob die Eigenbedarfskündigung für die Mieter wegen der kurzen Mietdauer unzumutbar sei. Zumindest seien seit der Entscheidung des Amtsgerichts weitere eineinhalb Jahre vergangen, sodass das Mietverhältnis insgesamt fünf Jahre gedauert habe. Eine unzumutbar kurze Mietzeit liege daher nicht vor. Andere Gründe, warum die Eigenbedarfskündigung unzumutbar sei, hatten die Mieter nicht vorgetragen, sodass sie vom BGH zur Herausgabe der Wohnung verurteilt wurden.