Mietrecht
Urteile
Kündigung wegen Eigenbedarfs (5)
LG Berlin, Urteil vom 22.08.2013 – AZ 67 S 121/12 –
Erhebliches Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte eine im August 2013 ergangene Entscheidung der 67. Kammer des Landgerichts Berlin zum Eigenbedarf. Der Vermieter und die seit 1987 in ihrer Wohnung lebende Mieterin stritten zunächst um von der Mieterin geltend gemachte Minderungen wegen Mängeln der Wohnung. Mit Schreiben vom 3. März 2010 forderte der Vermieter die Mieterin auf, die geminderten Beträge nachzuzahlen und drohte für den Fall der Nichtzahlung mit der Kündigung des Mietverhältnisses. Die Mieterin zahlte nicht. Mit Schreiben vom 31. März 2010 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos sowie hilfsweise fristgemäß wegen des angeblichen Zahlungsverzugs der Mieterin und wegen – nunmehr erstmals behaupteten – Eigenbedarfs. Der Vermieter, der mit seiner Ehefrau und vier Kindern seit 2008 in Hannover lebt und dort als Chefarzt in zwei Kliniken arbeitet, behauptete, er benötige die Wohnung, um sich dort mit seiner zum Zeitpunkt der Kündigung zehnjährigen Tochter aus einer früheren Beziehung, die mit ihrer Mutter in Berlin lebt, zu treffen. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg glaubte dem Vermieter offenbar nicht und wies die Räumungsklage ab. Zum einen hielt das Amtsgericht es für unwahrscheinlich, dass ein Chefarzt von zwei Kliniken in Hannover mit der entsprechend bekannten Arbeitsbelastung sowie einer fünfköpfigen Familie in Hannover regelmäßig Wochenenden in Berlin verbringen könne, wobei der Vermieter sich hierzu auch nicht detailliert genug geäußert hatte. Zum anderen hielt es den angeblichen Eigennutzungswunsch des Vermieters auch für unglaubwürdig, weil dieser zum Zeitpunkt der Kündigung noch Hauptmieter einer anderen Wohnung in Berlin war, dies aber in der Klageschrift zunächst verschwiegen hatte. Anders sah das erstaunlicherweise die 67. Kammer des Landgerichts Berlin. Sie hob auf die Berufung des Vermieters das Urteil des Amtsgerichts auf und verurteilte die Mieterin zur Räumung. Auch wenn nicht davon auszugehen sei, dass der Vermieter „den überwiegenden Teil der Woche oder eine bestimmte, bereits jetzt feststehende Anzahl von Tagen im Monat in dieser Wohnung verbringen wird“, gehe die 67. Kammer davon aus, dass der Vermieter die Wohnung benötigt. Weiter führte das Landgericht zur Begründung aus, dass das Nutzungsinteresse des Vermieters das Interesse der seit 26 Jahren dort lebenden Mieterin am Erhalt der Wohnung überwiegt. Die Tatsache, dass der Vermieter zunächst verschwiegen hatte, zum Zeitpunkt der Kündigung noch eine andere Wohnung in Berlin zur Verfügung gehabt zu haben, beirrte das Landgericht eben so wenig wie die Tatsache, dass er noch wenige Wochen vor der Kündigung wegen angeblichen Eigenbedarfs ausschließlich wegen des Streits um Mietminderungen mit Kündigung drohte und seinen Eigenbedarf nicht einmal erwähnte. Die Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof hielt das Landgericht ebenfalls nicht für nötig. Die Mieterin hat, wie der Tagespresse zu entnehmen war, gegen das Urteil inzwischen Verfassungsbeschwerde eingelegt (AZ: 1 BvR 2851/13).
Anmerkung: Das vorstehende Urteil wurde nicht nur von der betroffenen Mieterin, sondern auch von Teilen der Presse als skandalös empfunden. Nach der Argumentation der 67. Kammer des Landgerichts Berlin reicht schon die nicht näher bestimmte Absicht eines Vermieters, eine Wohnung an einer völlig unbestimmten Zahl von Tagen besuchsweise nutzen zu wollen, aus, um das Mietverhältnis mit einer langjährigen Mieterin zu kündigen.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dietrich Wolf