Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Kündigung wegen Eigenbedarfs (1)

a) Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB reicht eine sogenannte Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, nicht aus. Vielmehr muss sich der Nutzungswunsch so weit „verdichtet“ haben, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht.
b) Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat um, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substanziiert und plausibel („stimmig“) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand.
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kon-
trolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Absatz 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben.

BGH Beschluss vom 11.10.2016 – AZ VIII ZR 300/15 –

Ein Vermieter kündigte seiner Mieterin zum 31. Januar 2012, da er deren 1-Zimmer-Wohnung „dringend“ benötige, um seine alte, pflegebedürftige Mutter, die allein in ihrem Einfamilienhaus lebte, aufzunehmen. Er verklagte die Mieterin auf Räumung. Im Prozess wurde ein Vergleich geschlossen, wonach die Mieterin bis zum 31. August 2012 aus der Wohnung ausziehen und dafür 1.000 Euro erhalten sollte. Seit der Rückgabe der Wohnung im August 2012 stand diese jedoch leer, die Mutter des Vermieters zog nie dort ein und starb im November 2014. Die Mieterin verklagte daher den Vermieter auf Zahlung von Schadensersatz.
Das Amtsgericht Landsberg am Lech wies ihre Klage ab, ihre Berufung wurde vom Landgericht Augsburg zurückgewiesen. Bereits das Amtsgericht war mehreren Beweisanträgen der Mieterin nicht nachgegangen. So hatte die Mieterin den Arzt der Mutter des Vermieters als Zeugen dafür benannt, dass wohl der Vermieter und seine Geschwister geplant hätten, die Mutter „eventuell“ zu sich zu nehmen, diese selbst jedoch in ihrem Haus versorgt gewesen sei und einen Umzug nicht geplant habe. Weiter benannte die Mieterin einen Zeugen, dem die Mutter des Vermieters in einem Telefonat im Februar 2014 mitgeteilt habe, sie habe „nie“ die Absicht gehabt, aus ihrem Haus auszuziehen. Weder das Amtsgericht, noch – im Berufungsverfahren – das Landgericht hörten die beiden Zeugen an. Auch hielt es das Landgericht für unerheblich, dass der Vermieter sowohl im Kündigungsschreiben als auch in der Klageschrift den Eigenbedarf als „dringend“ bzw. „akut“ bezeichnet hatte, die Wohnung aber tatsächlich nach der Räumung durch die Mieterin im August 2012 bis April 2013 nur als Fahrradabstellraum genutzt wurde. Eigenbedarf setze nämlich weder einen Notfall noch eine Zwangslage voraus.
Diesen Auffassungen ist der Bundesgerichtshof mit seinem Beschluss, mit welchem er die Sache an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwies, in aller Entschiedenheit entgegengetreten. Der zeitliche Ablauf sei „ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Kündigung vom 27. April 2011 zum 31. Januar 2012 eine mögliche spätere Nutzung erst vorbereiten sollte, der Nutzungswunsch der Mutter (…) aber noch unbestimmt war und erst geweckt werden musste“ . Eine solche Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, sei jedoch nicht möglich. Vielmehr müsse sich der Nutzungswunsch dieser Person, hier also der Mutter, soweit verdichtet haben, dass ein konkretes Interesse an der alsbaldigen Eigennutzung besteht. Auch hätte das Berufungsgericht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die von der Mieterin benannten Zeugen vernehmen müssen. Sowohl die Angaben des als Zeugen benannten Arztes der Mutter, wonach nur ihre Kinder, nicht jedoch die Mutter selbst, deren Umzug erwogen hätten, als auch die behauptete Äußerung der Mutter des Vermieters gegenüber dem benannten Zeugen, sie habe nie in die Wohnung ziehen wollen, hätten (sofern diese durch eine Zeugenvernehmung bestätigt worden wären) möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt.
Der Bundesgerichtshof wies das Landgericht außerdem für das weitere Verfahren darauf hin, dass es sich bei der Berufungsinstanz, anders als bei der Revisionsinstanz, um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz handelt. Anders als das Revisionsgericht habe das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen, seine Aufgabe bestehe vielmehr in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung. Bestehe eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit, dass im Fall einer (erneuten) Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sei das Berufungsgericht zur erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet.
Weiter stellte der Bundesgerichtshof klar, dass ein Vermieter, der den behaupteten Selbstnutzungswillen nach Auszug des Mieters nicht in die Tat umsetzt, stimmig darlegen müsse, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hier hatte der Vermieter nur mitgeteilt, dass sich der Gesundheitszustand seiner Mutter im Sommer 2013 verschlechtert habe und ein Umzug deshalb nicht mehr möglich gewesen wäre. Dies hielt das Amtsgericht Landsberg am Lech und mit ihm das Landgericht Augsburg für plausibel, der Bundesgerichtshof dagegen richtigerweise für abwegig. Da die Mieterin die Wohnung bereits im August 2012 zurückgegeben hatte, konnte eine Veränderung im Sommer 2013 kaum erklären, weshalb der „dringende“ Eigenbedarf nicht bereits im Sommer 2012 zeitnah verwirklicht wurde.

 

 


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