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Mietrecht

Urteile

Kündigung trotz besonders schwerwiegenderpersönlicher Härtegründe

a) § 543 Absatz 1 Satz 2 BGB verlangt eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls; dazu gehören auch etwaige Härtegründe auf Seiten des Mieters.
b) Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte im Hinblick auf Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz gehalten, ihre Entscheidung auch verfassungsrechtlich auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das kann bei der Gesamtabwägung nach § 543 Absatz 1 Satz 2 BGB zur Folge haben – was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist –, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe auf Seiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt.

BGH Urteil vom 09.11.2016 – AZ VIII ZR 73/16 –

Eine 1919 geborene, an Demenz erkrankte Mieterin einer 3-Zimmer-Wohnung und einer 1-Zimmer-Wohnung in einem Haus in München hatte die kleinere Wohnung im Jahr 2000 ihrem Betreuer überlassen, der die Mieterin seither ganztägig pflegte. Im Zusammenhang mit diversen Meinungsverschiedenheiten schrieb der Betreuer mehrere grob beleidigende E-Mails an die Vermieterin und ihren Hausverwalter. Unter anderem bezeichnete er sie als „Terroristen“ , „naziähnlichen braunen Misthaufen“ und drohte, er werde sie „in den Knast schicken“ und veranlassen, „seine Stiefel und die benutzte Windel (der Mieterin) zu lecken“ . Das Amtsgericht hat die Klage der Vermieterin abgewiesen. Diese legte Berufung ein. Das Landgericht München hielt die Kündigungen der Vermieterin wegen der fortgesetzten Beleidigungen für wirksam und verurteilte die Mieterin zur Räumung. Dem folgte der Bundesgerichtshof nicht. Das Landgericht habe die in der Person der Mieterin liegenden Härtegründe außer Betracht gelassen. Zwar lägen hier wiederholte schwerwiegende Vertragsverletzungen vor, welche sich die Mieterin auch zurechnen lassen müsse, da sie ihrem Betreuer die 1-Zimmer-Wohnung zum selbstständigen Gebrauch überlassen hatte. Auf ihre persönliche Schuldlosigkeit käme es daher nicht an. Es müssten jedoch die Grundrechte des Mieters, insbesondere das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Rahmen einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dies könne „zur Folge haben – was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist –, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe aufseiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt“ . Diese Prüfung hatte das Landgericht München unterlassen, obwohl die Mieterin hatte darlegen lassen, dass ein erzwungener Wechsel der bisherigen häuslichen Umgebung und Pflegesituation schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen befürchten ließe.