Mietrecht
Urteile
Keine Mietminderung wegen Lärms von einem unmittelbar benachbarten Bolzplatz
Die in § 22 Absatz 1a Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) vorgesehene Privilegierung von Kinderlärm ist auch bei einer Bewertung von Lärmeinwirkungen als Mangel einer gemieteten Wohnung zu berücksichtigen.
Nachträglich erhöhte Geräuschimmissionen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen, begründen bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen grundsätzlich keinen gemäß § 536 Absatz 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung, wenn auch der Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten nach § 906 BGB als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. Insoweit hat der Wohnungsmieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teil.
BGH Urteil vom 29.04.2015 – AZ VIII ZR 197/14 –
Im Jahr 1993 bezogen die Mieter/innen eine Erdgeschosswohnung mit Terrasse in einem Mehrfamilienhaus in Hamburg. Auf dem Nachbargrundstück befand sich bereits damals eine Schule. Im Jahr 2010 wurde auf dem Schulgelände, in 20 m Abstand zur Terrasse der Mieter/innen, ein mit einem Metallzaun umgebener Bolzplatz errichtet. Dieser wird nicht nur für schulische Zwecke genutzt. Mit einem Hinweisschild wird es vielmehr Kindern bis zu einem Alter von 12 Jahren gestattet, den Platz jeweils von montags bis freitags bis 18 Uhr sowie an Wochenenden zu nutzen. In der Folge wurde der Bolzplatz jedoch auch nach 18 Uhr und an den Wochenenden und auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt. Das war mit erheblichen Lärmbelastungen, etwa durch Schüsse mit dem Ball gegen den Metallzaun, verbunden. Die Mieter/innen minderten wegen der Lärmbelästigungen die Miete, worüber es zum Streit mit den Vermietern kam. Der Vermieter klagte auf Zahlung des Minderungsbetrags. Das Amtsgericht wies die Klage des Vermieters ab und hielt eine Minderung in Höhe von 10% der Miete für angemessen. Dagegen legte der Vermieter Berufung beim Landgericht ein. Aber auch das Landgericht Hamburg gestand den Mieter/innen eine Minderung zu, da die über den Schulbetrieb hinausgehende Nutzung auch nach 18 Uhr und an Wochenenden bei Abschluss des Mietvertrags von keiner Seite vorhersehbar gewesen sei. Da die Vorschrift des Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BImSchG § 22 Absatz 1a) erst 2011 in Kraft getreten sei, könnten sich die Vermieter bezüglich des im Jahr 1993 abgeschlossenen Mietvertrags nicht auf diese Vorschrift berufen. Es falle allein in den Risikobereich des Vermieters, wenn er selbst keinen Einfluss auf eine solche Störung durch einen Nachbarn habe. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Landgerichts Hamburg aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Zunächst stellte der Bundesgerichtshof klar, dass § 22 Absatz 1 a BImSchG auch dann zu berücksichtigen wäre, wenn der Mietvertragsabschluss wie hier vor Inkrafttreten der Vorschrift erfolgte. In dieser habe nämlich lediglich die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zumindest angelegte „Verkehrsanschauung zu Art und Maß der als sozialadäquat hinzunehmenden Geräuschimmissionen (…) gesetzlichen Niederschlag“ gefunden.
Das Landgericht habe aber bereits verkannt, dass diese Vorschrift sich nur auf Kinderlärm beziehe, während die Mieter/innen vor allem Lärm durch Jugendliche und junge Erwachsene bemängelten. Auch im Übrigen teilte der Bundesgerichtshof die Rechtsauffassung des Landgerichts Hamburg nicht. Dieses sei bereits zu Unrecht von einem Mangel wegen des Lärms vom Bolzplatz ausgegangen. Ein derartiger Mangel sei jedoch nur dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweiche. Dieser bestimme sich „in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietparteien“ . Gegenstand solcher Vereinbarungen könnten auch Einwirkungen von außen sein. Keinesfalls könne aber – wie vom Landgericht – ohne Weiteres (also ohne konkrete Regelung im Mietvertrag) angenommen werden, dass Vermieter und Mieter/innen bei Vertragsabschluss festgelegt hätten, dass während der unbestimmten Dauer des Mietverhältnisses vom benachbarten Schulgelände keine höheren Lärmeinwirkungen als bei Vertragsbeginn ausgehen dürften. Bei Lärmimmissionen von öffentlichen Straßen und Nachbargrundstücken habe der Vermieter regelmäßig keinen Einfluss darauf, dass die zu Mietbeginn herrschenden Verhältnisse unverändert fortbestehen. Entsprechend könnten Mieter/innen auch nicht erwarten, dass der Vermieter die vertragliche Haftung für den Fortbestand der ursprünglichen Umweltbedingungen übernehmen will. Es komme daher für die Entscheidung der Frage, ob ein Mangel durch den vermehrten Lärm vorliege, darauf an, „welche Regelung die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsabschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung, also die künftige Errichtung eines Bolzplatzes auf dem benachbarten Schulgelände und dessen unbeschränkte Zugänglichkeit und Benutzung durch die Öffentlichkeit über den ‚normalen‘ Schulbetrieb hinaus sowie die dadurch verursachte erhöhte Lärmbelastung bewusst gewesen wäre“ . Der Bundesgerichtshof ging hier davon aus, dass sich Mieter/innen und Vermietern, wenn sie den Eintritt der höheren Lärmbelastung vorausgesehen hätten, zunächst die Frage aufgedrängt hätte, ob Vermieter überhaupt in der Lage sein würden, diese Störungen von den Mieter/innen fernzuhalten. Dass sich die Vermieter unabhängig davon, ob sie selbst den vom Nachbargrundstück ausgehenden Lärm dulden müssen, zur Gewährleistung des ursprünglichen Zustands gegenüber ihren Mieter/innen verpflichtet hätten, liegt jedoch laut Bundesgerichtshof fern. Naheliegend wäre vielmehr, dass sich Vermieter und Mieter/innen darauf verständigt hätten, die „Störung durch Geräuschimmissionen Dritter nur dann als Mangel der Mietwohnung anzusehen“ , wenn die Vermieter selbst diese Beeinträchtigungen durch den Nachbarn „nicht oder nicht entschädigungslos“ dulden müssen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs führen also nachträglich erhöhte Geräuschimmissionen durch Nachbarn jedenfalls dann nicht zu einer Mietminderung, „wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit“ als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. Im vorliegenden Fall müsse das Landgericht daher zunächst noch prüfen, ob die Vermieter die Geräuschimmissionen von der benachbarten Schule selbst zu dulden haben bzw. ob ihnen zumindest ein Ausgleichsanspruch zusteht.
Anmerkung:
Auf den ersten Blick mag die Argumentation des BGH einleuchtend erscheinen. Tatsächlich geht sie einseitig zulasten der Mieter/innen. Wenn auf ein Grundstück neue Lärmbelastungen oder Ähnliches von außen einwirken, wird logischerweise dessen Gebrauchswert geschmälert. Nach Auffassung des BGH darf sich dies jedoch nicht bei dem vermietenden Eigentümer niederschlagen. Für diesen muss das Grundstück denselben Wert behalten, entweder durch Entschädigung des störenden Nachbarn oder durch die ungeminderte Miete der Mieter/innen, die sich – ohne Recht auf Mietminderung – mit einer schlechteren Wohnqualität abfinden müssen.