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Mietrecht

Urteile

Kein Widerruf der Zustimmung zu einer Mieterhöhung nach §§ 558 ff. BGB

Stimmt der Mieter einer Wohnung einer vom Vermieter verlangten Anpassung der Miete an die ortsübliche Vergleichsmiete zu (§ 558a Abs. 1, § 558b Abs. 1 BGB), so steht diesem kein Widerrufsrecht nach Maßgabe der Bestimmungen bei im Fernabsatz geschlossenen Verbraucherverträgen zu (§ 312 Abs. 1, § 312c Abs. 1, § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1 BGB).
Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem im Sinne von § 312c Abs. 1 Halbs. 2 BGB ist nicht schon dann zu verneinen, wenn der Unternehmer zum Abschluss des Vertrages keinen vorgefertigten Standard- oder Serienbrief verwendet, sondern ein individuelles Anschreiben.
(Leitsatz 1 von der MieterEcho-Redaktion)

BGH Urteil – AZ VIII ZR 94/17 –

Der Mieter einer Wohnung in Berlin stimmte einem Mieterhöhungsverlangen seiner Vermieterin vom Juli 2015 zu, widerrief diese Zustimmung jedoch mit Schreiben vom 27.08.2015. Anschließend klagte er gegen seine Vermieterin auf Feststellung, dass die Miete unverändert sei, sowie auf Rückzahlung der bereits – unter Vorbehalt – gezahlten Erhöhungsbeträge. Amts- und Landgericht Berlin entschieden gegen den Mieter. Dabei ist das Landgericht davon ausgegangen, dass im Grundsatz auch bei Zustimmungserklärungen des Mieters zu Mieterhöhungsverlangen (§ 558a Abs. 1, § 558b Abs. 1 BGB) ein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht des Verbrauchers bestehe. Im vorliegenden Fall fehle es jedoch an einem im Fernabsatz geschlossenen Verbrauchervertrag (§ 312c Abs. 1 BGB). Denn die Mieterhöhungsvereinbarung zwischen dem Kläger als Verbraucher und der Beklagten, die gewerblich Wohnungen vermiete, sei zwar unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (Brief), nicht jedoch „im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ (§ 312c Abs. 1 Halbs. 2 BGB) getroffen worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Mieter sein Klagebegehren weiter. Die Klage hatte auch in letzter Instanz keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hielt das Ergebnis, nicht jedoch die Begründung des LG Berlin für richtig. Er führte zur Begründung aus, dass die Regelungen der §§ 312 ff., 355 BGB über das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen auf Mieterhöhungsverlangen nach §§ 558 ff. BGB nicht anwendbar sind. Das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen diene „der Kompensation von Gefahren aufgrund der fehlenden physischen Begegnung von Anbieter und Verbraucher und der in der Regel fehlenden Möglichkeit, die Ware oder Dienstleistung vor Vertragsabschluss in Augenschein zu nehmen. Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz solle daher das typischerweise bestehende und unter Umständen zu Fehlentscheidungen führende Informationsdefizit des Verbrauchers ausgleichen“. Für den entsprechenden Schutz des Mieters bei Mieterhöhungen sei jedoch durch das in § 558 a BGB vorgesehene Erfordernis der Begründung eines Mieterhöhungsverlangens und die dem Mieter in § 558b Abs. 2 BGB eingeräumte angemessene Zustimmungsfrist gesorgt. „Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz“ seien damit uneingeschränkt erfüllt. Diese seien aus diesem Grund auf Mieterhöhungen nach §§ 558 ff. BGB nicht anzuwenden. Ein Widerrufsrecht des Mieters bestehe folglich nicht, er sei an die erklärte Zustimmung gebunden. Gleichzeitig widersprach der Bundesgerichtshof der Auffassung des Landgerichts Berlin, dass Vermieter und Mieter gar keinen „Fernabsatzvertrag“ geschlossen hätten: Der Vermieter müsse dazu keinen vorgefertigten Standard- oder Serienbrief verwenden. Der Annahme eines Fernabsatzvertrags stehe auch ein individuelles Anschreiben nicht entgegen, welches „auf die konkrete Wohnung zugeschnitten und ohne Verwendung automatisierter Software gefertigt worden ist. (…) Ob der Schutzzweck des Widerrufsrechts beeinträchtigt“ sei, hänge „grundsätzlich nicht allein davon ab, ob der Vermieter Mieterhöhungsverlangen durch entsprechende Programmierung insgesamt automatisiert oder ob er teils vorprogrammierte und teils manuell verfasste Textbestandteile verwendet“.
Allerdings seien Mieterhöhungen nach §§ 558 ff. BGB, die während des Bestehens eines Mietverhältnisses im Hinblick auf den Ausschluss der Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung Anpassungen der Miete ermöglichen wollen, zum Schutz des Mieters an bestimmte gesetzliche Voraussetzungen geknüpft. Eine Vertragsverhandlungssituation, die für den Mieter mit einem Überraschungsmoment, mit psychischem Druck oder gar mit der Gefahr der Überrumpelung verbunden ist, besteht typischerweise nicht, wenn der Vermieter ein Mieterhöhungsverlangen nach §§ 558 ff. BGB in der gesetzlich vorgeschriebenen Form an den Mieter heranträgt. Zur Entscheidung, ob der Mieter den Antrag des Vermieters auf Vertragsänderung annehmen soll, räumt das Gesetz dem Mieter damit eine Überlegungsfrist ein, die vertraglich nicht verkürzt werden darf, um ihn vor Entscheidungen unter Zeitdruck zu schützen und ihm die Möglichkeit zu eröffnen, sich über die Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens des Vermieters anhand der von diesem gegebenen Begründungen klar zu werden.
Auch wenn der Vermieter nicht verpflichtet ist, den Mieter über den Lauf der Zustimmungsfrist zu informieren, stellt sie doch sicher, dass dem Mieter eine angemessene Überlegungszeit zur Überprüfung des Mieterhöhungsverlangens und seiner Begründung zur Verfügung steht, bevor er entscheidet, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er ihm zustimmt. Einer sich daran noch anschließenden Widerrufsfrist nach Maßgabe des Fernabsatzrechts bedarf es zum Schutz des Mieters deshalb nicht mehr.


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