Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Hauptmieterwechsel bei einer Wohngemeinschaft

a) Enthält ein Mietvertrag mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, zu einem Austausch einzelner Mieter keine Regelung, ist im Wege einer nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung der auf den Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien den Mietern ein Anspruch gegen den Vermieter auf Zustimmung zu einem künftigen Mieterwechsel zustehen sollte.
b) Allein aus dem Vorliegen eines Mietvertrags mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, kann nicht auf einen derartigen übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien geschlossen werden. Vielmehr bedarf es hierfür konkreter Anhaltspunkte.
c) Nach den Umständen des Einzelfalls kann den Willenserklärungen der Parteien die Vereinbarung eines – unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit des eintretenden Mieters stehenden – Anspruchs der Mieter auf Zustimmung zum Austausch eines Mitmieters insbesondere dann zu entnehmen sein, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend davon ausgingen, dass sich häufig und in kurzen Zeitabständen ein Bedarf für eine Änderung der Zusammensetzung der in der Wohnung lebenden Personen ergeben kann, weil die Mieter voraussichtlich aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände bereits bei Vertragsschluss absehbar nur für einen kurzen Zeitraum an dem jeweiligen Ort leben werden und eine vertragliche Bindung über diesen Zeitraum hinaus nicht eingehen wollen. Dies kann insbesondere bei der Vermietung an Studenten, die eine Wohngemeinschaft bilden, der Fall sein.

BGH Urteil vom 27.04.2022 – AZ VIII ZR 304/21 –

Mitgeteilt von RECHTSANWALT

Im Jahr 2013 mieteten sechs junge Männer im Alter von 25-34 Jahren eine Siebenzimmerwohnung, um diese als Wohngemeinschaft zu nutzen. Mit einem Nachtrag zum Mietvertrag vom 21. Februar 2017 vereinbarten die Vermieterin, die damaligen Mieter und sechs weitere Personen, dass fünf der bisherigen Mieter aus dem Mietverhältnis ausscheiden und dieses mit dem verbleibenden ursprünglichen Mieter sowie den sechs hinzukommenden Personen als Mietern fortgesetzt werde. Gleichzeitig wurde eine Mieterhöhung um rund 240 Euro vereinbart. In einem weiteren Nachtrag zum Mietvertrag wurde im Mai 2017 vereinbart, dass einer der im Februar 2017 eingezogenen neuen Mieter wieder ausscheidet und für ihn stattdessen eine weitere Person neu in das Mietverhältnis eintritt. Eine Mieterhöhung fand dieses Mal nicht statt. Im Oktober 2019 verlangten die Mieter von der Vermieterin die Zustimmung zu einem Austausch von vier Mietern. Neue Mieter sollten vier Personen werden, die zu diesem Zeitpunkt bereits als Untermieter in der Wohnung lebten. Dies lehnte die Vermieterin jedoch ab. Die Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin wies die Klage der Mieter auf Zustimmung zu dem begehrten Austausch von Hauptmietern in zweiter Instanz ebenfalls ab, auch die Revision der Mieter blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof verneinte einen Anspruch der Mieter auf den begehrten Austausch von vier Mietern. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus den vertraglichen Vereinbarungen, da die sechs ursprünglichen Mieter im Mietvertrag als Einzelpersonen aufgeführt seien und nicht etwa als eine „Wohngemeinschaft in Form einer Außen-Gesellschaft bürgerlichen Rechts“. Dass sie gemeinsam als Wohngemeinschaft in der vermieteten Wohnung leben, ändere daran nichts. Auch die beiden Nachträge zum Mietvertrag hätten dessen Konstruktion insoweit nicht verändert. Im Vertrag sei auch nicht vereinbart, „dass den Mietern ein Anspruch auf Zustimmung zu einem künftigen Mieterwechsel zustehen soll oder eine solche Einwilligung vorab erteilt wird“. Vielmehr enthalte der Vertrag zur Frage eines nachträglichen Mieterwechsels keine Regelung. Auch im Wege der Auslegung könnte den Willenserklärungen der Parteien zu Vertragsschluss und zu den Nachträgen eine derartige Vereinbarung nicht entnommen werden. Die Frage, ob sich auch ohne ausdrückliche Vereinbarung aus dem Mietvertrag und den Nachträgen ein Anspruch auf Zustimmung zu künftigen Mieterwechseln ergebe, sei mittels Auslegung der auf den Abschluss des Mietvertrags und der Nachträge gerichteten Erklärungen der Mietparteien zu beantworten. Maßgeblich sei der wirkliche Wille der Mietvertragspartner, geboten sei hier insbesondere eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung der Willenserklärungen, bei der neben allen Umständen des Einzelfalls auch die Gebote von Treu und Glauben zu berücksichtigen sind. 

Der Bundesgerichtshof widerspricht in seinem Urteil einer verbreitet vertretenen Auffassung (so oder ähnlich zum Beispiel die Zivilkammern 65 und 66 des Landgerichts Berlin), wonach sich ein Anspruch auf Zustimmung zum Austausch einzelner Hauptmieter bereits aus dem Mietvertrag ergebe, wenn der Vermieter an mehrere Personen vermietet, deren Zusammenleben für den Vermieter erkennbar von vornherein auf Fluktuation angelegt ist (was insbesondere bei Wohngemeinschaften von Studenten für den Vermieter schon bei Vertragsabschluss erkennbar sei). Eine solche grundsätzliche und schematische Beantwortung der Frage, ob sich aus einem Mietvertrag mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, ein Anspruch auf eine Zustimmung zu einem Mieterwechsel oder gar eine vorweggenommene Einwilligung hierzu ergibt, verbiete sich, da die Auslegung eines Vertrages stets aufgrund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen habe. Im Rahmen dieser Auslegung seien auch die häufig gegenläufigen Interessen der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Das Gesetz sehe ein Recht auf den Wechsel von Mietern im Falle einer Mietermehrheit nicht vor. Den Bedürfnissen der Mieter nach Flexibilität sei durch die Möglichkeit zur Untervermietung sowie die für Mieter kurze Kündigungsfrist ausreichend Rechnung getragen. Eine Vereinbarung, die den Mietern einen Anspruch auf Zustimmung zu Mieterwechseln gewährt, gehe daher über die gesetzliche Regelung deutlich hinaus, was ohne besondere Anhaltspunkte regelmäßig nicht von dem Willen beider Parteien getragen sein dürfte. Ein Recht auf Zustimmung zum Mieterwechsel begünstige die Mieter im Vergleich zu der gesetzlichen Lage erheblich. Für einen Vermieter habe ein solches Recht der Mieter zum Mieterwechsel jedoch im Vergleich zur gesetzlichen Lage erhebliche Nachteile. Unter anderem werde er durch die beständige Aufnahme neuer Mieter in einen bestehenden Vertrag erheblich in der Dispositionsfreiheit bezüglich seiner Wohnung eingeschränkt, unter anderem würden sich seine Möglichkeiten, die Miete zu erhöhen, im Vergleich zu einem Neuabschluss eines Mietvertrages dauerhaft reduzieren. Im Hinblick auf diese häufig gegenläufige Interessenlage von Vermieter und Mietern könne deshalb nicht allein aus dem erheblichen beachtenswerten Interesse der Mieter an einem unkomplizierten und jederzeit möglichen Mieterwechsel auf eine vertragliche Vereinbarung eines Anspruchs auf Zustimmung des Vermieters zu künftigen Austauschbegehren der Mieter geschlossen werden. Vielmehr bedürfe es konkreter Anhaltspunkte, dass der Vermieter den Mietern ein derartiges Recht zugestehen wollte. Bei der Auslegung der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen sei auch zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich Sache der Mieter sei, für eine Vertragsgestaltung zu sorgen, die ihnen einen gesetzlich nicht vorgesehenen Mieterwechsel ermöglicht, da eine solche Vereinbarung vorwiegend in ihrem Interesse liege. Entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten gäbe es. Zum Beispiel könnte ein Mitbewohner als einziger Hauptmieter den Vertrag mit einer entsprechenden Untervermietungserlaubnis abschließen. Denkbar sei auch die Vermietung an eine von den Mietern gegründete (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei der ein Wechsel der in der Wohnung lebenden Personen durch einen Gesellschafterwechsel ermöglicht wird. Diese Möglichkeiten hätten zwar Nachteile im Vergleich zu einem jederzeit möglichen Mieterwechsel durch Austausch. Es widerspräche jedoch einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung, allein wegen der Nachteile der sonstigen Regelungsmöglichkeiten bei einem Mietvertrag mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, von einem vereinbarten Auswechslungsrecht der Mieter auszugehen. In Betracht komme eine solche Auslegung im Einzelfall allerdings dann, wenn sowohl die Mieter als auch der Vermieter bei Vertragsschluss ersichtlich davon ausgingen, dass sich häufig und in kurzen Zeitabständen ein Bedarf für eine Änderung der Zusammensetzung der in der Wohnung lebenden Personen ergeben kann, weil die Mieter voraussichtlich aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände bereits bei Vertragsschluss absehbar nur für einen kurzen Zeitraum an dem jeweiligen Ort leben werden und eine vertragliche Bindung über diesen Zeitraum hinaus nicht eingehen wollen. Das könne insbesondere bei Studenten der Fall sein. Dies setze allerdings voraus, dass dem Vermieter diese Umstände vor Vertragsschluss bekannt sind und er sich bewusst und in Kenntnis dieser Umstände und der zu erwartenden Fluktuation zu einem Mietvertrag mit mehreren derartigen Mietern entscheidet. Fehle eine schriftliche oder mündliche Abrede über das Recht zu Mieterwechsel, könne sich ein solches auch aufgrund einer nachvertraglichen Vereinbarung ergeben. Auch hinsichtlich solcher späteren Vereinbarungen sei eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung der auf die Vereinbarung gerichteten Willenserklärungen vorzunehmen. Allein der Zustimmung zu einer – auch wiederholten – konkreten Vertragsänderung, durch die ein oder mehrere Mieter ersetzt werden, könne allein nicht die Gewährung eines Anspruchs auf die Zustimmung zu künftigen Mieterwechseln entnommen werden.

Anmerkung: Der BGH hat mit seinem Urteil die bisherige sehr viel „mieterfreundlichere“ Rechtsprechung der meisten Berufungskammern des LG Berlin (mit Ausnahme der ZK 64) stark eingeschränkt, auch wenn er im letzten Punkt im Einzelfall noch eine andere Beurteilung bei Studenten-WGs ermöglicht. Mieter, die eine Wohnung zur Nutzung als Wohngemeinschaft anmieten wollen, werden sich also künftig bereits vor Vertragsabschluss mit den Möglichkeiten einer entsprechend rechtssicheren vertraglichen Vereinbarung befassen müssen.


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