Mietrecht
Urteile
Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Vermieters nach Ablauf der Abrechnungszeiträume
BGH Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2006 – AZ IX ZR 7/06 –
Der Mieter mietete im Februar 2000 Gewerberäume vom Vermieter. In dem Mietvertrag war die Zahlung von Vorschüssen auf die Nebenkosten vereinbart, über die jährlich abzurechnen war. Über das Vermögen der Vermieterin wurde am 1. September 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Im Mai 2002 rechnete der Insolvenzverwalter über die Nebenkostenvorauszahlungen für das Kalenderjahr 2000 und für den Zeitraum Januar 2001 bis August 2001 (dem letzten Tag vor der Insolvenzeröffnung) ab. Aus der Abrechnung für das Kalenderjahr 2000 ergab sich ein Guthaben zu Gunsten des Mieters in Höhe von EUR 901,83 und aus der Abrechnung für das (anteilige) Kalenderjahr 2001 ein Guthaben in Höhe von EUR 842,37.
Der Mieter hat das Guthaben aus dem Kalenderjahr 2000 mit der Miete Juli 2002 und das Guthaben aus dem Kalenderjahr 2001 mit der Miete Februar und März 2003 verrechnet.
Der Insolvenzverwalter vertrat die (zu dieser Zeit vorherrschende) Ansicht, dass der Mieter mit seinem Guthaben aus den Nebenkostenabrechnungen, soweit sie Zeiträumen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen, nicht gegen laufende Mietzinsansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahren aufrechnen könne. Die Ansprüche des Mieters auf Auszahlung des Guthabens aus den Nebenkostenabrechnungen könnten nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden.
Das Amtsgericht hat der Klage des Insolvenzverwalters auf Zahlung der Mieten (gegen die der Mieter mit dem Nebenkostenguthaben aufgerechnet hatte) stattgegeben.
Die Berufung des Mieters wurde vom Landgericht Berlin zurückgewiesen.
Das Landgericht Berlin hatte in seinem Urteil wie das Amtsgericht die Ansicht vertreten, die Aufrechnungen seien unwirksam. Gemäß § 110 Absatz 3 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) bestehe eine Aufrechnungsmöglichkeit des Mieters mit Mietzinsansprüchen des insolventen Vermieters nur für den Zeitraum des § 110 Abs. 1 InsO, das wäre hier der zur Zeit der Eröffnung laufende Kalendermonat September 2001 gewesen.
Dieser Rechtsansicht ist der Bundesgerichtshof entgegengetreten. Der Mieter dürfe den gegen die Insolvenzmasse bestehenden Anspruch aus der Nebenkostenabrechnung gemäß § 95 Absatz 1 Satz 1 InsO* auch mit späteren Mieten (im Folgenden für die Monate Juli 2002 sowie Februar und März 2003) aufrechnen. Nach Maßgabe dieser Vorschrift könne ein Schuldner mit Ansprüchen gegen die Masse aufrechnen, die dem Grunde nach bereits entstanden jedoch aufschiebend bedingt oder noch nicht fällig sind. Die Mietforderung für Juli 2002 war nach dem Mietvertrag am dritten Werktag des Juli 2002 und damit (wie auch die Mieten für Februar und März 2003) nicht vor der Forderung des Mieters auf Auszahlung des Nebenkostenguthabens unbedingt und fällig geworden.
* § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO lautet: "Sind zur zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so kann die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind."
Die Vorschrift des § 95 Absatz 1 Satz 1 InsO ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs weit auszulegen. Sie solle sämtliche Fälle erfassen, in denen der vertragliche Anspruch dem Grunde nach bereits entstanden sei und lediglich eine vertragliche Bedingung oder eine gesetzliche Voraussetzung für die Fälligkeit der Forderung fehle. Sie erfasse darüber hinaus auch Fälle, in denen noch nicht alle rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind.
Die Abrechnungszeiträume, auf die sich die Überzahlungen bezogen, waren bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelaufen, die für den Rückzahlungsanspruch maßgebliche Bedingung der Überzahlung war eingetreten. Es fehlte lediglich die Abrechung, mit deren Erteilung der Rückforderungsanspruch des Mieters fällig wurde.
Die Mietzinsansprüche für die Monate Juli 2002 sowie für Februar und März 2003 waren nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bereits mit Mietvertragsabschluss entstanden und standen somit aufschiebend bedingten Forderungen im Sinne des § 95 Absatz 1 Satz 1 InsO gleich.
Der Bundesgerichtshof wies darauf hin, dass im Falle der Insolvenz des Vermieters der Mietvertrag mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehe. Nach der Vereinbarung im Mietvertrag war über die Nebenkostenvorauszahlungen jährlich abzurechnen war. Aus dem Mietvertrag ergibt sich auch die Verpflichtung des Vermieters, ein Guthaben aus der Nebenkostenabrechung auszuzahlen.
Die Abrechnungszeiträume waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits abgelaufen, für die den Rückzahlungsanspruch begründende Bedingung habe es lediglich an der Abrechnung durch den Insolvenzverwalter gefehlt. Der Anspruch des Mieters auf Erstattung des Guthabens werde jedoch erst im Anschluss an die Abrechnung durch den Vermieter (bzw. den Insolvenzverwalter) fällig.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs stand die Vorschrift des § 95 Absatz 1 Satz 3 InsO ** einer Aufrechnung nicht entgegen. Der Anspruch auf Rückzahlung des Guthabens sei mit Zugang der Abrechnung am 14. Mai 2002 und am 22. Mai 2002 fällig geworden. Der Mieter habe mit dieser (im Mai 2002 fälligen) Forderung gegen Forderungen aus Juli 2002 sowie März und Februar 2003 aufgerechnet. Die Mietzinsforderungen waren somit nicht vor der eigenen Gegenforderung des Mieters fällig, mit der Folge dass das oben genannte Aufrechnungsverbot nicht einschlägig sei.
** § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO lautet: "Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann."
Veröffentlicht in MieterEcho Nr. 323