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Mietrecht

Urteile

Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete

BGB § 558c; ZPO § 287 Abs. 2
a) Bringt eine Partei gegen einen Mietspiegel (hier: Berliner Mietspiegel 2017) lediglich Einwendungen vor, die dessen Qualifizierung nach § 558d BGB infrage stellen können, kann er als einfacher Mietspiegel (§ 558d BGB) herangezogen werden. (…)
b) Die dem Berliner Mietspiegel 2017 zumindest zukommende Indizwirkung als einfacher Mietspiegel erstreckt sich aufgrund seiner besonderen Gestaltung als Tabellenspiegel mit einer – auf eine bloße Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ausgerichteten – Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung nur auf die Daten, die in die Erstellung der Mietspiegelfelder eingeflossen sind.
c) Die Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung bildet jedoch bei Heranziehung des Mietspiegels eine geeignete Schätzungsgrundlage im Sinne des § 287 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung der ortsüblichen Einzelvergleichsmiete (…).
 
GG Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3; ZPO §§ 286 B, 287 Abs. 2
a) Das Gericht ist zwar berechtigt, zur Vermeidung des damit verbundenen Kosten- und Zeitaufwands dann von der Einholung eines von der beweisbelasteten Partei beantragten Sachverständigengutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete abzusehen, wenn sich die verlangte Miete innerhalb einer unstreitigen oder in dem einschlägigen Mietspiegelfeld eines (einfachen) Mietspiegels ausgewiesenen Spanne bewegt und für die Bestimmung der Einzelvergleichsmiete im Wege der Schätzung gemäß 
§ 287 Abs. 2 ZPO eine geeignete Schätzungsgrundlage vorhanden ist.
b) Es ist hierzu jedoch nicht verpflichtet. Insbesondere verstößt es nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG), wenn das Gericht zum Zweck einer am Beweismaß des § 286 ZPO ausgerichteten Überzeugungsbildung ein (kostenpflichtiges) Sachverständigengutachten zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete einholt und damit den Mieter dem Risiko aussetzt, im Falle eines Prozessverlusts diese Kosten tragen zu müssen.
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 (…)

BGH Urteil vom 18.11.2020 – AZ VIII ZR 123/20 –

Die Vermieterin einer Dreizimmerwohnung in Spandau forderte ihre Mieterin mit Schreiben vom 20. Juli 2017 unter Hinweis auf den Berliner Mietspiegel 2017 auf, einer Erhöhung ihrer Nettokaltmiete ab dem 1. Oktober 2017 zuzustimmen. Die verlangte Miete lag innerhalb der Mietspiegelspanne des von der Vermieterin angegebenen Feldes G2. Das Amtsgericht Spandau wies die Klage der Vermieterin auf Zustimmung zu der Mieterhöhung ab, da unter Berücksichtigung der vorhandenen Merkmale anhand der Orientierungshilfe zur Spanneneinordnung des Berliner Mietspiegels 2017 kein Spielraum für eine Mieterhöhung bestand. Auf die Berufung der Vermieterin holte die zuständige Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin ein Sachverständigengutachten zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete für die Wohnung der Mieterin ein und verurteilte die Mieterin auf Grundlage des Ergebnisses dieses Gutachtens zur Zustimmung zu der Mieterhöhung. Der Bundesgerichtshof hielt dies für zulässig und wies die Revision der Mieterin gegen das Urteil des Landgerichts zurück. Da auch das Amtsgericht die ortsübliche Vergleichsmiete im Wege der Schätzung (anhand der nicht zum qualifizierten Mietspiegel gehörenden Orientierungshilfe zur Spanneneinordnung) ermittelt habe, habe eine Bindung des Berufungsgerichts an die getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts nicht bestanden. Selbst bei verfahrensfehlerfrei von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen könne sich die Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben. „Wenn das Berufungsgericht also eine Schätzung der Vorinstanz – und sei es auch nur im Ergebnis – aus seiner Sicht nicht für überzeugend hält, ist es nicht gehindert, sondern gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sogar verpflichtet, neue Feststellungen – gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens – zu treffen.“ 

Das Landgericht sei jedenfalls nicht verpflichtet gewesen, seine Überzeugungsbildung auf die Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung zu stützen und von der Erhebung des von der Vermieterin angebotenen Beweismittels (Sachverständigengutachten) abzusehen. Die von der Vermieterin verlangte Miete habe sich innerhalb der Spanne des zutreffend angegebenen Mietspiegelfeldes bewegt. Anders als die Mietspiegelfelder mit den angegebenen Spannen solle die Orientierungshilfe zur Spanneneinordnung des Berliner Mietspiegels 2017 jedoch nur als Schätzgrundlage dienen. Dies hindere die Gerichte zwar nicht daran, die ortsübliche Miete für die konkrete Wohnung innerhalb der Spanne anhand der Orientierungshilfe des Mietspiegels vorzunehmen, so wie es das Amtsgericht Spandau getan hat. Es stehe jedoch im „Ermessen des Gerichts, ob es die beantragte Beweisaufnahme (hier Einholung eines Sachverständigengutachtens) durchführt oder sich (…) mit einer Schätzung begnügt“ . 

Auch die Tatsache, dass die Vermieterin ihr Mieterhöhungsverlangen gerade nicht mit einem Sachverständigengutachten, sondern mit dem Berliner Mietspiegel begründet hatte, hinderte das Landgericht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Begründung eines Mieterhöhungsverlangens diene nämlich nicht dazu, „bereits den Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete zu führen oder dem Mieter ein etwaiges Prozessrisiko abzunehmen“ . Auch führe allein die „größere Breite“ der Datengrundlage des Mietspiegels im Vergleich zu den einem Sachverständigen zur Verfügung stehenden Mietdaten nicht dazu, dass ein Mietspiegel einem Sachverständigengutachten zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete überlegen sei. Auch ein Sachverständigengutachten, das sich auf eine weniger breite Datenbasis stützt, könne bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete herangezogen werden. Zudem beziehe sich auch die breite Datengrundlage beim Berliner Mietspiegel nur auf die in Tabellenform ausgewiesenen Mietspiegelfelder. Die anzuwendende Mietspiegelspanne war hier zwischen Vermieterin und Mieterin nicht umstritten. Das Sachverständigengutachten sei allein zur Frage der Einordnung der Wohnung der Mieterin innerhalb dieser Spanne eingeholt worden, wofür der Berliner Mietspiegel selbst mit seiner „Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung“ nur eine Schätzgrundlage zur Verfügung stelle. Schließlich habe das Landgericht mit der Einholung des Sachverständigengutachtens (und den damit verbundenen erheblichen Kosten) auch nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen.

Anmerkung: Die Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin ist aktuell für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts Schöneberg und des Amtsgerichts Wedding zuständig. Derzeit holt allein diese Berufungskammer bei Mieterhöhungsprozessen gelegentlich Sachverständigengutachten auch dann ein, wenn der Berliner Mietspiegel für die entsprechende Wohnung ausreichende Angaben enthält. Diese Praxis dürfte die Kammer nach diesem unerfreulichen Urteil des Bundesgerichtshofs aufrechterhalten. Für Mieter aus Schöneberg und Wedding heißt das, dass es ökonomisch kaum noch zu rechtfertigen ist, sich gegen Mieterhöhungen zu wehren, sofern kein Prozessrechtsschutz (zum Beispiel über die Mitgliedschaft in der Berliner MieterGemeinschaft) besteht. Die Sachverständigenkosten, die der Unterlegene im Prozess tragen muss, sind regelmäßig im Vergleich zu der umstrittenen Mieterhöhung unverhältnismäßig hoch. Die anderen vier Mietberufungskammern beim Landgericht Berlin wenden dagegen bisher glücklicherweise stets den Berliner Mietspiegel zur Ermittlung der konkreten ortsüblichen Vergleichsmiete an.