Mietrecht
Urteile
Eigenbedarfskündigung und Härtegründe
b) Sowohl bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB als auch bei deren Gewichtung im Rahmen der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters ist im Einzelfall zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch die Unterstützung des Umfelds des Mieters bzw. durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen (…).
c) Die Ablehnung einer möglichen Therapie durch den suizidgefährdeten Mieter führt nicht grundsätzlich dazu, dass das Vorliegen einer Härte abzulehnen oder bei der Interessenabwägung den Interessen des Vermieters der Vorrang einzuräumen wäre. Vielmehr ist dieser Umstand im Rahmen der umfassenden Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, bei der auch die Gründe für die Ablehnung, etwa eine krankheitsbedingt fehlende Einsichtsfähigkeit in eine Therapiebedürftigkeit, sowie die Erfolgsaussichten einer Therapie zu bewerten sind.
d) Das Angebot einer Ersatzwohnung durch den Vermieter und dessen Ablehnung durch den Mieter sowie die Gründe hierfür sind ebenfalls einzelfallbezogen sowohl bei der Beurteilung, ob eine Härte vorliegt, als auch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.
e) Zur Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit nach § 574a Abs. 2 Satz 2 BGB bei unabsehbar fortbestehender Suizidgefahr.
BGH Urteil vom 26.10.2022 – AZ VIII ZR 390/21 –
Eine 1942 geborene Mieterin bewohnt seit 1977 eine in einem Mehrfamilienhaus in Köln gelegene Zweizimmerwohnung. Ihr Vermieter kündigte den Mietvertrag im April 2017 wegen Eigenbedarfs, da er ihre Wohnung mit seiner weiteren Wohnung auf der gleichen Etage zusammenlegen möchte, welche er mit seinem Lebenspartner bewohnt. Die Mieterin widersprach der Kündigung zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist und machte Härtegründe geltend, da sie an „schwerer rezidivierender Depression bis hin zu Suizidideen“ leide. Darauf bot ihr der Vermieter am 16. Februar 2018 eine weitere ihm gehörende 50-55 qm große Wohnung im gleichen Haus an. Die Mieterin lehnte dieses Angebot ab.
Die Räumungsklage des Vermieters hatte keinen Erfolg.
Das Amtsgericht Köln holte ein Sachverständigengutachten ein, welches bestätigte, dass bei der Mieterin im Falle einer Verurteilung zur Räumung ihrer Wohnung akute Suizidgefahr bestünde, auch die angebotene Ersatzwohnung wäre insoweit wegen ihrer Fixierung auf Ihre alte Wohnung keine diese Gefahr mindernde Alternative. Auch eine Therapie ihrer depressiven Erkrankung, welche die Mieterin ablehnt, wäre wenig erfolgversprechend. Das Amtsgericht Köln kam ebenso wie das Landgericht Köln im Berufungsverfahren aufgrund der ausführlichen Darlegungen der Sachverständigen zu dem Schluss, dass insoweit auf Seiten der Mieterin eine Härte vorliegt, welche die berechtigten Interessen des Vermieters an der Erlangung der Wohnung überwiegt, und die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit rechtfertigt (allerdings mit einer angemessenen Erhöhung der alten sehr niedrigen Miete).
Auch die Revision des Vermieters blieb erfolglos.
Der BGH schloss sich der Beurteilung der Vorinstanzen in vollem Umfang an. Diese seien zu Recht vom Vorliegen einer besonderen Härte angesichts der bestehenden hohen Suizidgefahr der Mieterin ausgegangen, welche sich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abhebe. Die Ablehnung einer Therapie seitens der Mieterin läge, ebenso wie die Ablehnung der Ersatzwohnung, nach den Feststellungen der Gutachterin in ihrer psychischen Erkrankung begründet, welche mit einer derartigen Fixierung auf ihre alte Wohnung einhergehe, dass sie sich ein Leben in einer alternativen Wohnung nicht als mögliche Lösung für Ihre als ausweglos empfundene Situation vorstellen könne. Zwar sei bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte – ebenso wie bei der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und des Vermieters – zu berücksichtigen, ob und inwieweit Unterstützung und begleitende ärztliche Behandlungen die mit dem Umzug einhergehenden Folgen mindern könnten, insbesondere auch eine Suizidgefahr beherrschbar werden könnte. Allein die krankheitsbedingte Ablehnung einer Therapie, ebenso wie die Ablehnung eine Alternativwohnung führten aber entgegen der Ansicht des Vermieters nicht zwingend zum Wegfall eines zu berücksichtigenden Härtegrundes oder zu dessen Zurücktreten hinter die berechtigten Interessen des Vermieters im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung. Vielmehr habe auch dann stets eine einzelfallbezogene Beurteilung zu erfolgen, welche das Landgericht Köln zutreffend vorgenommen habe.
Auch die Entscheidung des Landgerichts Köln zur Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit bestätigte der Bundesgerichtshof. Allein wegen des weiteren Zeitablaufs könne bei der unabsehbar, unvermindert und unbeherrschbar fortbestehenden erheblichen Suizidgefährdung der Mieterin im Falle eines Verlusts der Wohnung kein Zeitpunkt abgesehen werden, zu dem eine Interessenabwägung zugunsten des Vermieters ausgehen würde und eine weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses abzulehnen wäre.
Sofern sich hinsichtlich der Umstände, die bei der notwendigen Interessenabwägung durch das Gericht zu berücksichtigen sind, auf Seiten der Mieterin durch eine unvorhergesehene Besserung ihrer Situation oder auf Seiten des Vermieters – was die Dringlichkeit seines Bedarfs angeht – etwas ändern würde, käme für ihn eine erneute Kündigung in Betracht.