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Mietrecht

Urteile

Eigenbedarfskündigung und Abwägung der Vermieter- und Mieterinteressen

Der Härtegrund des zu zumutbaren Bedingungen nicht zu beschaffenden Ersatzwohnraums setzt konkrete tatrichterliche Feststellungen voraus, welcher Ersatzwohnraum für den Mieter nach seinen finanziellen und persönlichen Verhältnissen angemessen ist, welche Bemühungen von dem Mieter nach diesen Verhältnissen anzustellen sind und ob er diesen Anstrengungen genügt hat (…).
Bei der Bewertung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen beider Parteien im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ist den Wertentscheidungen Rechnung zu tragen, die in den für sie streitenden Grundrechten zum Ausdruck kommen. Dabei haben die Gerichte zu berücksichtigen, dass bezüglich der Anwendung und Auslegung des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB einerseits und der Sozialklausel andererseits dieselben verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten. Auch im Rahmen des
§ 574 Abs. 1 BGB ist daher die vom Vermieter beabsichtigte Lebensplanung grundsätzlich zu respektieren und der Rechtsfindung zu Grunde zu legen (…). Zugleich haben die Gerichte aber auch die volle Bedeutung und Tragweite des Bestandsinteresses des Mieters zu erfassen und zu berücksichtigen (…).

BGH Urteil – AZ VIII ZR 144/19 –

Ein Vermieter-Ehepaar kündigte nach Erwerb eines Hauses in Bad Homburg den Mietern einer darin gelegenen Vierzimmerwohnung, einem Mieter-Ehepaar mit drei minderjährigen und zwei erwachsenen Kindern, wegen Eigenbedarfs. Die Vermieter gaben an, die vermietete Wohnung mit der darüber gelegenen Dachgeschosswohnung verbinden zu wollen, um dort mit ihren eigenen drei minderjährigen Kindern sowie der Mutter der Vermieterin einzuziehen. Sie hatten die zuvor von ihnen selbst bewohnte Mietwohnung gekündigt und bereits das Dachgeschoss im eigenen Haus bezogen. Die Mieter widersprachen der Kündigung und beriefen sich auf besondere Härtegründe. Es sei ihnen wegen ihrer finanziellen Lage und wegen des Kinderreichtums nicht möglich, angemessenen bezahlbaren Ersatzwohnraum zu finden. Hierzu schilderten sie im Rahmen des von den Vermietern eingeleiteten Räumungsprozesses ihre erfolglosen Bemühungen, welche sie durch Ausdrucke aus Anfragen bei einem Online-Wohnungsportal mit jeweiligen Absagen darlegten. Weiter führten sie den schlechten gesundheitlichen Zustand des Ehemanns und einer Tochter an, außerdem müsse die Ehefrau regelmäßige Pflegeleistungen für ihre in der Nähe wohnende Schwiegermutter erbringen. Das Landgericht Frankfurt wies die Räumungsklage der Vermieter ab. Es vertrat die Auffassung, dass durch die erfolglosen Bemühungen der Beklagten, Ersatzwohnraum zu erlangen, das Vorliegen von Härtegründen ausreichend belegt sei. Diese würden das Interesse der Vermieter an der Erlangung der Wohnung überwiegen, da sie bei Erwerb des Hauses bereits wussten, dass die Wohnung an eine kinderreiche Familie vermietet ist, und somit mit dem Vorliegen von Härtegründen rechnen mussten. Auf die Revision der Vermieter hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht Frankfurt zur erneuten Entscheidung zurück. Das Landgericht habe keine ausreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob den Mietern die Beschaffung einer angemessenen Ersatzwohnung möglich war. Eine solche sei „angemessen, wenn sie im Vergleich zu der bisherigen Wohnung den Bedürfnissen des Mieters entspricht und sie finanziell für ihn tragbar ist. Dabei sind die Lebensführung des Mieters und seine persönlichen und finanziellen Lebensverhältnisse maßgebend. Die Wohnung muss allerdings dem bisherigen Wohnraum weder hinsichtlich ihrer Größe, ihres Zuschnitts oder ihrer Qualität noch nach ihrem Preis vollständig entsprechen (…). Gewisse Einschnitte sind dem Mieter vielmehr zuzumuten“ . Bei der Frage der Finanzierbarkeit sei auch zu berücksichtigen, ob der Mieter erstmals oder in höherem Umfang Sozialleistungen (zum Beispiel Wohngeld) erhalten könnte. Das Landgericht hätte daher Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Mieter treffen müssen, da diese „sowohl für die Frage, welcher Ersatzwohnraum für die Großfamilie angemessen ist, als auch für den Umfang der von den (Mietern) bei der Suche nach einer Ersatzwohnung anzustellenden Bemühungen von Bedeutung“ sei. Auch bezüglich der persönlichen Verhältnisse, insbesondere den vorgetragenen gesundheitlichen Problemen sowie der Notwendigkeit der Betreuung der Mutter des Familienvaters, habe das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Diese unzureichenden Feststellungen des Landgerichts führten allerdings entgegen der Auffassung der Vermieter nicht dazu, dass deren Klage auf Räumung der Wohnung vom Bundesgerichtshof stattzugeben wäre. Vielmehr müsse das Landgericht zunächst die notwendigen Feststellungen nachholen und erneut entscheiden. Es müsse dabei „hinreichende tatsächliche Feststellungen“ zu den konkreten Anstrengungen der Mieter, Ersatzwohnraum zu finden, treffen. Hierzu gehöre auch die Berücksichtigung der konkreten Wohnraumsituation in Bad Homburg und näherer Umgebung. Auch könne sich das Gericht nicht allein aufgrund der Anzahl der getätigten Wohnungsanfragen ein Urteil bilden. „Die Obliegenheit des Mieters, sich mithilfe von Verwandten und Bekannten, oder öffentlichen und privaten Stellen sowie unter Inanspruchnahme geeigneter Medien (beispielsweise Zeitungsannoncen, Internet) ernsthaft und nachhaltig um eine angemessene Ersatzwohnung zu bemühen, richtet sich vielmehr danach, was dem Mieter unter seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zuzumuten ist (…). Allerdings reicht es regelmäßig nicht aus, wenn der Mieter nur gelegentliche Versuche unternimmt, anderen Wohnraum zu finden“ .  Andererseits müsse es auch die von den Mietern geltend gemachten gesundheitlichen Probleme des Ehemanns und einer Tochter sowie die Notwendigkeit der Pflege seiner Mutter berücksichtigen. Außerdem hatte das Landgericht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die gebotene Abwägung zwischen den Interessen der Vermieter und den Interessen der Mieter nicht richtig vorgenommen. Es habe nämlich dem Interesse der Vermieter an der Erlangung der Wohnung nach Erwerb des Hauses von vornherein einen geringeren Stellenwert beigemessen als dem Interesse eines Vermieters, der eine von ihm selbst vermietete Wohnung zu einem späteren Zeitpunkt wegen ursprünglich nicht vorhersehbaren Eigenbedarfs kündige. Die grundrechtlich verbürgte Eigentumsgarantie greife jedoch auch dann ein, „wenn der Vermieter die Eigenbedarfssituation, etwa durch den Erwerb einer vermieteten Wohnung, willentlich herbeigeführt hat“ . Das Landgericht habe daher bei seiner erneuten Entscheidung die Abwägung zwischen den widerstreitenden berechtigten Interessen von Vermietern und Mietern – für den Fall, dass es das Vorliegen einer Härte auf Seiten der Mieter feststellt – neu vorzunehmen.