Mietrecht
Urteile
Eigenbedarfskündigung bei unbestimmtem Eigennutzungswunsch
BGH Urteil vom 23.09.2015 – AZ VIII ZR 297/14 –
Im Jahr 1988 mieteten die Mieter/innen in einem Wohnhaus in Bonn zusätzlich zu ihrer 3-Zimmer-Wohnung eine 21 qm große separate Mansarde. Im Mietvertrag über die Mansarde wurde unter anderem vereinbart: „Das Mietverhältnis ist seitens der Vermieterin nur gleichzeitig mit dem Mietverhältnis für die Wohnung im 3. OG links kündbar, wobei sich die Kündigungsfrist nach dem älteren Mietverhältnis richtet.“ Am 21. Februar 2012 führte die Tochter der Vermieterin mit den Mieter/innen ein Gespräch darüber, ob diese zur Aufgabe der Mansarde bereit wären. Hintergrund war, dass die Tochter der Vermieterin mit ihrer Familie eine 197 qm große Nachbarwohnung beziehen wollte (was sie in der Folge auch tat) und diese mit der Mansarde verbunden werden sollte. Die Mansarde sollte ihr als zusätzliches Arbeitszimmer dienen. Am 29. Februar 2012 vermietete die Vermieterin eine andere 3-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss neu, ohne diese den Mieter/innen anzubieten. Am 28. März 2012 kündigte sie das Mietverhältnis über Wohnung und Mansarde mit der Begründung, dass sie die Mansarde für ihre Tochter benötige und in die 3-Zimmer-Wohnung der Mieter/innen selbst einziehen wolle. Das Landgericht Bonn verurteilte die Mieter/innen zur Räumung der Wohnung. Der Bundesgerichtshof hob jedoch das Urteil auf die Revision der Mieter/innen auf. Zwar habe das Landgericht Bonn zu Recht einen Eigenbedarf hinsichtlich der Mansarde bejaht. Jedoch liege der von den Mieter/innen angenommene „weit überhöhte“ Wohnbedarf trotz des bereits großzügigen Zuschnitts der jetzigen Wohnung der Tochter nicht vor. Die Kündigung sei auch nicht deshalb unwirksam, weil die Vermieterin einen Monat vor der Kündigung eine Wohnung im Erdgeschoss anderweitig vermietet hatte, ohne sie zuvor den Mieter/innen anzubieten. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hatte die Vermieterin zu diesem Zeitpunkt eine Kündigung noch nicht in Betracht gezogen. Das Landgericht habe jedoch hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Wunsches der Vermieterin, die 3-Zimmer-Wohnung der Mieter/innen selbst zu nutzen, einen falschen Maßstab angelegt: „denn für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs (...) reicht ein noch unbestimmtes Interesse einer möglichen späteren Nutzung (sogenannte Vorratskündigung) nicht aus; vielmehr muss sich der Nutzungswunsch soweit ‚verdichtet‘ haben, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht“ . In diesem Fall gäbe es Umstände, die dies objektiv zweifelhaft erscheinen ließen und die das Landgericht außer Betracht gelassen hätte. So habe die Vermieterin bei ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht Bonn nur „zaghaft“ ihren Eigennutzungswunsch vorgebracht und nicht angeben können, weshalb genau sie die Wohnung dieser Mieter/innen ausgewählt habe. Die Annahme, dass eine Vermieterin im Seniorenalter, die bislang in einem Einfamilienhaus wohnt und als Eigentümerin eines Hauses mit 15 Wohnungen vor einem Umzug nicht im Einzelnen überlegt, welche der ihr gehörenden Wohnungen nach Lage, Schnitt und Größe am besten für die eigenen Zwecke geeignet ist, ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs lebensfremd. Außerdem habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass die Vermieterin angeblich am 29. Februar 2012 (Vermietung der Erdgeschosswohnung) noch gar keinen Eigennutzungswunsch entwickelt hatte, aber bereits am 28. März 2012 die Kündigung aussprach. Es sei wenig plausibel, dass eine für die Lebensumstände der Vermieterin so weitreichende Entscheidung derart kurzfristig gefasst werde. Dies spreche dafür, dass der Eigennutzungswunsch der Vermieterin entweder vorgeschoben oder zum Zeitpunkt der Kündigung jedenfalls noch nicht hinreichend konkret gewesen sei.
Anmerkung: Der BGH ließ offen, ob eine Verletzung der Anbietpflicht eine Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt (so seine bisherige Rechtsprechung), oder ob eine solche Pflichtverletzung des Vermieters lediglich Schadensersatzansprüche der Mieter/innen auslöst. Weiter stellte der BGH klar, dass die Kündigung der Vermieterin nicht deshalb rechtsmissbräuchlich gewesen sei, weil die Mieter/innen zum Zeitpunkt der Kündigung ihren todkranken, inzwischen verstorbenen Sohn in der Wohnung betreuten. Dies hätte die Mieter/innen vielmehr (nur) berechtigt, der Kündigung aus Härtegründen zu widersprechen und gegebenenfalls die zeitweise Fortsetzung des Mietverhältnisses zu verlangen. Einen Widerspruch/ein Fortsetzungsverlangen müssen Mieter/innen bis spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist erklären, sofern der Vermieter die Mieter/innen vor Ablauf der Widerspruchsfrist auf die Möglichkeit des Widerspruchs sowie auf dessen Form und Frist hingewiesen hat. Tut er dies nicht, können Mieter/innen Widerspruch und Fortsetzungsverlangen auch noch im Räumungsrechtsstreit erklären.