Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Eigenbedarf und Härtegründe

a) Auch wenn ein Mieter seine Behauptung, ihm sei ein Umzug wegen einer bestehenden Erkrankung nicht zuzumuten, unter Vorlage bestätigender ärztlicher Atteste geltend macht, ist im Falle des Bestreitens dieses Vortrags regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen der beschriebenen Erkrankung auf die Lebensführung des betroffenen Mieters im Allgemeinen und im Falle des Verlusts der vertrauten Umgebung erforderlich (…).
b) An der für die Anschlussrevision erforderlichen Beschwer des Anschlussrevisionsklägers fehlt es, wenn das Berufungsgericht von der Wirksamkeit einer diesem gegenüber ausgesprochenen Kündigung (hier: wegen Eigenbedarfs) ausgegangen ist und dessen Klageabweisungsbegehren allein deshalb entsprochen hat, weil es eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit zu den bisherigen Vertragsbedingungen nach §§ 574, 574a BGB bestimmt hat. (Leitsatz von der Redaktion MieterEcho gekürzt.)

BGH Urteil vom 28.04.2021 – AZ VIII ZR 6/19 –

Nach einem Eigentümerwechsel erhielt der Mieter von seinem neuen Vermieter am 29. September 2016 eine Eigenbedarfskündigung für seine im Jahr 1986 angemietete Wohnung in Berlin zum 30. Juni 2017. Der Vermieter gab an, dass in die Wohnung seine Tochter einziehen solle, welche dort nach dem Abitur einen eigenen Hausstand begründen wolle. Der im Jahr 1949 geborene Mieter widersprach der Kündigung, berief sich auf das Vorliegen von Härtegründen. Das Amtsgericht Charlottenburg wies die Räumungsklage des Vermieters ab, da es die Eigenbedarfskündigung für unwirksam hielt. Das Landgericht Berlin teilte diese Auffassung zwar nicht, es wies die Berufung des Vermieters aber dennoch zurück und ordnete auf den Härteeinwand des Mieters an, dass das Mietverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde. Dabei stützte es sich auf mehrere vom Mieter vorgelegte Atteste, unter anderem eines Facharztes für Nervenheilkunde, welche ihm „Räumungsunfähigkeit“ bescheinigten, da er aus medizinisch-orthopädischer Sicht außerstande sei, schwere Gegenstände zu heben, und weil zum anderen das gewohnte soziale Umfeld wichtig sei, um einer Verschlechterung seiner bestehenden Depression entgegenzuwirken. Der Vermieter legte gegen das Urteil des Landgerichts Revision ein und begehrte weiterhin die Räumung der Wohnung; der Mieter legte daraufhin Anschlussrevision ein und begehrte die uneingeschränkte Abweisung der Klage wegen formeller und materieller Unwirksamkeit der Kündigung. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies auch diese Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurück. Die Anschlussrevision des Mieters wurde als unzulässig verworfen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hätte das Landgericht seine Bewertung, der Mieter könne aufgrund seines Alters und seiner gesundheitlichen Verfassung eine Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, nicht allein auf Grundlage der von diesem vorgelegten ärztlichen Atteste vornehmen dürfen. Es sei zwar nicht zu beanstanden, dass das Landgericht „auch das Alter des Beklagten und dessen auf mehr als dreißigjähriger Mietdauer beruhende Verwurzelung in der Wohnungsumgebung in seine Beurteilung, ob ein Härtegrund vorliegt, miteinbezogen hat“ . Es habe hinreichend berücksichtigt, dass sich diese Faktoren je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich auswirken können. Zu Unrecht sei das Berufungsgericht jedoch allein aufgrund der vom Mieter vorgelegten Atteste zu der Überzeugung gelangt, dieser leide unter den von ihm behaupteten Erkrankungen und sei aufgrund dessen „räumungsunfähig“ . Da der Vermieter die mit den vorgelegten Attesten unterlegten Behauptungen des Mieters bestritten und mehrfach die Einholung eines entsprechenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragt hatte (ebenso wie der Mieter selbst), hätte das Landgericht mangels eigener Sachkunde nicht allein aufgrund der vom Mieter vorgelegten Atteste vom Bestehen der behaupteten Erkrankungen ausgehen dürfen, sondern hätte vielmehr ein entsprechendes gerichtliches Sachverständigengutachten einholen müssen. Die Sache sei daher nicht zur Endentscheidung reif, und demzufolge zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Anschlussrevision des Mieters wies der Bundesgerichtshof als unzulässig zurück, da der Mieter durch das Urteil des Berufungsgerichts nicht „beschwert“ sei. Denn das Berufungsgericht habe – zwar mit anderen Gründen, aber im Ergebnis ebenso wie das Amtsgericht – das Mietverhältnis als fortbestehend angesehen und die Berufung des Vermieters zurückgewiesen.


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