Mietrecht
Urteile
Eigenbedarf einer Genossenschaft
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.09.2003 – AZ VIII ZR 22/03 –
LG Berlin,
AG Berlin Charlottenburg,
Sachverhalt:
Die Klägerin, eine Genossenschaft, hat eine Wohnung mit Dauernutzungsvertrag vom 02.05.1985 seit dem 01.06.1985 an den Beklagten, der damals als Mitglied der Genossenschaft angehörte, vermietet. Der Beklagte bewohnt die Wohnung zusammen mit seiner Ehefrau und seinen beiden Töchtern. Für die Jahre 1996 bis 1999 wurde der Beklagte als Vertreter in die Vertreterversammlung der Klägerin gewählt. Im Zusammenhang mit umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen der Klägerin erhob der Beklagte in seiner Eigenschaft als Mitglied der Vertreterversammlung wiederholt schwere Vorwürfe gegen den Vorstand der Klägerin, die zu Auseinandersetzungen und Zerwürfnissen zwischen den Parteien und schließlich im Juni 1998 zum Ausschluss des Beklagten aus der Genossenschaft führten. Der Ausschluss wurde im genossenschaftsinternen Berufungsverfahren durch den Aufsichtsrat der Klägerin bestätigt. Die hiergegen erhobene Klage des Beklagten auf Feststellung des Fortbestehens seiner Mitgliedschaft wurde vom Amtsgericht Schöneberg abgewiesen; seine Berufung blieb erfolglos. Mit Schreiben vom 25.06.2000 kündigte die Klägerin den mit dem Beklagten geschlossenen Dauernutzungsvertrag zum 31.07.2001.
Aus den Urteilsgründen:
- Bei der Würdigung des Kündigungsinteresses der Vermieterin kann der besondere Charakter des genossenschaftlichen Mietverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben. Er wird geprägt durch die körperschaftliche Bindung zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern, den gemeinsamen, durch das Statut festgelegten wirtschaftlichen Zweck des Zusammenschlusses (vgl. § 1 GenG, insbesondere dessen Abs. 1 Nr. 7) sowie die sich daraus ergebenden beiderseitigen Treuepflichten; überdies ist in § 1 Abs. 4 des vorliegenden Dauernutzungsvertrages ausdrücklich bestimmt, dass das Recht zur Nutzung der Genossenschaftswohnung an die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft gebunden ist. Dementsprechend ist die Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft in erster Linie auf die Versorgung mit preisgünstigem Wohnraum gerichtet; sie verleiht dem Mitglied eine im Verhältnis zu außenstehenden Dritten bevorrechtigte Aussicht auf den Abschluss eines Mietvertrages (Dauernutzungsvertrages) zu günstigen Bedingungen. Vor einer Kündigung wegen anderweitigen Bedarfs des Vermieters ist der vertragstreue genossenschaftliche Mieter weitestgehend geschützt, weil ein Eigenbedarf im Sinne des § 564b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB a.F. begrifflich ausgeschlossen und ein vorrangiger Wohnbedarf anderer Mitglieder der Genossenschaft in aller Regel nicht anzuerkennen ist.
- Diese an die Mitgliedschaft in der Genossenschaft gebundene Rechtsstellung rechtfertigt es, das Erlöschen der Mitgliedschaft durch freiwilligen Austritt oder durch Ausschluss nach § 68 GenG grundsätzlich als eine der Voraussetzungen für die Geltendmachung eines berechtigten Interesses der Vermieterin an der Beendigung des Dauernutzungsverhältnisses anzuerkennen; ob dies auch für die Beendigung der Mitgliedschaft durch Tod, wenn Nichtmitglieder die Wohnung mit genutzt haben, oder durch Gläubigerkündigung nach § 66 GenG gilt, kann der Senat ebenso wie das Berufungsgericht dahingestellt sein lassen. Mit dem Verlust der Mitgliedschaft durch Austritt oder Ausschluss entfällt zugleich die innere Rechtfertigung für die gegenüber Dritten bevorzugte Berücksichtigung bei der Versorgung mit preisgünstigem Wohnraum. Der Umstand, dass der Mieter im Zeitpunkt des Abschlusses des Nutzungsvertrages Mitglied der Genossenschaft war, ändert hieran nichts. Für die grundsätzliche Bindung des Mietverhältnisses an die Mitgliedschaft in der Genossenschaft in diesen Fällen spricht überdies, dass die Fortsetzung eines Mietverhältnisses über eine Genossenschaftswohnung mit einem Nichtmitglied regelmäßig zur statutwidrigen Benachteiligung eines Mitglieds führt, das noch keine oder keine angemessene Genossenschaftswohnung innehat und sich für eine vergleichbare Wohnung beworben hat. Müsste nämlich die Genossenschaft die Fortsetzung des Nutzungsverhältnisses mit einem Mieter, dessen Mitgliedschaft erloschen ist, dulden und wäre sie deshalb an der anderweitigen Vermietung der betreffenden Wohnung gehindert, so hätte das im Ergebnis eine Verletzung der ihr gegenüber jedem Mitglied obliegenden Treuepflicht und statutmäßigen Pflicht zur Wohnraumversorgung zur Folge.
- Das Ausschlussverfahren gewährleistet einen der Vorschrift des § 564b BGB a.F. vergleichbaren Schutz des genossenschaftlichen Mieters vor willkürlicher Kündigung. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass § 68 GenG nach seinem Wortlaut jedenfalls für Sachverhalte der vorliegenden Art die Voraussetzungen für einen Ausschluss nicht festlegt. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift steht jedoch außer Frage, dass nur ein genossenschaftswidriges Verhalten von erheblichem Gewicht eine Ausschließung rechtfertigt; das ergibt sich mit hinreichender Klarheit schon aus der Natur der Sache, im übrigen aber auch aus dem in Abs. 1 Satz 1 umschriebenen Ausschlussgrund des genossenschaftswidrigen Betreibens eines Konkurrenzgeschäfts. Zumindest für den Regelfall ist deshalb davon auszugehen, dass der Ausschluss eines Mitgliedes aus der Wohnungsgenossenschaft gemäß § 68 GenG als Anknüpfungspunkt für die Kündigung des Dauernutzungsvertrages über eine Genossenschaftswohnung nach § 564b Abs. 1 BGB a.F. anzusehen ist (Lützenkirchen aaO S. 6). Der Genosse ist auch verfahrensmäßig vor einem unberechtigten Ausschluss aus der Genossenschaft hinreichend geschützt. Zutreffend führt das Landgericht aus, dass der Verlust der Mitgliedschaft gegen den Willen des Mitglieds an strenge Voraussetzungen, etwa ein genossenschaftswidriges Verhalten, geknüpft ist, dass es vor dem Ausschluss zudem einer Abmahnung bedarf, dass das Ausschlussverfahren regelmäßig ein Anhörungsrecht des Mitglieds und eine Beschwerdemöglichkeit vorsieht und dass dem Mitglied schließlich eine zivilrechtliche Klage zur Verfügung steht. Von diesen rechtlichen Möglichkeiten hat der Beklagte Gebrauch gemacht; sein Verhalten ist sowohl von den satzungsgemäß zuständigen Organen der Klägerin als auch von den ordentlichen Gerichten als hinreichender Anlass für den Ausschluss aus der Genossenschaft wegen genossenschaftswidrigen Verhaltens angesehen worden.
- Ob bereits der Verlust der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft in den genannten Fällen für sich allein ein im Sinne des § 564b Abs. 1 BGB a.F. berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses über eine Genossenschaftswohnung begründet - wogegen allerdings Bedenken bestehen -, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Zumindest dann, wenn die Wohnung für die Versorgung eines anderen Mitglieds der Genossenschaft benötigt wird, ist ein derartiges Interesse zu bejahen. In diesem Fall überwiegen die Interessen der Genossenschaft am bestimmungsgemäßen Einsatz ihres Wohnungsbestands (Art. 14 GG) und das Interesse eines wohnungssuchenden Mitglieds an der Erlangung einer preiswerten Genossenschaftswohnung die Belange des Nichtmitglieds an der Beibehaltung seines vertrauten Wohnumfeldes so sehr, dass letztere zurücktreten müssen.