Mietrecht
Urteile
Darlegungs- und Beweislast des Mieters bei Mietpreisüberhöhung
BGH Karlsruhe, Versäumnisurteil vom 28.01.2004 – AZ VIII ZR 190/03 –
Sachverhalt
Mit Mietvertrag vom 10.02.1993 mieteten der Mieter und seine Ehefrau eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Dabei handelt es sich um eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von rd. 94 qm. Das Anwesen ist zwischen 1920 und 1929 erbaut worden. Die Parteien vereinbarten eine Staffelmiete, die anfangs (1993) 1480 DM und zuletzt (1997) 1631 DM betrug und die vom Kläger vollständig bezahlt wurde.
Nach der Beendigung des Mietverhältnisses zum Jahresende 1997 forderte der Mieter einen Teil der gezahlten Miete mit der Begründung zurück, die Staffelmiete sei überhöht gewesen; nach § 5 WiStG in Verbindung mit § 134 BGB sei daher die Vereinbarung über die Höhe der Miete insoweit nichtig und die überzahlte Miete gemäß § 812 BGB zurückzuzahlen. Daraufhin erstattete der Vermieter dem Mieter insgesamt 2805,04 DM zurück; weitere Rückzahlungen lehnte er ab.
Mit der Klage macht der Mieter - nach Teilerledigungserklärung und Klageerweiterung - einen Erstattungsanspruch in Höhe von zuletzt 7197,52 DM geltend. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der angemessenen Miete für die Wohnung hat das Amtsgericht der Klage hinsichtlich eines Teilbetrags von 6604,69 DM stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung des Mieters hat es diesem kapitalisierte Zinsen in Höhe von 181,84 € zugesprochen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Mieter sein Ziel der Klageabweisung weiter.
Aus den Urteilsgründen:
Über die Revision war, da der Mieter in der Revisionsverhandlung trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, auf Antrag des Vermieters durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung.
Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, im wesentlichen ausgeführt:
Nach § 134 BGB in Verbindung mit § 5 WiStG sei eine Mietvereinbarung teilnichtig, wenn der Vermieter sich infolge Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Mieträumen unangemessene Entgelte versprechen lasse. Das sei dann der Fall, wenn die geltende ortsübliche Miete um mehr als 20% überschritten werde. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. In dem maßgebenden Zeitraum, insbesondere im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, habe in Berlin ein Mangel an vergleichbarem Wohnraum in normaler Lage bestanden.
Ein Indiz hierfür sei die Tatsache, dass jedenfalls für 1993 eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung bestanden habe und Berlin durch Verordnung zum Gebiet mit gefährdeter Wohnraumversorgung erklärt worden sei. Der Vermieter habe keine Umstände dafür vorgetragen, dass bei Vertragsschluss am 10.02.1993 eine solche Mangellage nicht mehr bestanden habe.
Aus den Regeln der Preisbildung in der freien Marktwirtschaft ergebe sich, dass der Vermieter das geringe Angebot bei der Mietpreisvereinbarung ausgenutzt habe. Es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Mieter und seine Ehefrau aus besonderen Gründen ohnehin nur an dieser einen Wohnung interessiert gewesen seien und die Mietpreisbildung deshalb unabhängig von den Verhältnissen des Markts abgelaufen sei.
Nach dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten übersteige die vereinbarte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 20%. Das Gutachten sei nachvollziehbar und hinreichend begründet. Das Vorgehen des Sachverständigen, aus den Beträgen des Mietspiegels einen Mittelwert zu errechnen, diesen Wert durch Berücksichtigung spezieller Merkmale der streitgegenständlichen Wohnung zu präzisieren und aus dem so ermittelten Betrag und der Miete für bestimmte Vergleichswohnungen die ortsübliche Vergleichsmiete festzustellen, sei nicht zu beanstanden. Unschädlich sei insbesondere, dass der Sachverständige lediglich drei konkrete Vergleichswohnungen berücksichtigt habe, während der vom Vermieter eingeschaltete Privatsachverständige seinen Ausführungen, die zu einer höheren ortsüblichen Miete gelangt seien, sechs Vergleichswohnungen zugrunde gelegt habe. Auf der Grundlage der vom Sachverständigen ermittelten ortsüblichen Vergleichsmiete und bei Berücksichtigung einer Wesentlichkeitsgrenze von 20% ergebe sich eine Überzahlung von insgesamt 6604,69 DM, deren Erstattung der Kläger verlangen könne. Der Rückzahlungsanspruch sei - wie das Landgericht näher ausgeführt hat - auch nicht verwirkt.
Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
- Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die Vereinbarung einer Miete nichtig ist und der Mieter deshalb einen Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung hat, soweit die vereinbarte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 20% übersteigt und sich der Vermieter diese Miete unter Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen hat versprechen lassen (§ 5 Abs. 1 und 2 WiStG, §§ 134, 812 BGB). Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, im vorliegenden Fall sei eine Ausnutzung in diesem Sinne anzunehmen, weil keine Gründe dafür erkennbar seien, dass der Kläger und seine Ehefrau ein besonderes Interesse gerade an dieser Wohnung gehabt hätten und die Situation auf dem Wohnungsmarkt deshalb für die Mietpreisbildung keine Rolle gespielt habe.
Die Frage, wann das Tatbestandsmerkmal der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen erfüllt ist, ist in Rechtsprechung und Schrifttum allerdings umstritten. Teilweise wird die Meinung vertreten, es sei ausreichend und erforderlich, dass sich der Vermieter die gegebene Lage auf dem Wohnungsmarkt bewusst zunutze mache; ein Indiz oder ein Anscheinsbeweis hierfür liege beispielsweise dann vor, wenn - wie hier - eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung oder eine Ausweisung der Gemeinde als Gebiet mit erhöhtem Wohnbedarf bestehe. Die daraus folgende Vermutung habe der Vermieter zu entkräften.
Nach anderer Ansicht erstreckt sich die Darlegungs- und Beweislast des Mieters zum Merkmal der "Ausnutzung" im Rückforderungsprozess auch auf die Situation des Mieters im Einzelfall. Danach muss der Mieter, der sich darauf beruft, der Vermieter habe eine Mangellage im Sinne des § 5 WiStG ausgenutzt, im Einzelnen darlegen, welche Bemühungen er bei der Suche nach einer angemessenen Wohnung unternommen hat und weshalb diese Suche erfolglos geblieben ist. - Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung.
- Bei der Auslegung des Begriffs der "Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen" in § 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Vorschrift das Prinzip der Vertragsfreiheit (Art. 2 GG) und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG einschränkt. Diese Einschränkung ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten daher nur insoweit gerechtfertigt, als sie durch die Sozialbindung des Eigentums - hier: im Hinblick auf den Schutz des Mieters vor Ausnutzung einer bestehenden Mangellage - geboten ist. Eine ausdehnende Auslegung zum Nachteil des Vermieters kommt deshalb nicht in Betracht; sie ist überdies weder durch den Schutzzweck der Norm noch durch ihren Wortlaut veranlasst.
- Soweit die Ordnungswidrigkeitenbestimmung des § 5 WiStG über § 134 BGB in das Zivilrecht hineinwirkt, geht es nicht - jedenfalls nicht vorrangig - um die Verhinderung von Wettbewerbsstörungen, sondern um den Schutz des Mieters. Durch die Sanktion der (Teil-)Nichtigkeit der Vereinbarung über die Höhe der Miete sollen der Mieter davor geschützt und der Vermieter davon abgehalten werden, aufgrrund einer unausgewogenen Lage auf dem Mietwohnungsmarkt eine unangemessen hohe Miete zu versprechen bzw. zu fordern. Zwischen der Mangellage und der Vereinbarung der überhöhten Miete muss daher ein Kausalzusammenhang bestehen. Daran fehlt es unter anderem dann, wenn der Mieter unabhängig von der Lage auf dem Wohnungsmarkt bereit ist, eine verhältnismäßig hohe Miete zu bezahlen, etwa deshalb, weil er aus persönlichen Gründen - beispielsweise wegen einer von ihm bevorzugten Wohnlage - nur eine bestimmte und keine vergleichbare andere Wohnung beziehen will. Dasselbe gilt, wenn der Mieter die Wohnung mietet, ohne sich zuvor über ähnliche Objekte und die Höhe der üblichen Miete erkundigt zu haben. In allen diesen Fällen bedarf der Mieter nicht des Schutzes, den das Gesetz demjenigen Wohnungssuchenden gewähren will, der sich auf die unangemessen hohe Miete nur deshalb einlässt, weil er sonst auf dem unausgewogenen Wohnungsmarkt keine seinen berechtigten Erwartungen entsprechende Wohnung zu finden vermag.
- Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 WiStG ("infolge der Ausnutzung"). Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit die subjektiven Merkmale des Ordnungswidrigkeitentatbestands im Rahmen des § 134 BGB erfüllt sein müssen. Jedenfalls darf bei dem Tatbestandsmerkmal der "Ausnutzung" nicht allein auf das Verhalten des Vermieters und die objektive Lage auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt abgestellt werden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Motivlage des Mieters für den Vertragsschluss muss sich das Merkmal der "Ausnutzung" auch auf seine Person beziehen; wer die geforderte Miete ohne Weiteres oder aus besonderen persönlichen Gründen zu zahlen bereit ist, wer mithin eine objektiv bestehende Ausweichmöglichkeit nicht wahrnimmt, wird nicht "ausgenutzt".
- Nach diesen Grundsätzen ist eine Beweiserleichterung in Gestalt eines Anscheinsbeweises oder einer Vermutung zugunsten des Mieters weder geboten noch gerechtfertigt.
- Der Anscheinsbeweis setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen und individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten. Das ist bei individuellen Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen ohnehin allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen anzunehmen. Die Beantwortung der Frage, aus welchen Gründen ein Mieter in einer bestimmten Situation einen Mietvertrag abgeschlossen hat, kann von den unterschiedlichsten Faktoren abhängen; sie entzieht sich einer derartigen typisierenden Betrachtungsweise.
- Für eine Beweiserleichterung oder sogar eine Beweislastumkehr besteht im Übrigen auch im Hinblick auf den Schutzzweck des § 5 WiStG kein Bedürfnis. Dem Mieter ist es ohne Weiteres möglich und zumutbar, darzulegen, ob in seinem konkreten Fall der Vermieter die Lage auf dem Wohnungsmarkt zur Vereinbarung einer unangemessen hohen Miete ausgenutzt hat. Dazu braucht er lediglich vorzutragen, welche Bemühungen bei der Wohnungssuche er bisher unternommen hat, weshalb diese erfolglos geblieben sind und dass er mangels einer Ausweichmöglichkeit nunmehr auf den Abschluss des für ihn ungünstigen Mietvertrags angewiesen war. Es gibt keinen rechtfertigenden Grund, ihn - abweichend von den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast - von der Obliegenheit zum Vortrag dieser für ihn günstigen Tatsachen zu befreien mit der Folge, dass der Vermieter darzutun hätte, dass die Höhe der vereinbarten Miete nicht auf der Mangellage beruhte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Existenz eines Zweckentfremdungsverbots oder einer ähnlichen Verordnung nicht ausreichen, um ohne weitere tatsächliche Grundlagen das Merkmal der unzulässigen Ausnutzung einer Wohnungsmangellage zu bejahen.
- Nach alledem bleibt es auch bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden grundsätzlich dabei, dass der Mieter diejenigen Tatsachen darzutun und gegebenenfalls zu beweisen hat, aus denen sich die Ausnutzung der Mangelsituation im Sinne des § 5 WiStG in seinem konkreten Fall ergibt. Dazu fehlt es bislang an jeglichem Vortrag des Mieters und entsprechenden Feststellungen des Tatrichters. Rechtsfehlerhaft hat sich das Berufungsgericht mit dem Bestehen des Zweckentfremdungsverbots und der Verordnung über die Gefährdung der Wohnraumversorgung in Berlin als Indiz begnügt und angenommen, hieraus und aus den Regeln der Preisbildung in der freien Marktwirtschaft ergebe sich, dass der Vermieter das geringe Angebot bei der Mietpreisvereinbarung auch ausgenutzt habe; Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aus besonderen Gründen ohnehin nur an dieser einen Wohnung interessiert gewesen sei und die Mietpreisbildung deshalb unabhängig von den Marktverhältnissen abgelaufen sei, lägen nicht vor. Das ist, wie ausgeführt, nicht ausreichend.
Fehlt es mithin bislang an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme des Berufungsgerichts, der Vermieter habe bei Abschluss des Mietvertrags gegen das Verbot des § 5 WiStG verstoßen, entfällt damit zugleich der gemäß § 134 BGB zur Teilnichtigkeit der Mietpreisvereinbarung führende Gesetzesverstoß. Damit ist der Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung des Beklagten hinsichtlich des Teils der Miete, der die ortsübliche Miete um mehr als 20 % übersteigt, nicht erfüllt. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung lässt sich daher das angefochtene Urteil nicht aufrechterhalten.
Auf die Revision des Vermieters ist deshalb das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Zu einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat nicht in der Lage, weil es weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Mangellage auf dem Wohnungsmarkt angenommen und eine Verwirkung des angeblichen Rückforderungsanspruchs des Mieters verneint hat, sind allerdings aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
In der neuen Berufungsverhandlung werden die Parteien Gelegenheit haben, ihr Vorbringen zu der Frage zu ergänzen, ob und gegebenenfalls welche erfolglosen Bemühungen der Mieter unternommen hat, bevor er am 10.02.1993 den Mietvertrag mit dem Vermieter abgeschlossen hat.