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Mietrecht

Urteile

Abwägung der Interessen bei fristloser Kündigung

Die Abwägung der Umstände des Einzelfalls, ob bei einer fristlosen Kündigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses zugemutet werden, obliegt in erster Linie dem Tatrichter. (Leitsatz ME)

BGH Karlsruhe, Urteil vom 08.12.2004 – AZ VIII ZR 218/03 –

Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

Die Klägerin, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, hat mit Mietvertrag vom 01.11.1980 an die Beklagte eine 2-Zimmerwohnung vermietet.

Seit längerer Zeit verursacht die Beklagte, insbesondere zur Nachtzeit, ruhestörenden Lärm, indem sie auf dem Boden herumtrampelt und mit Gegenständen gegen Heizrohre und Heizkörper schlägt. Durch dieses Verhalten stört die Mieterin das Zusammenleben der Hausbewohner empfindlich; am stärksten betroffen ist der Mieter N. , der die unter der Wohnung der Beklagten liegenden Wohnung innehat, und für den nach den tatrichterlichen Feststellungen die Situation "unerträglich" geworden ist.

Das Verhalten der jetzt 77 Jahre alten, alleinstehenden Beklagten beruht auf einer schweren psychischen Erkrankung. Nach einem vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten leidet sie unter Verfolgungswahn. Sie hört ständig Stimmen und versucht, sich der vermeintlichen Angriffe durch den geschilderten Lärm zu erwehren. Wegen der Erkrankung ist für die Beklagte eine Betreuerin bestellt worden. Nach mehrfacher erfolgloser Abmahnung hat die Klägerin mit Schreiben vom 25.06.2001 den Mietvertrag wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens fristlos gekündigt. Die Beklagte hält die Kündigung für unwirksam und weigert sich, die Wohnung zu räumen.

Aus den Urteilsgründen:

Der vor dem Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes bestehende Rechtszustand hinsichtlich der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund ist nunmehr durch die für das gesamte Mietrecht geltende allgemeine Kündigungsvorschrift des § 543 BGB kodifiziert worden. Sie setzt - wie § 553 BGB a.F. - zwar kein Verschulden, wohl aber, soweit der Kündigungsgrund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag besteht, im Regelfall eine erfolglose Abmahnung, die hier gegeben ist, voraus.

Nach § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jede Partei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (Satz 2 aaO).

Danach begegnet die vom Berufungsgericht - auch unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) und des Rechtsstaatsprinzips - vorgenommene Abwägung zwischen den Belangen der Beklagten einerseits und der Klägerin sowie der übrigen Mieter andererseits aus Rechtsgründen keinen durchgreifenden Bedenken.

Die Abwägung der Umstände des Einzelfalls obliegt in erster Linie dem Tatrichter. Vom Revisionsgericht kann sie nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer rechtsfehlerfrei gewonnenen Tatsachengrundlage beruht, alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind und ob der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat. Der Prüfung an diesem Maßstab hält das Berufungsurteil stand. Das Landgericht hat auf der Grundlage eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens fehlerfrei festgestellt, bei der Beklagten bestehe schon bei Erlass eines Räumungsurteils - also nicht erst bei dessen Vollstreckung - die ernsthafte Gefahr eines Suizids oder jedenfalls eines sog. "Totstellreflexes" mit völliger Apathie, Verweigerung der Nahrungsaufnahme und ähnlichen schwerwiegenden Folgen. Wenn das Berufungsgericht bei der Abwägung der berechtigten und gewichtigen Belange der Klägerin und des Mitmieters N. , dessen Interessen die Klägerin als Vermieterin ebenfalls wahrzunehmen hat, mit den Belangen der Beklagten letzteren den Vorrang eingeräumt hat, so ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Nach alledem erweist sich die Revision der Klägerin als unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.