Meinungsfreiheit und Mietrecht
Christiane Hollander
In Berlin kommen sie ins Parlament, in Chemnitz sind sie so verpönt, dass ein Vermieter in erster Instanz Schadensersatz zugesprochen bekam: die Piraten. Wegen einer im Fenster hängenden Flagge aus dem Film „Fluch der Karibik“ machte ein im Internet als „Prominentenanwalt aus München“ titulierter Hauseigentümer einen Vermögensschaden geltend, da potenzielle Mieter/innen verschreckt werden könnten. Was aber ist in einem solchen Fall eigentlich mit der Meinungsfreiheit? Im Grundgesetz ist sie verankert und ein hochrangiges Gut. Doch gibt es Grenzen – bei Transparenten, Flugzetteln, Interviews oder bei Wohnungsbegehungen. Wie sich diese Grenzen in einem Mietverhältnis auswirken, ist höchst umstritten.
Wie schwierig die Grenzziehung ist, zeigt ein Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 22. Januar 2008 (AZ: 70/06). Mieter/innen hatten Zettel mit einem Hinweis auf eine Internetseite, die Auskunft zu ihrer Situation gab, und dem Aufdruck „Mieter wehren sich erfolgreich“ in den Hof geworfen, wenn potenzielle Käufer zu Wohnungsbesichtigungen kamen. Daraufhin kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos. Vor Gericht wurde die Frage behandelt, ob das Herabwerfen der Zettel vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt ist. Das beantwortete das Gericht eindeutig: Zettel, die aus dem Fenster geworfen werden, sodass diese auf die im Hof befindlichen Personen herabfallen, sind Teil einer Meinungsäußerung, die vom Grundgesetz gedeckt wird. Der Vermieter war der Meinung, dass das Werfen der Zettel nicht mehr sachlicher Kritik entspreche und außerdem zur Verschmutzung des Hausgrundstücks führe. Es bestehe keine „Waffengleichheit“, jammerte er. Sämtliche „alten“ Mieter könnten sorglos Zettel auslegen und man könne nicht in entsprechender Art und Weise reagieren. Dem Vermarktungsinteresse müsse ein schützenswerter Stellenwert beigemessen werden. Hier gehe es nur darum, den Eigentümer zu schädigen. Das Gericht ließ diese Meinung nicht gelten und schmetterte die Kündigung ab. Die Zettel seien nur ein Hinweis darauf, dass es Auseinandersetzungen zwischen dem Vermieter und den Mieter/innen gab. Der Hinweis auf die Internetseite zeige, dass der Verfasser der Zettel über die Auseinandersetzungen zwischen Vermieter und Mieter/innen hinaus ein politisches oder gesellschaftliches Anliegen verfolgt.
Grenzen der Meinungsäußerung
Das Bundesverfassungsgericht hat in unzähligen Entscheidungen Grundsätze zum Thema Meinungsfreiheit aufgestellt. Danach umfasst der Begriff der Meinungsäußerung sowohl Werturteile als auch dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptungen. Dabei ist es unerheblich, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist oder ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Nicht nur der Inhalt, auch Form sowie Art und Weise einer Meinungsäußerung sind grundrechtlich geschützt, sowie die Umstände, von denen man sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung der Kundgabe verspricht. Selbst polemische oder verletzende Äußerungen sind nicht von vornherein dem Schutzbereich des Grundrechts entzogen. Die Grenzen zulässiger freier Meinungsäußerung werden erst überschritten, wenn durch sie höherrangige Rechte Dritter verletzt werden.
Eine Meinungsäußerung ist nicht Selbstzweck, sondern verfolgt stets einen Zweck. Dass dieser mit den wirtschaftlichen Interessen eines anderen in Konflikt steht, mag für die rechtliche Zulässigkeit einer Aussage wesentlich sein, nicht aber für deren Eigenschaft als Meinungsäußerung. So begründete es der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin im oben genannten Urteil.
Meinungsfreiheit im Grundgesetz und in der Berliner VerfassungIn Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland steht, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Auch die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind nach der Verfassung gewährleistet. Eine Zensur darf nicht stattfinden. Beschränkungen finden sich in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Jugendschutz und im Recht der persönlichen Ehre. In Artikel 14 der Berliner Verfassung ist es etwas salopper formuliert. Danach hat jeder Mensch das Recht, innerhalb der Gesetze seine Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung gewährleistete Freiheit nicht bedroht oder verletzt. Unabhängig von ihren Formulierungen sagen beide Verfassungen das Gleiche: Im Prinzip kann alles gesagt und getan werden, solange die Rechte anderer nicht berührt werden. |
Regionale und vertragliche Besonderheiten
Die Beurteilung unzulässiger Meinungsäußerungen hängt zum einen von vertraglichen Vorgaben, zum anderen von regionalen Besonderheiten ab. Im Mietvertrag kann geregelt werden, dass das Aufhängen von Plakaten einer Genehmigung bedarf. Jede Zuwiderhandlung ist dann ein Vertragsverstoß und kann geahndet werden. Die Ahndung muss nicht unbedingt in Form einer Kündigung erfolgen, aber der Vermieter hat einen Anspruch auf Unterlassung. Eine Genehmigung ist vom Vermieter grundsätzlich zu erteilen, falls kein besonderes Interesse entgegensteht.
Betreffend der regionalen Unterschiede gehört beispielsweise im Hamburger Stadtteil St. Pauli das Hissen der Piratenflagge zum guten Ton. Bei Heimspielen des örtlichen Fußballclubs hängt sie an Fenstern, Außenwänden und Balkonen. Kein Mensch würde deswegen auf die Idee kommen, einen Schadensersatzanspruch wie in Chemnitz zu konstruieren.
An einem Haus nahe der Reeperbahn hingen der Totenkopf und die ein Hakenkreuz zerschlagende Faust mit der Unterschrift „St. Pauli gegen Rechts“ aus allen Fenstern und Balkonen. Es war ein Protest gegen einen Laden im Erdgeschoss, der Thor-Steinar-Kleidung, eine bevorzugte Marke der rechten Szene, verkaufte. Die Eigentümer nahmen den Protest wahr und kündigten – dem Laden im Erdgeschoss.
Transparente am Haus
Zur Mietsache gehören weder die Hausfassade noch die Außenseite des Balkongeländers. Deshalb kann ein Vermieter die Beseitigung eines am Balkongeländer angebrachten Transparents mit politischer Aufschrift verlangen (AG Wiesbaden, Urteil vom 15. April 2003, AZ: 93 C 465/03). Mieter/innen haben nicht das Recht, in das Eigentum der Vermieter einzugreifen und die Gestaltung der Hausfassade zu verändern. Der vertragsgemäße Gebrauch der Mietwohnung wäre damit überschritten.
• Aktueller Anlass
Allerdings wird in der mietrechtlichen Fachliteratur das Grundrecht der Meinungsfreiheit in den Vordergrund gestellt, wenn aus aktuellem Anlass über einen kurzen Zeitraum ein Transparent ausgehängt wird. In Hamburg durften zum Beispiel Mieter/innen ein 2 m langes und 50 cm breites Schild über dem Balkonfenster anbringen. Das Transparent, über das in den 80er Jahren entschieden wurde, richtete sich gegen die Stationierung von Raketen in der Bundesrepublik Deutschland (LG Hamburg, Urteil vom 26. März 1985, AZ: 16 S 215/84).
• Angriff auf Vermieter
Andere Konsequenzen können folgen, wenn auf dem Transparent keine allgemeine politische Forderung steht, sondern der Vermieter direkt angegriffen wird. „Herr S., mit Ihrer Rückendeckung verkaufte die (...) dieses Haus 1999 an seinen Mietern vorbei für 1,5 Millionen DM an den Westberliner H-J S. Der lässt das Haus verfallen. Es steht fast leer. Er bietet es seit zwei Jahren auf dem Markt für ein Vielfaches an. Wir fordern die Rückabwicklung des Verkaufs.“ So stand es an einer Berliner Hauswand. Der Eigentümer kündigte das Mietverhältnis fristlos. Das Landgericht Berlin war offenkundig entsetzt – allerdings nicht über das Geschäftsgebaren des Eigentümers. Mit der Formulierung „Rückendeckung“ werde zum Ausdruck gebracht, dass der Verkauf nicht mit rechten Dingen über die Bühne gegangen sei, so das Gericht. Die Bezeichnung „Westberliner“ sei in diesem Zusammenhang negativ besetzt und propagandistisch, weil sie überwiegend von den Behörden der DDR und den Berlinern (Ost) verwendet wurde. Schließlich bedeute „das Haus verfallen lassen“ und „leer“, dass der Eigentümer ein Spekulant sei. Der Vorwurf der Spekulation sei in hohem Maße ehrenrührig. Eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung oder ein grob fahrlässiger Umgang mit der Wahrheit werde nicht geschützt. Ein irreparabler Schaden des Eigentümers sei entstanden und ein Fortführung des Mietverhältnis mit den für das Plakat verantwortlichen Mieter/-innen unmöglich. Die fristlose Kündigung sei schon wegen des unverschämten Inhalts des Plakats gerechtfertigt (LG Berlin, Urteil vom 28. August 2003, AZ: 67 S 110/03). Einen Kommentar kann man sich kaum verkneifen: Leerstand und Instandhaltungsrückstau sind ein Indikator für ein Spekulationsobjekt und leicht nachprüfbar. Wenn Mieter/innen dies nicht benennen dürfen, ist das ein erheblicher Einschnitt in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Und die Interpretation bezüglich des „Westberliners“ ist für Westdeutsche kaum nachvollziehbar. Auch in Hamburg wurden die Berliner (West) Westberliner genannt. Der Senator S., dem vorgeworfen wurde, er habe beim Verkauf Rückendeckung gegeben, hätte sich aufregen und Maßnahmen ergreifen können. Aber der ist nicht Vermieter und kann das Mietverhältnis nicht kündigen.
• Anzeigen von Leerstand
Das Landgericht München entschied einen Fall, in dem ein Mieter ein mehrere Quadratmeter großes Transparent aus den Wohnungsfenstern an der Fassade angebracht hatte. Auf dem Transparent prangte in großen Lettern: „In diesem Haus stehen 4 Wohnungen leer, ca. 500 qm.“ Das entsprach den Tatsachen. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis fristlos. Zu Recht, wie das Gericht meinte. Der Vermieter werde mit dem Transparent angeprangert. Es reiche die Gefahr, dass dies als Aufforderung zur Hausbesetzung verstanden wird (LG München I, Urteil vom 20. Juli 1983, AZ: 14 S 18033/81). Ob in anderen Großstädten ähnlich geurteilt wird, ist fraglich. Es scheint sehr problematisch, wenn nicht einmal offensichtlich wahre Behauptungen mitgeteilt werden dürfen. Selbst wenn der Vermieter ein schützenswertes Interesse hatte, hätte eine Unterlassung ausgereicht. Grundsätzlich gilt nämlich, dass wahre Behauptungen vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind.
• Keine Tatsachen
Nicht als Tatsachenbehauptung zu belegen war ein Plakat, auf dem stand: „In diesem Haus sind Kinder unerwünscht. Hier darf nicht gewohnt, gespielt, gelacht werden.“ Dieses Plakat musste nach einer einstweiligen Verfügung umgehend entfernt werden (AG Ludwigsburg, Urteil vom 11. August 1989, AZ: 7 C 2028/89).
• Kleinformatige Plakate
Auch auf die Größe des Plakats kann es ankommen. Bei der Anbringung von zwei Plakaten in DIN-A4-Format mit Politvokabular aus der Hausbesetzer-Ära kann es sich zwar um eine Vertragsverletzung handeln, aber eine fristlose Kündigung ist nicht gerechtfertigt. Dem steht zum einen die geringe Größe der „Plakate“ entgegen, zum anderen die Mitteilung selbst, die von Form und Inhalt kaum den Anspruch stellt, ernst genommen zu werden (AG Waldkirch, Urteil vom 25. Januar 1996, AZ: 1 C 371/95). Aber Vorsicht: Das AG Waldkirch hatte über die Rechtsmäßigkeit einer fristlosen Kündigung zu entscheiden. Ein Unterlassungsanspruch wäre unter Umständen gegeben gewesen.
• „Wir bleiben hier!“
Erlaubt ist ein in den Fenstern der Wohnung angebrachtes, nicht dominierendes Plakat mit der Aufschrift „Wir bleiben hier!“. Mieter/innen haben ein beachtenswertes Interesse gegenüber potenziellen Käufern klarzustellen, dass sie ihre Rechte nach dem Kündigungsschutz in vollem Umfang wahrnehmen werden (AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 16. August 1990, AZ: 4 C 1832/90).
• Fußball-Weltmeisterschaften
Einigkeit besteht darüber, dass während einer Fußball-Weltmeisterschaft Plakate von Nationalmannschaften oder Nationalfahnen in die Fenster der Wohnung gehängt werden dürfen. Folgerichtig müsste dies auch für die Clubmannschaften gelten. Vielleicht sollte sich der Fluch-der-Karibik-Fan auf diese Argumentation beziehen.
• Meinungsäußerung in den Medien
Das Recht von Mieter/innen auf freie Meinungsäußerung schließt ein, das Mietverhältnis in der Presse öffentlich behandeln zu lassen. Die von Journalisten gewählte Darstellungsweise ist Mieter/innen nicht als Pflichtverletzung im Mietverhältnis zuzurechnen. Herabsetzende oder unwahre Äußerungen von Mieter/innen über die Vermieter hingegen können eine Pflichtverletzung begründen, insbesondere wenn die Äußerungen gegenüber der Presse vorgenommen werden. Wenn aber nur die Journalist/innen harsche oder beleidigende Worte finden und Sachverhalte nach eigenem Gusto interpretieren, können die Mieter/innen nicht dafür verantwortlich gemacht werden (AG Hamburg-Wandsbek, 23. September 2005, AZ: 716B C 46/05).
• Meinungsäußerung bei Wohnungsbegehungen
Auch hier gilt die Faustregel: Wer Wahres sagt, kann rechtlich nicht belangt werden. Es ist gestattet, potenzielle Käufer über eigene Rechte bei der Umwandlung (verlängerter Kündigungsschutz) und über Mängel in der Wohnung hinzuweisen. Aber Vorsicht ist angebracht, denn eine falsche Behauptung kann Folgen haben.
Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen bei freier Meinungsäußerung sind vielfältig. Das Grundrecht ist interpretierbar und Einschränkungen durch den Mietvertrag sind möglich. Die rechtlichen Konsequenzen reichen von Unterlassung (auch im Eilverfahren) bis zur Kündigung oder sogar fristlosen Kündigung. Fast ein Jahr lang hatte ein Genossenschaftsmitglied seiner Genossenschaft in mehreren Schreiben vorgeworfen, sie würden „Nazimethoden“ anwenden, „wegsehen bei Hitler“ oder „Millionen an Fördergeldern missbrauchen“. Die Genossenschaft hatte irgendwann die Nase voll und wollte das Mitglied aus der Genossenschaft ausschließen. Das Gericht war zwar der Meinung, dass das Verhalten als unvereinbar mit dem genossenschaftlichen Sinn galt, aber der Ausschluss des Mitglieds erfolgte nicht. Die Genossenschaft hätte vorher abmahnen müssen (LG Berlin, 20. April 2006, AZ: 51 S 343/05).
Fazit
Allgemeine Grundsätze bezüglich der Meinungsfreiheit im Mietrecht lassen sich nicht aufstellen. Regionale Unterschiede machen es fast unmöglich, Faustregeln aufzustellen. Allerdings sind die Extreme eindeutig. Vom Grundrecht ist nicht erfasst, zu lügen oder den Vermieter zu beschimpfen. Wer ein kleines Plakat mit einer allgemeinem, dem Zeitgeist entsprechenden Äußerung ins Fenster hängt, hat wenig zu befürchten.
Das Urteil über die Piratenflagge wird erst nach Redaktionsschluss ergehen. Die Richter haben aber wohl bei einem Ortstermin festgestellt, dass es sich eindeutig um eine Kinderflagge handelt. Wer hätte auch echte Piraten erwartet?
Christiane Hollander ist Juristin beim Mieterverein „Mieter helfen Mietern“ in Hamburg.
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