Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 29.01.2020

„Von Wohnungen ist da keine Rede“

Wohnungslose und Initiativen kritisieren Nacht der Solidarität

In der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 2020 sollen rund 3.700 Freiwillige zwischen 22 und 1 Uhr berlinweit obdachlose Menschen zählen und befragen. Ziel der „Nacht der Solidarität“ ist es auf Basis der erhobenen Daten eine Statistik zu Obdachlosigkeit in Hauptstadt zu erstellen. Laut der Senatsverwaltung für Soziales sollen auf Basis der Ergebnisse die Hilfs- und Beratungsangebote ausgeweiten und spezialisiert werden. Bisher gehen Schätzungen von 6.000 bis 10.000 Menschen aus, die in Berlin auf der Straße leben. Hinzu kommen rund 36.000 Wohnungslose, die in Unterkünften untergebracht sind. Die bundesweit erste offizielle „Obdachlosenstatistik“ ist Teil der im September 2019 beschlossenen neuen „Leitlinien der Wohnungslosenhilfe und Wohnungslosenpolitik“, die als Ergebnis dreier Strategiekonferenzen zum Thema Wohnungslosigkeit in den vergangenen zwei Jahren formuliert wurden. Während viele Sozialverbände und Wissenschaftler/innen die Zählung begrüßen, um endlich Klarheit über das tatsächliche Ausmaß von Obdachlosigkeit in der Stadt zu schaffen, kritisieren die „Selbstvertretung wohnungsloser Menschen“ und Aktivist/innen des ehemaligen Neuköllner Kiezladens Friedel54 die Zählung als Symbolpolitik und entwürdigend.

„So wie die Nacht der Solidarität sich jetzt darstellt, handelt es sich um alles andere als eine solidarische Aktion“, sagte der Pressesprecher der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen, Stefan Schneider, dem RBB am Dienstag. Er vermisse bisher verbindliche Zusagen von Senatorin Breitenbach die Situation Obdachloser durch die Zählung zu verbessern. „Von Wohnungen ist da keine Rede“, sagte er dem RBB. In einem Statement der Selbstvertretung heißt es, die Zählung sei ein „würdeloser Vorgang“ für obdachlose Menschen: „Tiere werden gezählt - Menschen muss geholfen werden“. Die Wohnungspolitik des Senats sei „verantwortlich für die erhebliche Zunahme der Wohnungsnot und Obdachlosigkeit.“ Zwangsräumungen machten täglich Menschen obdachlos und die Wohnungssuche sei für Wohnungslose „gegenwärtig nahezu aussichtslos“. Für den Abend des 29. Januar wird zu einer Mahnwache vor dem roten Rathaus aufgerufen. Die Friedel54 kritisierte in einem Flyer der tausendfach in Berliner S-und U-Bahnen verteilt wurde, der Senat ziele mit der Maßnahme nur auf eine bessere Verwaltung von Wohnungslosigkeit, verschleiere aber, dass diese „das Ergebnis von der herrschenden Stadtpolitik ist“.
Tatsächlich konnten die bisher von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) ergriffenen Maßnahmen, wie die Ausweitung der Kältehilfe und die medial groß aufgebauschten Strategiekonferenzen, den Anstieg der Wohnungslosigkeit in der Stadt nicht stoppen. Noch immer gibt es jährlich bis 5.000 Zwangsräumungen und von radikaleren Instrument, wie Ersatzvornahme von Wohnraum bei einer drohenden Zwangsräumung, wurde, trotz politischen Vorstößen auf bezirklicher Ebene, bisher kein Gebrauch gemacht. Durch das vor rund einem Jahr gestartete Housing First Projekt konnten rund 30 Wohnungslose eine neue Wohnung finden. Es bleibt aber so lange Symbolpolitik, bis es nicht den entsprechenden Wohnraum gibt, in dem die Betroffenen untergebracht werden können.
Bisher fehlt es dem rot-rot-grünen Senat an einer wohnungspolitischen Strategie, um die Ausweitung der Hilfsangebote durch die Bereitstellung von bezahlbaren Wohnung zu begleiten. Der Neubau von  geförderten Wohnungen bleibt weit hinter den Bedarfen zurück. Die Zahl der genehmigten Sozialwohnungen erreichte im vergangenen Jahr mit 1.778 geförderten Wohneinheiten nicht einmal die Hälfte der Zielmarke von 4.000 und lediglich 1.283 davon wurden zu 6,50 EUR/m² angeboten. Stattdessen wird das Problem der wachsenden Zahl an Wohnungslosen von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen zunehmend in das Ressort für Soziales delegiert. Senatorin Breitenbach setzt dabei auf Substandardlösungen, wie die angestrebte Unterbringung von Wohnungslosen in modularen Unterkünften und Containern. Im letzten Jahr forderte die Linken-Politikerin die Unterbringung von Obdachlosen in Zelten. Die Zelte könnten für drei bis sechs Monate auf Brachen „in einer unproblematischen Lage“ aufgebaut werden. Auf die Diversifizierung von Wohnungslosigkeit von der längst auch Familien, Alleinerziehende und Frauen betroffenen sind, reagiert der Senat mit der Einrichtung von Unterkünften für wohnungslose Familien, wie zuletzt in Neukölln. So gewinnbringend die jetzige Zählung für die Anpassung des Hilfesystems auch sein mag, eine Zurückdrängung der wachsenden Obdachlosigkeit ist von ihr nicht zu erwarten.

Protestmahnwache vom Wohnungslosenparlament | vor dem Roten Rathaus (S-/ U-Alexanderplatz)
Start: 29.01. | ab 18 Uhr

Philipp Möller

 

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