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MieterEcho online 16.06.2014

Kein Konzept, dafür viele Vorurteile: Roma haben es auf dem Berliner Wohnungsmarkt schwer

In Berlin wohnen hunderte Roma unter katastrophalen Bedingungen – in heruntergekommenen Mietshäusern, Elendsquartieren oder auf der Straße. Senat und Bezirke sind auf diese Zuwanderergruppe nur unzureichend vorbereitet.

Seitdem Polen (Mai 2004) sowie Rumänien und Bulgarien (Januar 2007) Mitglieder der Europäischen Union sind, kommen immer mehr Roma aus diesen Ländern nach Berlin. Sie nutzen ihr Freizügigkeitsrecht, um ihrer katastrophalen sozialen Lebenssituation und Diskriminierung zu entkommen. Aus denselben Gründen fliehen Roma als Asylsuchende aus den Balkanstaaten, wo ihnen teilweise systematisch der Zugang zu Wohnraum, Schulbildung und Krankenversorgung verweht wird, nach Berlin.
Wie viele der Zuwander/innen aus Ost- und Südosteuropa tatsächlich Roma sind, lässt sich nicht sagen, da in Deutschland keine Statistiken nach ethnischen Zugehörigkeiten geführt werden.


Auf dem Berliner Arbeitsmarkt werden sie häufig ausgebeutet oder müssen ihren Lebensunterhalt mit Schwarzarbeit, dem Verkauf von Obdachlosenzeitungen oder Flaschensammeln bestreiten. Zwar genießen Zuwander/innen aus Rumänien und Bulgarien seit Januar 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit und müssen sich nicht mehr in die Scheinselbständigkeit flüchten, doch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gibt es weiterhin.


Auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt haben Roma es besonders schwer. Viele verfügen nur über ein geringes Einkommen; wenn sie als Asylsuchende kommen, zudem über einen unsicheren Aufenthaltsstatus. Weil sie Vorbehalten und Diskriminierung auf Vermieterseite ausgesetzt sind, kommen sie oft bei Bekannten unter oder sind auf Angebote von unseriösen Vermieter/innen angewiesen. Diese nutzen die geringen Kenntnisse des deutschen Mietrechts, Verständigungsprobleme, den Bedarf nach einer festen Meldeanschrift sowie die Diskriminierung auf dem regulären Wohnungsmarkt aus, um Miet- oder Untermietverträge zu weit überhöhten Preisen abzuschließen. Die Roma-Selbstorganisation Amaro Drom berichtet von Fällen, in denen zwei Familien mit insgesamt zwölf Personen auf 65 Quadratmetern wohnen. Mittlerweile gibt es nach Erkenntnissen von Senat und Bezirken 35 überbelegte Mietobjekte in Mitte, 30 in Neukölln, vier in Lichtenberg und zwei in Reinickendorf.


Hunderte Roma ohne Unterkunft übernachten in Autos, auf öffentlichen Plätzen, in Elendsquartieren, Abrisshäusern, verlassenen Laubensiedlungen oder Parks. Im Sommer 2009 ließen sich rund 30 Roma im Görlitzer Park in Kreuzberg nieder. Aufsehen erregte die Räumung eines verwahrlosten Mietshauses Anfang Juli 2012 in der Turmstraße 64 im Bezirk Mitte, das an Roma-Familien untervermietet worden war. Der Hausverwaltung ließ die Bewohner/innen des Hauses ohne rechtswirksamen Räumungstitel mit Hilfe eines Sicherheitsdienstes räumen. Rund 40 rumänische Roma verloren dabei ihr Dach über dem Kopf und übernachteten daraufhin auf dem Leopoldplatz im Wedding.


Mitte August 2013 wurde bekannt, dass sich in der seit 2010 für den Weiterbau der A100 aufgegebenen Kleingartenkolonie in der Aronstraße in Neukölln Roma-Familien niedergelassen hatten. Dort lebten sie ohne Trink- und Abwasser sowie Müllentsorgung. Das Bezirksamt ließ sie räumen, die Kolonie abreißen und setzte rund 50 Menschen auf die Straße. In der von Flüchtlingen seit November 2012 besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg leben rund 15 Roma-Familien. Auch in informellen Siedlungen wie auf der Kreuzberger Cuvry-Brache oder auf dem Gelände der ehemaligen Bärenquelle-Brauerei in Niederschöneweide leben nach Schätzungen des Bezirks Menschen aus Bulgarien, Rumänien und Polen unter katastrophalen Bedingungen. Seit Anfang 2014 haben sich rund 30 rumänische Roma in der aufgegebenen Laubenkolonie „Heideschlösschen” in Charlottenburg niedergelassen.


Mittlerweile werden die niedrigschwelligen Einrichtungen der Berliner Kältehilfe für Wohnungslose zu Zweidritteln von Menschen aus Ost- und Südosteuropa aufgesucht. Doch die Berliner Bezirke weigern sich, wie fast alle Kommunen in Deutschland, ihrer Verpflichtung nachzukommen, obdachlose EU-Bürger/innen unterzubringen. Sie entziehen sich stillschweigend oder mit der falschen Behauptung, sie seien zur Unterbringung nur verpflichtet, wenn sozialrechtliche Ansprüche auf Hartz IV oder Sozialhilfe vorhanden seien. Genau diese Leistungen wird EU-Bürger/innen – oftmals rechtswidrig – versagt.
In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom April 2014 schätzte der Staatssekretär für Bauen und Wohnen, Engelbert Lütke Daldrup (SPD), die Zahl der Roma-Familien aus Bulgarien und Rumänien, die in Berlin in prekären Wohnverhältnissen leben, auf mehr als 400. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen.


Berlin hat die kriminellen Machenschaften von Arbeitgeber- und Vermieterseite, mit denen Roma ausgebeutet werden, lange Zeit ignoriert. Zunächst begannen die Bezirke – allen voran Neukölln und Mitte – aktiv zu werden, Arbeitsgruppen einzurichten und Programme aufzulegen. Der Senat blieb lange Zeit untätig. Erst seit 2010 fördert der Senat – zunächst mit Minibeträgen –die Mobile Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und Roma der Vereine Amaro Drom/Amaro Foro und Südost Europa Kultur. Die beiden Träger leisten Sprachmittlung, aufsuchender Arbeit und Sozialberatung schwerpunktmäßig für rumänische und bulgarische Roma. Seit 2011 finanziert das Land Berlin auch das Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte.
Ende 2011 wandten sich die Bezirke mit einem Hilferuf an den Senat. Er solle gesamtstädtisch aktiv werden und auf die Notlagen zu reagieren, welche die Bezirke allein nicht lösen können.

Mitte Juli 2013 legte der Berliner Senat daraufhin eine „Berliner Strategie zu Einbeziehung ausländischer Roma“ („Aktionsplan Roma“) vor. Sie beinhaltet drei Aktivitäten, um die Wohnsituation von Roma in Berlin zu verbessern: Der Senat will ein Wohnheim für obdachlose Roma-Familien mit Kindern einrichten, Roma in Wohnungs- und Mietfragen beraten und „mit den Bezirken alle rechtlich möglichen Anstrengungen unternehmen“, um unseriöse Vermietungspraktiken zu bekämpfen.

Große Ziele, mangelnde Umsetzung
Doch mit der Umsetzung des Aktionsplans hapert es – und dies nicht nur, weil erst mit dem Doppelhaushalt 2014/2015 die Gelder dafür bereitgestellt wurden.
So sucht die Integrationsbeauftragte Monika Lüke seit Monaten eine geeignete Immobilie für die Einrichtung eines Wohnheims für obdachlose Roma-Familien. In den Notübernachtungen und in der Kältehilfe ist eine Unterbringung von Kindern ausgeschlossen; in die familiengerechten Wohnheime kommen sie nicht herein, weil dazu eine Kostenübernahme nach Hartz IV oder Sozialhilfe nötig wäre.
Die ersten Vorschläge der Senatsverwaltung für Integration zur Umsetzung des „Aktionsplan Roma“ während der Haushaltsberatungen im September 2013 waren teilweise geprägt von antiziganistischen Vorurteilen. Sie sahen zum Beispiel die Pläne zum Roma-Wohnheim vor, dass dort „zur Verhindern von Konflikten im Stadtraum Sozialverhalten trainiert“ werden soll. Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) wollte, dass von dort ein „grundsätzliches Signal“ ausgesendet würde, dass es „keine Leistung [...] ohne Gegenleistung“ gibt. Kinderbetreuung sei „nicht notwendig, aber die Sozialarbeiter sollten die Eltern dazu anhalten, ihre Kinder zu beschäftigen.“ Amaro Foro und der Flüchtlingsrat kritisierten ein eigenes Wohnheim nur für Roma als ausgrenzend und stigmatisierend.


Das Ziel, unseriöse Vermietungspraktiken aktiv zu bekämpfen, hat der Senat nicht wirklich weiter verfolgt. In einer Auflistung von Vorhaben, die Staatssekretärin Barbara Loth (SPD) Ende Mai 2014 vorlegte, findet sich keine ernsthafte Maßnahme, um die Vermietung unbewohnbarer Mietshäuser und die Untervermietung zu überteuerten Mieten zu unterbinden. Stattdessen schlägt der Senat „Wohnführerscheine“ für Mieter/innen vor und will Vermieter/innen „sensibilisieren“ und „Anreize“ schaffen, damit „auch Menschen in prekären Lebenslagen Zugang zu bezahlbarem und solidem Wohnraum erhalten“.
Das Land Berlin war und ist auf diese Wanderungsbewegung aus Ost- und Südosteuropa nur unzureichend vorbereitet. Der Senat hat die sozialen Folgen zu spät erkannt. Darunter haben tausende Zuwanderer/innen zu leiden, die in der Hauptstadt unter katastrophalen Bedingungen leben und zugleich alltägliche Diskriminierung und Stigmatisierung durch Medien, Verwaltungspraxen und in vielerlei Alltagssituationen erfahren.

Christian Schröder


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