Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 01.08.2013

Haushalte in der Warteschleife zum Zwangsumzug

Laut einer gemeinsamen Erhebung der Bundesagentur für Arbeit, dem Deutschen Landkreistag und dem Statistischen Bundesamt zum Umfang der Arbeitslosigkeit befindet sich fast jede/r fünfte Arbeitnehmer/in an der Spree (17,2%) nicht in einem Beschäftigungsverhältnis. Damit ist Berlin die Hauptstadt der Langzeiterwerbslosen.

Zum Vergleich: Der bundesweite Durchschnitt der Hartz-IV-Empfänger/innen an der Bevölkerung lag im Juni 2013 bei 7,7 Prozent. Angesichts der rasant steigenden Mietpreise stellt sich damit vor allem eine Frage: Wie lange können Haushalte, die nicht zu den Selbstzahler/innen gehören und auf die Übernahme der Kosten der Unterkunft durch die JobCenter angewiesen sind noch in ihren angestammten Wohnungen und damit in ihrem sozialen Umfeld verbleiben. Zwar treten mit dem 1. August die Neuregelungen im Zusammenhang mit der Wohnaufwendungenverordnung (WAV) in Kraft. So steigen die monatlichen Zuschüsse im Schnitt zwischen 21 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt und 26 Euro für eine fünfköpfige Familie. Ein Vier-Personen-Haushalt erhält dagegen im Schnitt sogar nur vier Euro mehr. Einem Einpersonenhaushalt werden demnach durchschnittlich 415 Euro (statt 394 Euro) monatlich für Miete und Heizung erstattet. Ein Elternpaar mit zwei Kindern erhält im Durchschnitt 669 Euro (vorher 665 Euro).


Von einer Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse kann allerdings nicht die Rede sein. Das ergibt sich etwa aus dem Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) und der Auswertung aktueller Mietangebote. So lag die mittlere Angebotsmiete (Median) zuletzt bei 7,58 Euro pro m² nettokalt. Besonders hoch sind die Angebotsmieten für Kleinstwohnungen bis 40 m². Diese betragen sogar bis zu 9,59 Euro pro m² nettokalt.
Wie eng es für immer mehr Betroffene wird, dass belegen aktuelle Zahlen des Berliner Senates. Demnach lagen im Jahre 2012 insgesamt 63.658 "Bedarfsgemeinschaften" mit ihrer Miete über der Obergrenze, die von den bezirklichen Jobcentern im Rahmen der Übernahme der Kosten der Unterkunft (KdU) übernommen wird. "Die Anzahl der Fälle über der Richtwertobergrenze bedeutet allerdings nicht, dass in jedem Fall eine Mietdifferenz durch die Hilfeempfangenden zu tragen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen noch keine Entscheidung getroffen wurde oder unter Würdigung der Besonderheit des Einzelfalles die Miete als individuell angemessen bewertet wurde", betonte Mario Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales auf eine aktuelle Anfrage im Abgeordnetenhaus.


Wurde ein Bescheid erteilt, dann eröffneten sich zwei "Alternativen": Der Zwangsumzug oder die vorläufige Vertagung eines Auszugs. So wurden im vergangenen Jahr 612 Umzüge bei ALG-II-Empfängern registriert. Im Jahr 2011 waren es 1337 - bis März des laufenden Jahres beziffert die Senatsverwaltung für Soziales den Umfang mit 58 Haushalten. Eine Aufforderung zur Kostensenkung erhielten 2012 insgesamt 16.481 "Bedarfsgemeinschaften", also ein Drittel der Leistungsbezieher/innen gegenüber denen die JobCenter überhaupt tätig geworden sind (Stand 15. Juli 2013). Während in knapp 12.500 Fällen noch keine Entscheidung getroffen wurde, flatterte rund 35.000 Haushalten der Hinweis ins Haus, dass trotz "zu hoher Miete", eine Kostensenkung nicht verlangt wird - vorerst. Insgesamt leben damit fast 50.000 Langzeiterwerbslose, trotz der kürzlich angepassten Richtwerte im Rahmen der WAV in der Ungewissheit über die Dauer des Verbleibes in ihrer Wohnung. Mit dem Urteil des Landessozialgerichtes vom April, mit dem das Gericht die Regelungen zu den Mietsätzen für Hartz-IV-Empfänger/innen gekippt hatte, ist die Landesregierung, die Revision gegen die Entscheidung eingelegt hat, alsbald gezwungen eine neue Verordnung auf den Weg zu bringen. Wer dann immer noch oder zusätzlich auf gepackten Koffern sitzen wird, ist offen.
 
Christian Linde

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