Beim ersten Wintereinbruch wird wieder deutlich, wie viele Menschen in Berlin auf der Straße leben müssen. Unter vielen Häuserecken, aber auch unter Viadukten und Brücken stapeln sich Matratzen und Schlafsäcke. Der den Leser/innen des MieterEchos bekannte Autor und Fotograph Matthias Coers zeigt in den Räumen der Obdachlosengruppe Unter Druck e.V. in der Oudenarder Straße 26 in Berlin-Wedding seine Ausstellung „Mittendrin draußen“ über das Leben ohne Obdach in Berlin. Sie wird am 13.11.2019 um 18 Uhr eröffnet und wird bis zum 20.12. zu sehen sein. Coers nimmt in seinen Fotos die Obdachlosen als Individuen mit ihren unterschiedlichen Biographien ernst. Dabei wird schnell deutlich, dass die Obdachlosigkeit die Konsequenz einer Politik ist, die Wohnungen für einkommensschwache Menschen vernachlässigte. Wenn man die Fotos betrachtet, wird schnell klar, dass Obdachlosigkeit ein gesellschaftliches Problem ist. Coers dokumentiert auch die unterschiedlichen Überlebensstrategien von Menschen ohne Obdach in Berlin. So wird ein Schlafplatz in einer Hauseinfahrt mit Stromanschluss ebenso gezeigt, wie die Platte am Bahnhof Zoo und die zugige Traglufthalle als letzte Zuflucht.
Ehrenamt zwischen Engagement und Missbrauch durch die Politik
Doch zur Romantisierung gibt es keinen Anlass. Ohne das ehrenamtliche Engagement verschiedener Einzelpersonen und Initiativen wäre das Leben vieler Obdachloser in Berlin in Gefahr. Die Berliner Obdachlosenhilfe gehört zu den Gruppen, die seit Jahren Menschen ohne Dach über den Kopf unterstützen und ihre Arbeit auch politisch verstehen (https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html). „Wir sind maßgeblich damit beschäftigt, ehrenamtlich Aufgaben zu erfüllen, die der Bezirk vernachlässigt“, schreibt die Berliner Obdachlosenhilfe in einer Pressemitteilung, in der sie begründet, warum sie die Annahme des Ehrenamtspreises des Stadtteils Mitte ablehnt.
„Wir sind auf unseren Hilfstouren immer mit den Konsequenzen der obdachlosenfeindlichen und oft menschenverachtenden Politik des Bezirksamts Mitte konfrontiert“, erklärt Niclas Beiersdorf von der Berliner Obdachlosenhilfe. Obdachlose Menschen würden in dem Bezirk aus dem öffentlichen Raum geräumt und verdrängt, ihr Besitz wie Müll behandelt, präzisiert er gegenüber Mieter Echo online die Vorwürfe. „Der Bezirk kommt seiner Unterbringungspflicht nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) nicht nach. Für die Kältetoten auf Berlins Straßen ist diese Politik mit verantwortlich“, so Beiersdorfs hartes Urteil über den Umgang des Bezirks Mitte mit Wohnungslosen. Ausdrücklich ausgenommen von der Kritik hat die Obdachlosenhilfe die Freiwilligenagentur, die ihr den nun abgelehnten Preis verleihen wollte. Es ist natürlich verständlich, dass die vielen ehrenamtlich arbeitenden Menschen für ihr Engagement gelobt werden sollen. Doch wenn sich die Obdachlosenhilfe wünscht, „dass sich mehr Menschen für das Ehrenamt begeistern“, hätte man sich doch einen kritischen Blick gewünscht. Die Publizistin Claudia Pinl hat mit dem Buch „Freiwillig zu Diensten?“ eine gute Vorarbeit über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit geleistet. Sie hat in dem Buch gut herausgearbeitet, wie die unentgeltliche Arbeit vieler engagierter Menschen von der Politik dazu missbraucht wird, die staatliche Sozialpolitik weiter zurückzufahren. Die Forderung sollte daher darin liegen, das Ehrenamt überflüssig zu machen, indem die kommunalen und staatlichen Stellen ihre Aufgaben wahrnehmen und mehr tariflich bezahlte und abgesicherte Arbeitsplätze auch im Sozialsektor schaffen.
Peter Nowak
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