MieterEcho online – 10.06.2011
Touristenmarkt am Maybachufer
Berlin soll attraktiv sein nach außen oder, wie es der Partygänger Wowereit augenzwinkernd ausdrückt, „sexy“, und die Bewohner/innen sollen arm bleiben und sich vermarkten lassen. Eine gute Geschäftsidee der Wowereit, Wolf und Co., KG.
Nicht immer lassen sich die Objekte – Objekte, das sind wir Berliner/innen – reibungslos in dieses Konzept einpassen.
Der Markt am Maybachufer in Neukölln war attraktiv zu Westberliner Zeiten und blieb es auch danach. Jetzt aber wird die Attraktivität ausgebeutet, zu Lasten derjenigen die dort wohnen. Doch die wollen sich nicht vermarkten lassen und nehmen Stellung, die das MieterEcho gerne veröffentlicht:
Offizielle Stellungnahme der Anwohner Maybachufer zum Samstagsmarkt
Da verstärkt Medienvertreter Interesse am Bürgerprotest gegen den neuen Stoff-Markt am Maybachufer bekundeten, haben sich die Anwohner dazu entschlossen, ihre Sicht des Konflikts in folgender Stellungnahme zusammenzufassen.
Einmalige Belastungssituation in Berlin
Der Protest der Anwohner am Maybachufer richtet sich gegen den im Oktober des vergangenen Jahres gestarteten sogenannten „Neuköllner Stoff“, der nun wöchentlich am Sonnabend zusätzlich zu dem am Dienstag und Freitag stattfindenden BiOriental-Markt (Türkenmarkt) am Maybachufer durchgeführt wird. Damit haben die Anwohner nun anstelle von bisher 100 Marktterminen pro Jahr 150 Markttermine pro Jahr zu ertragen. Da die Märkte mit 200 Ständen (Dienstag + Freitag) bzw. 140 Ständen (Sonnabend) zu den größten Berlins zählen, wurde eine Belastungssituation für Anwohner geschaffen, die in dieser Form einmalig ist in Berlin.
Vervielfachung der Störfaktoren
Die Probleme, die sich aus dem Marktgeschehen für die Anwohner ergeben, sind vielfältiger Art. Insbesondere Lärm, Parkplatzprobleme, Müll, Geruchsbelästigungen und zunehmend auch Straßenmusik machen den Anwohnern zu schaffen. Tatsächlich war die Belastungsgrenze bereits vor Durchführung des neuen Marktes mehr als erreicht, zumal über Jahre hinweg auf dem Markt am Dienstag und Freitag Auflagen (insbesondere bezüglich der Auf- und Abbauzeiten) grob verletzt wurden, was erst kürzlich vom Marktbetreiber eingeräumt und teilweise auch behoben wurde.
Nichtbeachtung der Anwohner
Vor dem Hintergrund der geschilderten Situation erscheint die Genehmigung des neuen Stoff-Marktes durch das Neuköllner Ordnungsamt völlig unverständlich. Schlimmer aber noch wiegt der Umstand, dass das Ordnungsamt „keine rechtliche Handhabe sah“, den Markt „willkürlich zu versagen“, da kein „öffentliches Interesse“ dagegen sprach, woraus gefolgert werden darf, dass zukünftige Anträge auf weitere Märkte ebenfalls positiv beschieden werden müssten (!).
Eine Bürgerbeteiligung fand bei dem Entscheidungsprozess über den neuen Markttag am Sonnabend in keiner Form statt. Die Anwohner wurden weder vom Ordnungsamt noch vom Marktbetreiber über den zusätzlichen Markttag informiert, sondern konnten sich dessen Existenz indirekt anhand von über Nacht aufgestellten Parkverbotsschildern erschließen.
Unrechtmäßige Privatisierung des öffentlichen Raums
Einen unangenehmen Beigeschmack erhält die Genehmigung durch das Ordnungsamt Neukölln dadurch, dass der Bezirk Neukölln finanziell direkt und indirekt von dem neu genehmigten Markttag profitiert. Das Ordnungsamt, das eigentlich im Sinne der Allgemeinheit und des öffentlichen Interesses agieren sollte, tritt somit klar in eine Interessengemeinschaft mit dem an Unternehmensgewinnen orientierten Marktbetreiber. Es findet unter aktiver Mithilfe des Bezirksamtes eine Privatisierung des öffentlichen Raumes statt. Eines öffentlichen Raumes, der in den Jahren zwischen 1995 und 2007 Sanierungsgebiet war und mithilfe von Millionen von Euro öffentlicher Gelder erst in den heutigen Zustand gebracht wurde.
Verweigerung der Akteneinsicht
Die mangelnde Neutralität des Ordnungsamtes zeigt sich allein darin, dass auch nach einem halben Jahr Bürgerprotest und zahlreichen schriftlichen und mündlichen Anfragen jegliche Auskunft darüber verweigert wird, wie die genauen Auflagen der Märkte (z. B. Auf- und Abbauzeiten der Märkte, ausgewiesene Fläche, Sicherung der Feuerwehrzufahrt, Unfallfluchtordnung etc.) aussehen. Es wurde und wird keine Akteneinsicht gewährt.
Bezirksbürgermeister ignoriert seine Bürger
Die Haltung des Ordnungsamtes scheint wesentlich von Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky persönlich beeinflusst zu sein, der auf ein von den Anwohnern bereits Mitte November 2010 verfassten Brief mit weit über 100 Unterschriften dahingehend antwortete, man möge sich doch „in etwas Geduld und Toleranz üben“ und daran erinnerte, dass Tucholskys Ideal von „vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“ sich eben nicht immer verwirklichen lasse. Das wurde von den Anwohnern, die seit Jahren und Jahrzehnten ohnehin bereits mit über 100 Markttagen pro Jahr und mit teilweise über 16 Stunden Beeinträchtigungen pro Markttag konfrontiert sind, als Unverschämtheit empfunden.
Zusätzliche Gefahr der Gentrifizierung
Zahlreiche Anwohner sehen den neu geschaffenen Stoff-Markt am Maybachufer aber auch noch in einem größeren Zusammenhang als nicht nur negativ für das Maybachufer, sondern auch als bedenklich für den Kiez Nord-Neukölln an. Tatsächlich hat die jüngst stark gestiegene Anzahl von Touristen die Lebensqualität der Anwohner bereits spürbar beeinträchtigt. Nächtliche Ruhestörungen, Müll, zerbrochene Flaschen, stundenlange Straßenmusik und öffentliches Urinieren sind dabei noch die harmloseren Begleiterscheinungen. Ferienwohnungen und Zweitwohnsitze vernichten bezahlbaren Wohnraum, zahlreiche gastronomische Neueröffnungen und Beherbergungsbetriebe verändern den Bezirk nachhaltig, gewachsene Kiezstrukturen werden durch absehbar steigende Gewerbemieten verdrängt, die kurze Blüte der „Neuköllner Kreativität“ droht durch kurzfristiges Profitinteresse zu ersticken. Es ist erklärtes Ziel des Sonnabend-Marktes, weitere Touristen anzulocken, so wurden an den Flughäfen mit großem Aufwand Werbeflyer verteilt.
Viele Anwohner sind jedoch der Ansicht, dass im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Neuköllns und einer behutsamen Stadtentwicklung eine rein quantitative Steigerung der Touristenzahlen genau an dieser Stelle des Bezirks nicht wünschenswert ist, sondern vor allem zur weiteren Gentrifizierung und Verdrängung beiträgt.
Daher fordern die Anwohner des Maybachufers den Bezirksbürgermeister und den Marktbetreiber auf, den Stoff-Markt und damit den dritten Markttag am Maybachufer nicht über den bereits genehmigten Zeitpunkt hinaus durchzuführen.
Gez.: Anwohner-Initiative Maybachufer