MieterEcho online 21.06.2013
Zwischen Marktradikalität und Formelkompromissen
Parteiprogramme zur Bundestagswahl bieten weder schlüssige Konzepte für Wohnungsbau noch für eine durchgreifende Begrenzung der Mieten
[Rainer Balcerowiak]
Eines ist allen Parteien gemeinsam: Sie können die zunehmend angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt besonders in Großstädten und Ballungsräumen nicht mehr ignorieren oder gar leugnen. Die Mietenexplosion mit der damit einhergehenden Verdrängung aus den Innenstädten ist in einigen Regionen zu einem zentralen Thema geworden, das auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen wird. Darauf müssen die Parteien reagieren, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, von einem Teil ihrer jeweiligen Klientel abgestraft zu werden.
Die bisherigen Regierungsparteien CDU, CSU und FDP setzen in ihren Wahlprogrammen auf mehr oder weniger marktradikale Positionen, die unmittelbar an die mieterfeindliche Politik der ablaufenden Legislaturperiode anknüpfen. Ein wesentliches Ergebnis dieser mieterfeindlichen Politik war das am 1. Mai 2013 in Kraft getretene Mieterechtsänderungsgesetz, das zu einschneidenden Benachteiligungen von Mieter/innen geführt hat.
CDU: Lippenbekenntnis zu Mietenbegrenzung
Vor einigen Wochen vollzog die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel allerdings einen Kursschwenk und schloss sich der SPD-Forderung nach einer Kappung der Mieterhöhungen bei Neuverträgen an. Dies ist in erster Linie der berechtigten Angst geschuldet, bei der Wahl in Städten mit besonders angespannter Wohnraumversorgung regelrecht abgestraft zu werden. In welcher Form dieser Mietpreisdeckel im Wahlprogramm, das am 29. Juni verabschiedet werden soll, Niederschlag finden wird, blieb zunächst unklar. Zumal es in der Partei erheblichen Widerstand gibt. So heißt es in einem Positionspapier des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dirk Fischer: „Mit der von der SPD geplanten Kappungsgrenze für Neuvermietungen würde der Neubau von Wohnungen massiv behindert. Genauso wären energetische Sanierungen und Modernisierungen von Wohnungen gefährdet.“
Als wichtigsten Hebel gegen Wohnungsknappheit sieht die Fraktion die Förderung privater Investitionen in den Wohnungsbau sowie der Eigentumsbildung. In dem Papier heißt es dazu: „Gerade im Zusammenhang mit der Schaffung neuen Wohnraums ist die Wiedereinführung einer gezielten Eigenheimzulage, zum Beispiel für Familien mit Kindern, denkbar. (...) Mit zinsverbilligten Krediten unterstützen wir vor allem selbstnutzende Eigentümer, vor allem also Familien, aber auch den Bau von Mietwohnungen. Die stetig steigende Eigentumsquote ist eine gute Nachricht. Fast die Hälfte aller Deutschen wohnt bereits in der eigenen Immobilie. Das ist eine positive Entwicklung, weil Eigentumsbildung eine gute Altersvorsorge ist.“ Eine „möglichst niedrige Grunderwerbsteuer“ soll einen Anreiz bilden, „Wohneigentum zu erwerben und zu schaffen“. Gering verdienenden Mieter/innen wird versprochen, das Wohngeld zu reformieren: „Wir wollen die Leistungshöhe und die Miethöchstbeträge an die Entwicklung der Bestandsmieten anpassen. Damit sichern wir für mehr Menschen mit geringen Einkommen ein gutes Wohnen.“
FDP: Keine Eingriffe in den Wohnungsmarkt
Klare marktradikale Kante zeigt die FDP in ihrem Wahlprogramm („Damit Deutschland stark bleibt“). Dort heißt es: „Weitere regulierende Eingriffe in den Wohnungsmarkt, wie Mietpreisdeckelungen und Sanierungsverbote, lehnen wir entschieden ab. Sie machen den Wohnungsmarkt noch unflexibler, erschweren den Ausgleich von Angebot und Nachfrage über den Marktpreis, verringern die für Neubau und Sanierungen notwendigen Mittel und tragen so zusätzlich zur Wohnungsverknappung in dicht besiedelten Gebieten bei. (...) Für ein nachfragegerechtes Wohnraumangebot muss der Neubau von Wohnungen gerade in wachsenden Städten attraktiv sein. Dazu muss sich die Vermietung von Wohnungen auch rechnen.“
Damit setzen die Liberalen ebenso wie die CDU/CSU auf Wohnungsneubau durch private Investoren und die Förderung des Eigenheims. Denn das Eigenheim sei „ein wichtiger Beitrag zur Altersvorsorge und der beste Schutz vor steigenden Mieten“. Durch Eigenkapitalersatzdarlehen und andere Finanzierungshilfen sollen dabei auch „Modelle der Eigenheimförderung wie genossenschaftliches Wohnen, Eigenheimrente (‚Wohn-Riester’) und Bauherrengemeinschaften“ unterstützt werden. Öffentlich finanzierten Neubau von Mietwohnungen mit gedeckelten Mieten lehnt die Partei dagegen ab: „Wir Liberale bevorzugen hierbei die wesentlich flexiblere Subjektförderung, die sich im Gegensatz zur Objektförderung individuell an der aktuellen Familien- und Einkommenssituation des Mieters orientiert und nicht starr an eine Immobilie gebunden ist.“ Also das alte Spiel: Erst unterstützt der Staat die privaten Investoren durch steuerliche Förderung und subventioniert anschließend deren Renditen durch Wohngeld für Mieter/innen.
SPD: Ein bisschen begrenzen, ein bisschen fördern
Der Schwenk der CDU macht es den Oppositionsparteien schwerer, sich als soziale Alternative für Mieter/innen darzustellen Die SPD warnt in ihrem Wahlprogramm („Das Wir entscheidet“) vor der „sozialen Spaltung der Städte“, wenn untere und mittlere Einkommensgruppen in den Innenstädten keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden und aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Unter der Überschrift „Aktionsprogramm für eine solidarische Stadt und bezahlbares Wohnen” wird unter anderem eine Begrenzung der Mieterhöhungen bei Neumietverträgen auf einen Wert von maximal 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete angekündigt. Erstvermietungen von neu gebauten Wohnungen sollen von dieser Deckelung allerdings „grundsätzlich ausgenommen sein“. In anderen Punkten bleibt das Programm verschwommen. So heißt es beispielsweise: „Die Kosten für (energetische) Sanierungen dürfen nicht einseitig den Mieterinnen und Mietern aufgebürdet werden“. Außerdem wolle man „umgehend die Einschränkung von Mieterrechten rückgängig machen“. Das Aktionsprogramm will die SPD im Fall des Wahlsiegs nicht direkt umsetzen, sondern in einem „Bündnis“ mit Ländern, Kommunen, Mieter- und Sozialverbänden, Bau- und Wohnungswirtschaft sowie den Gewerkschaften „initiieren“. Konkretisierungen sucht man in dem Programm vergebens und so geht es ähnlich unverbindlich bei den Passagen zum Wohnungsneubau weiter. Ziel sei ein „zukunfts- und altersgerechter und zugleich bezahlbarer Wohnraum“. Dazu will man „kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen als Garanten für Mietsicherheit und sozial ausgewogene Nachbarschaften stärken“ und „gute Konzepte für bezahlbaren Wohnraum und eine lebendige Stadt unterstützen“. Das Wohngeld soll als „zielgenaues Instrument der sozialen Sicherung“ eingesetzt werden und dabei ist auch die Wiedereinführung des Heizkostenzuschusses vorgesehen. Das bedeutet, dass auch die SPD die Profite der Wohnungsbesitzer dauerhaft mit Steuermitteln sichern will, statt diese Gelder für den öffentlichen Wohnungsbau einzusetzen.
Die Grünen: Soziale Härten auffangen, aber nicht vermeiden
Im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen („Zeit für den grünen Wandel“) wird ebenfalls vor unzumutbaren Wohnkostenbelastungen für immer mehr Menschen in Großstädten und Ballungsräumen gewarnt. Wie die SPD will man die Neuvertragsmieten bei 10% über der Vergleichsmiete deckeln. Ferner wird eine Senkung der Modernisierungsumlage von derzeit 11 auf 9% pro Jahr angestrebt. Außerdem soll die Umlage nur noch bei energetischer Modernisierung sowie altersgerechtem Umbau möglich sein.
Doch ansonsten bleiben die Grünen eher vage und unverbindlich. Geplant ist, dass für die Kommunen durch eine Reform des Baugesetzes die Einführung von Mietobergrenzen und Umwandlungsverordnungen „erleichtert“ wird. Der soziale Wohnungsbau soll eine „eine Renaissance“ erleben. Man will „prüfen, ob gesetzliche Regelungen für eine neue gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft wieder sinnvoll sind“. Wohnungen im Eigentum der öffentlichen Hand dürfen nur noch „notfalls verkauft werden“ und dann vorrangig an „stadtteilorientierte“ Erwerber. Auch bei den Grünen soll das Wohngeld „als soziales Instrument gestärkt werden“, die Verhinderung von Obdachlosigkeit sei ein „wichtiges Ziel“. Bei energetischen Modernisierungen sollen „soziale Härten mit einem Klimazuschuss zum Wohngeld und einem Klimabonus bei den Kosten der Unterkunft aufgefangen werden“. Nach Maßnahmen zum umfassenden Schutz vor Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsteile aus begehrten Innenstadtlagen sucht man in dem Programm allerdings vergeblich, was angesichts der Klientel dieser Partei allerdings auch nicht verwunderlich ist.
Die Linke: Sozialer Wohnungsbau ohne Konzept
Dem Thema Wohnen widmet die Partei Die Linke in ihrem noch nicht verabschiedeten Entwurf für das Wahlprogramm („100% sozial“) ein Kapitel mit der Überschrift: „Für bezahlbare Mieten und sozialen Wohnungsbau: Spekulation mit Wohnraum stoppen“. Konstatiert wird die zunehmende Verdrängung von einkommensschwächeren Bevölkerungsteilen aus begehrten städtischen Quartieren. Die Partei fordert einen Rekommunalisierungsfonds als Bundesprogramm, damit die Gemeinden ehemals privatisierte Wohnungsbestände wieder erwerben können. Der soziale Wohnungsbau soll „wiederbelebt und neu ausgerichtet werden“ mit dem Schwerpunkt auf „öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau“. Privatinvestoren sollen zum „anteiligen Bau von Sozialwohnungen verpflichtet werden“ und Baugrundstücke öffentlicher Eigentümer „bevorzugt an dem Gemeinwohl verpflichtete Wohnungsunternehmen vergeben werden“. Konkreter wird es in Sachen Neubau nicht.
Die Linke will Kommunen ermächtigen, Zweckentfremdung von Wohnraum und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen auf dem Verordnungsweg zu verbieten. Modernisierungsumlagen sollen von 11 auf 5% der Kosten reduziert und nach 20 Jahren wieder zurückgenommen werden. Für energetische Modernisierungen verlangt die Partei Kostenneutralität, das heißt die Erhöhung der Kaltmiete darf nicht über dem Betrag liegen, der beim Wärmeverbrauch eingespart werden kann. Für Menschen, die Transferleistungen erhalten oder ein geringes Einkommen erzielen, wird ein bis auf den Ausschluss von „Zwangsumzügen“ nicht weiter konkretisierter „Schutz vor Verdrängung“ gefordert. Die Übernahme von Kosten der Unterkunft durch die Jobcenter sollen den Mieten entsprechen, die in einfachen und mittleren Wohnlagen laut Mietspiegel verlangt werden. Das heißt im Umkehrschluss allerdings, dass man die Verdrängung von Hartz-IV-Beziehenden aus guten Wohnlagen mit entsprechend höheren Mieten durchaus in Kauf zu nehmen bereit ist.
Widersprüchlich sind in dem Entwurf bislang die Aussagen zur Mietpreisbegrenzung. So kritisiert Ida Schillen, Mitglied des Parteivorstands, dass zwar im allgemeinen Teil des Papiers von „verbindlichen Mietobergrenzen“ die Rede sei, im eigentlichen Wohnungskapitel aber nicht mehr. Dort werde „auf das bestehende System der Vergleichsmieten laut Mietspiegel rekurriert, das mitnichten niedrige Mieten sichert, sondern bei dem die Preisschraube stetig nach oben dreht“, so Schillen. „Höchst befremdlich“ für eine linke Partei sei auch, „dass völlig unhinterfragt Subventionsgeschenke für Immobilienkonzerne in Form von massenhaftem sozialem Wohnungsneubau gefordert werden, ohne eine Koppelung mit dauerhafter Preisbindung für niedrige Mieten festzulegen“. Das endgültige Wahlprogramm soll Mitte Juni auf einem Bundesparteitag der Linken verabschiedet werden.
Fazit
Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass keine der bisher im Bundestag vertretenen Parteien ein durchgreifendes Konzept zur wirksamen Beschränkung der Mieten vorgelegt hat. Natürlich gibt es Unterschiede: CDU, CSU und FDP setzen fast ausschließlich auf Eigentumsförderung, Mietpreisbildung durch den „freien Markt“, stimulierende Elemente für renditeorientierten privaten Wohnungsbau und zusätzliche Vermietersubventionen durch „angepasstes“ Wohngeld. SPD und Grüne wollen zwar den Anstieg von Neuvertragsmieten begrenzen, lassen aber etliche Schlupflöcher, beispielsweise für Neubauten und Modernisierungsumlagen. Auch ist keine Orientierung auf ausschließlich gemeinwohlorientierten, öffentlich finanzierten Wohnungsbau mit gedeckelten Mieten zu erkennen. Die Partei Die Linke hat einige richtige Forderungen aufgestellt, setzt teilweise aber ebenfalls auf „marktwirtschaftliche Elemente“ und scheut sich offenbar, verbindliche Mietobergrenzen in den Mittelpunkt zu stellen. Allen Parteien gemeinsam ist, dass sie die Verdrängung von Geringverdiener/innen und besonders von Transferleistungsbeziehenden aus begehrten Wohnlagen mehr oder weniger billigend in Kauf nehmen.