MieterEcho online 02.02.2016
Die Genossenschaft Möckernkiez in Berlin-Kreuzberg: Ein Modellprojekt steht auf der Kippe
Die Genossenschaft Möckernkiez möchte auf dem Berliner Gleisdreieckgelände „ein einzigartiges Modellprojekt verwirklichen: Eine gemeinschaftliche und Generationen verbindende Wohnanlage, die ökologisch, nachhaltig, barrierefrei und sozial ist.“ Wie weit das noch gelingen kann, ist fraglich.
Von Elisabeth Voß
Die Idee wurde 2007 aus der Kreuzberger SPD heraus entwickelt. Im Herbst warb der Sozialdemokrat Ulrich Haneke mit der von ihm gegründeten Initiative Möckernkiez erstmals auf einem Straßenfest für die Beteiligung an einem gemeinschaftliches Wohnprojekt, mit dem Slogan „Anonyme Investoren oder WIR?“ Das fiel auf fruchtbaren Boden. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beauftragte im März 2008 mit den Stimmen aller Parteien das Bezirksamt, sich für das Modellprojekt einzusetzen. Kurz darauf wurde der gemeinnützige Verein Möckernkiez gegründet, um „sozialen Zusammenhalt und Engagement im Kiez rund um den Gleisdreieck-Park nachbarschaftlich zu fördern“.
An Versammlungen, Diskussionsrunden und Planungswerkstätten beteiligten sich hunderte Menschen, und am 17. Mai 2009 wurde die Möckernkiez Genossenschaft gegründet, um ein ganzes Stadtquartier zu bauen. Im Sommer 2010 erwarb die Genossenschaft für etwa 8 Millionen Euro aus eigenen Mitteln ein 3 Hektar großes Baufeld in bester Kreuzberger Lage auf dem Gleisdreieckgelände. Dort soll mit 464 Wohnungen und 20 Gewerbeeinheiten, einer Kita und einem Hotel, Berlins größtes Passivhaus-Projekt entstehen.
Dass hohe ökologische Ansprüche und durchgängige Barrierefreiheit nicht für kleines Geld zu haben sind, ist bereits frühzeitig klar. Die Genossenschaft muss das erforderliche Eigenkapital durch Einlagen ihrer Mitglieder aufbringen, um einen Bankkredit beantragen zu können. Anfangs wurde optimistisch mit 2.000 Euro Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche gerechnet, und einer Eigenkapitalfinanzierung von 30 Prozent. Im Dezember 2012 wurde beides nach oben korrigiert, so dass sich die Mitglieder pro Quadratmeter Wohnfläche mit einer Einlage von 920 Euro beteiligen müssen. Der Traum von gemeinschaftlichem Wohnen, mitten in der Stadt und direkt am Park, wurde mit einem monatlichen Nutzungsentgelt von – je nach Lage – etwa 7 bis 11 Euro nettokalt kalkuliert. Durch einige Freundeskreise und politische Initiativen ging ein Riss, wenn sich die einen in die Genossenschaft einkaufen konnten, andere draußen bleiben mussten. Manche hofften auf die sozialen Ansprüche, denn anfangs war geplant, auch weniger gut Betuchte einzubeziehen.
Ein Vorzeigeprojekt?
Die Genossenschaft Möckernkiez bekam von Anfang an große Aufmerksamkeit und politische Unterstützung, aber auch Kritik. Jahrelang hatte sich die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck dagegen gewehrt, dass der Park bebaut wird. Gemeinsam mit anderen Kreuzberger Initiativen forderte sie im Sommer 2011 von Bezirksamt und BVV unter anderem eine Bürgerbeteiligung, weniger Versiegelung und geringere Bebauungsdichte – erfolglos. Das genossenschaftliche Bauprojekt war politisch gewollt.
Im Rahmen des Forschungsprojekts ExWost des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wurde die Möckernkiez eG – allein aufgrund ihrer Konzeptpapiere, ohne dass ein Spatenstich getan war – als modellhaftes Klimaschutzprojekt beforscht und 2012 präsentiert. Auch dem Forschungsprojekt “Die Solidarische Stadt. Genossenschaftliche Handlungsmöglichkeiten in Zeiten des Klimawandels” der TU Berlin galt Möckernkiez als eins von sechs Modellprojekten. Beim „Genossenschaftlichen Neubauwettbewerb 2012: Bezahlbarer Wohnraum für Berlin“ des Berliner Senats gewann die Möckernkiez Genossenschaft einen von neun Preisen. Die Förderprämie von bis zu 1,5 Millionen Euro sollte es ermöglichen, dass auch Mitglieder mit weniger Geld einziehen können. In der Broschüre zum Wettbewerb versichert Michael Müller – heute Regierender Bürgermeister, damals Bausenator – dass Senat und Bezirke die Preisträger bei der Verwirklichung ihrer Projekte unterstützen würden „soweit dies in ihren Zuständigkeiten und Möglichkeiten liegt“.
All dies schuf zusätzliches Vertrauen, und so hatte die Genossenschaft schon Ende 2012 fast 1.000 Mitglieder, die Genossenschaftseinlagen von 15 Millionen Euro eingezahlt hatten. Viele von ihnen engagierten sich in Arbeitsgruppen und Planungsprozessen. Doch während konzeptionell vieles bewegt wurde, kamen die Finanzierungsverhandlungen mit den Banken nicht voran. Trotzdem plante die Genossenschaft bereits weitere Bauvorhaben. So bewarb sie sich im Frühjahr 2012 gemeinsam mit der SelbstBau eG als „Initiative für ein genossenschaftliches Wohnquartier am Mauerpark“ bei Senat und Bezirksamt – während Bürger*innen-Initiativen sich für den Erhalt des Mauerparks einsetzten. Noch im gleichen Jahr gründete sie mit der Biomarkt-Kette LPG eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts), die sich am Bieterverfahren der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) um das sogenannte Dragonerareal in Kreuzberg beteiligte. Die Privatisierung dieses öffentlichen Grundstücks war von Anfang an politisch umstritten (und konnte schlussendlich verhindert werden). Bei beiden Ausschreibungen kam die Möckernkiez eG nicht zum Zuge.
Einfach loslegen
In einer Broschüre der Genossenschaft lobte der bündnisgrüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz 2013 das Vorhaben in den höchsten Tönen, denn es sei „zu einem Modell (auch für Berlin) geworden, wie auch in größerer Dimension der genossenschaftliche Ansatz der Eigentumsbildung mit dem Konzept des zukünftigen sozialen Wohnens verbunden werden kann“. In der folgenden Selbstdarstellung hieß es, dank kostengünstigem Bauen leiste „das Projekt (ohne Frage) einen Beitrag zur Stabilisierung der Mietenentwicklung in Berlin.“ Aus dem Inneren der Genossenschaft war mitunter Kritisches zu hören. So fühlten sich einige Mitglieder in ihrem Engagement nicht wertgeschätzt, andere beklagten, ihre kritischen Nachfragen würden in autoritärem Ton zurückgewiesen. Manche Mitglieder störten sich am präsidialen Stil der Genossenschaftsversammlungen und daran, dass heikle Fragen dort nicht vom Vorstand direkt, sondern von einer Juristin beantwortet wurden.
Die meisten Mitglieder hatten jedoch Vertrauen zum Vorstand, und zweifelten auch nicht an seiner fachlichen Kompetenz. Neben dem Rentner Ulrich Haneke, der früher als IT-Fachmann tätig war, gehörten diesem die Restauratorin Claudia Boerger und die Diplom Politologin Aino Simon an. Der Vorstand bat die Mitglieder auf der Generalversammlung am 31. August 2013 um die Zustimmung, auch ohne gesicherte Bankenfinanzierung mit dem Bau zu beginnen – unter der Voraussetzung, dass grundsätzliche Finanzierungsbestätigungen der Banken vorliegen. Die Mitglieder stimmten dem zu. Im Dezember beschloss der Vorstand den Baubeginn der ersten vier Gebäude für Anfang 2014, nachdem er den Aufsichtsrat darüber informiert und dieser dem offensichtlich nichts entgegengesetzt hatte.
Zunehmend sind Mitglieder beunruhigt, denn mit der Finanzierung geht es nicht voran, obwohl neben teuren Beratungs- und Projektsteuerungspartnern letztlich sogar ein Kreditvermittler beauftragt wurde. Immer neue Kalkulationen zeigten, dass die Baukosten höher angesetzt werden müssen. Der Vorstand beschwichtigte, sprach von Fortschritten, und warb bei den Mitgliedern um weitere Einlagen, mit denen die zukünftigen Nutzungsentgelte individuell reduziert werden könnten. Als zusätzlicher Finanzierungsbaustein wurde der Verkauf von vier Häusern an die Baugenossenschaft von 1892 geplant, deren Vorstand Hans-Jürgen Hermann seit der Gründung auch Aufsichtsrat der Möckernkiez eG war. Es schien alles fertig verhandelt – dann platzte auch diese Möglichkeit der finanziellen Stabilisierung. Im Oktober 2014 musste die Baustelle stillgelegt werden, und verursacht seither etwa 45.000 Euro Kosten pro Monat.
Der Vorstand holte sich fachliche Unterstützung durch die Architektin Karoline Scharpf und den Betriebswirt Frank Nitzsche, die auf der Mitgliederversammlung am 13. Dezember 2014 auch in den Vorstand gewählt wurden. Gleichzeitig trat der Aufsichtsrat geschlossen zurück, da er sich vom Vorstand zu wenig informiert fühlte, um seiner Aufsichtsfunktion nachkommen zu können. Innerhalb des Vorstands gab es Konflikte. Der neu gewählte Aufsichtsrat mit dem Vorsitzenden Werner Landwehr, Leiter der Berliner GLS-Bank-Filiale, schlug auf der folgenden Versammlung am 24. Februar 2015 eine Satzungsänderung vor, wonach der Vorstand nicht mehr von den Mitgliedern gewählt, sondern vom Aufsichtsrat eingesetzt und auch abberufen werden kann. Nachdem die Mitglieder zugestimmt hatten, berief der Aufsichtsrat die drei alten Vorstandsmitglieder ab. Eine solche Entscheidung hätte die Mitgliederversammlung – wenn überhaupt – wohl nur nach schmerzhaften Diskussionen treffen können.
Wie weiter mit der Genossenschaft?
Forderungen einiger Mitglieder, einen Teil der Wohnungen in Eigentum umzuwandeln, werden bislang zurückgewiesen. Überlegungen, das Vorhaben an eine öffentliche Wohnungsgesellschaft zu übertragen, scheinen nicht realisierbar. Die Nutzungsentgelte werden nochmals um über 10 Prozent erhöht. Ein Mitglied klagt dagegen, dass ausscheidenden Mitgliedern anteilig der Verlust der Genossenschaft von ihrer Einlage abgezogen wird, während die Genossenschaftsanteile der verbleibenden Mitglieder nominell ihren Wert behalten. Sie ficht auch die Entlastung des alten Vorstands und Aufsichtsrates an, denn diese seien ihrer Sorgfaltspflicht mit dem Beschluss zum Baubeginn ohne Finanzierung nicht nachgekommen. Dies hatte auch der genossenschaftliche Prüfungsverband BBU (Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen) in seinem Prüfungsbericht bemängelt, und den Fortbestand der Genossenschaft als gefährdet eingeschätzt. Nach dem ersten Prozesstag vor dem Berliner Landgericht am 15. Januar 2016 ist die Klägerin optimistisch.
Die Genossenschaft hat die Vermittlung zwischen ausstiegswilligen und neu einsteigenden Mitgliedern, womit ein Ausstieg durch die Übertragung von Genossenschaftsanteilen ohne Abzüge möglich wäre, eingestellt. Ein Mitglied hat diese Aufgabe nun privat übernommen. Das Preisgeld aus dem Neubauwettbewerb des Senats, das nur als Darlehen gedacht war, kann die Genossenschaft nicht entgegennehmen, weil ihre Mieten zu hoch sind, und weil sie die geförderten Wohnungen nicht ausschließlich an Menschen mit Wohnberechtigungsschein vergeben möchte (ähnlich geht es auch einem Großteil der anderen Preisträger). Stattdessen werden Mitgliederdarlehen als „Bürgerkapital“ und ein Nachrangdarlehen eines privaten Investors eingeworben. An den baulichen Ansprüchen werden Abstriche gemacht, und ein Generalunternehmer beauftragt, die Siedlung zum Festpreis fertigzustellen – sofern die Finanzierung bis Ende März 2016 steht. Es bleibt zu hoffen, dass die Genossenschaft diesem Global Player gewachsen ist. Die etwa 1.400 Mitglieder haben über 30 Millionen Euro eingezahlt und warten nun darauf, dass es endlich eine Finanzierungszusage der Banken gibt und weitergebaut werden kann.
Zur Autorin:
Elisabeth Voß arbeitet als Publizistin und Betriebswirtin in Berlin zu Ideen und Praxen alternativer, genossenschaftlicher, sozialer und solidarischer Wirtschaftsweisen. 2015 hat sie den „Wegweiser Solidarische Ökonomie - ¡Anders Wirtschaften ist möglich!“ in einer 2. aktualisierten und wesentlich erweiterten Auflage verfasst. Sie kann sich für die vielen Keimformen anderen Wirtschaftens begeistern und schätzt gleichzeitig eine kritische Perspektive, gerade bei der Beschäftigung mit den Themen und Projekten, die ihr besonders am Herzen liegen.
www.elisabeth-voss.de
Kontakt: post@elisabeth-voss.de, Tel. 030 – 216 91 05