MieterEcho online 23.09.2016
Mieterräte – eine jetzt schon zweifelhafte Errungenschaft
Sie waren ein Entgegenkommen des Senats, um die Initiative für einen Mietenvolksentscheid aufzuhalten – doch bevor sie überhaupt in der Welt sind, sorgen sie schon für mächtig Negativschlagzeilen: die Mieterräte. Kiezbezogene Mieterbeiräte gibt es bei den städtischen Wohnungsfirmen schon. Die nun per Gesetz beschlossenen neuen Mieterräte sind aber deutlich höher angesiedelt: Jedes städtische Unternehmen muss seinem Mieterrat geplante Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen vorlegen und ein Mitglied sogar abstimmungsberechtigt in seinen Aufsichtsrat aufnehmen.
Von Juli bis September wurden aus fast 1000 Kandidierenden die 47 Mieterratsmitglieder gewählt, die nun fünf Jahre lang amtieren sollen. Je nach Unternehmen hat der Rat zwischen 5 und 11 Mitglieder – eines pro 5000 bis 8000 Wohnungen. 45000 der 300 000 betroffenen Haushalte haben an der Wahl teilgenommen, wie die Landeswohnungsfirmen am Donnerstag mitteilten. Das sind 16 Prozent, was die Firmen als hohen Wert bezeichnen. Die Wahlen sind gültig, wenn fünf Prozent der Berechtigten teilnehmen.
Skandalös sind aber die Umstände, unter denen gewählt wurde. Über 100 Menschen meldeten vergeblich eine Kandidatur an, wie schon Anfang August bekannt wurde. Einige von ihnen wurden aus nachvollziehbaren Gründen von den Wahlkommissionen abgelehnt, etwa weil sie nicht Hauptmieter waren. Andere Gründe sich nicht oder nur schwer nachvollziehbar: 41 Leute wurden wegen Mietschulden nicht zugelassen, 12 wegen „schwerwiegender Verstöße gegen das friedliche Miteinander“, wie der Senat auf Parlamentsanfragen mitteilte. 9 weitere scheiterten an der Hürde, sechs Monate in der betreffenden Wohnung gewohnt haben zu müssen.
Die Wahlkommissionen, die diese Entscheidungen trafen, sind mehrheitlich mit Mieterinnen und Mietern besetzt. Deshalb sagen Unternehmen und Senat, sie seien für die Ablehnungen nicht verantwortlich. Allerdings hielt die Berliner Zeitung www.berliner-zeitung.de/berlin/brisante-papiere-wohnungsunternehmen-sammeln-persoenliche-informationen-von-mietern-24518592 schon am 8. August fest: „Die Gesobau hat teilweise recht persönliche Informationen über Bewerber an die zuständige Wahlkommission weitergeleitet. In mehreren Fällen führte dies zum Entzug des passiven Wahlrechts.“ Die Betroffenen hätten zugestimmt, dass Informationen über sie an die Wahlkommission weitergereicht wurden.
Vermutlich hatten sie nicht erwartet, dass ihnen aus ihrer verschiedenartigen Kritik an der Vermieterin ein Strick gedreht werden würde. Denn hinter dem Vorwurf „schwerwiegender Verstöße gegen das friedliche Miteinander“ steckt das Abwehren von Leuten, die sich in der einen oder anderen Weise engagiert hatten. Von Gesobau und Degewo sind solche Fälle belegt.
Einer dieser Betroffenen ist Frank di Leo aus der Kreuzberger Waldemarstraße. In dem Ablehnungsschreiben der Degewo an ihn, das dem MieterEcho vorliegt, steht, „es liegen nachhaltige Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten sowie Verstöße gegen die Hausordnung vor“.
Di Leo erklärt das so: Als er in seine Erdgeschosswohnung einzog, habe er mit dem Hausmeister ausgemacht, dass er Hunde halten darf. Das sei jahrelang gutgegangen – aber letztes Jahr bestritt die Degewo die Existenz einer solchen Abmachung. Zudem schrieb sie, im Treppenhaus gebe es wegen der Hunde eine „Belästigung durch Gerüche“. Zweitens sei ihm vorgeworfen worden, dass er unerlaubt untervermiete, da ein weiterer Name auf seinem Briefkasten stand, berichtet di Leo. Auch hier sagt der Gescholtene, er habe dem Hausmeister längst gesagt gehabt, dass es sich dabei um seine minderjährige Tochter handele, die einen anderen Namen hat. Die Degewo will sich „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht zu der Sache äußern.
Doch damit nicht genug des Skandals. Als die „Berliner Zeitung“ kurz vor der Abgeordnetenhauswahl bei der Degewo eine Anfrage in Sachen Mieterräte stellte, passierte deren Pressesprecher ein peinlicher und folgenschwerer Fehler: Es sei „die Position“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass „kritische Berichte zur Mieterratswahl vor diesem Sonntag möglichst zu unterbinden“ seien, schrieb er per Email an die anderen städtischen Wohnungsunternehmen – und versehentlich auch an die „Berliner Zeitung“. Die machte das anderthalb Tage vor der Abgeordnetenhauswahl öffentlich, was den Pressesprecher den Posten kostete und die SPD vermutlich die eine oder andere Wahlstimme. Dass städtische Firmen einem Senator im Wahlkampf helfen wäre eine Vermischung von Öffentlichem Dienst und Parteienpolitik. Der Senat bestritt deshalb umgehend, dass der Sprecher der Stadtentwicklungsverwaltung dem Degewo-Sprecher eine entsprechende Ansage gemacht hätte.
Der Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbandes jedenfalls kritisierte www.djv.de/startseite/service/blogs-und-intranet/djv-blog/detail/article/verplappert-oder-geirrt.html diese Entlassung und legte nahe, dass die schnelle Strafe doch für einen tieferen Grund spricht.
Ralf Hutter