2011 wurde die damals ziemlich heruntergekommene Markthalle in der Kreuzberger Eisenbahnstraße von der städtischen Berliner Großmarkt GmbH privatisiert. Statt die Immobilie zum Höchstpreis zu verkaufen, vergab der Liegenschaftsfonds sie im Rahmen eines Konzeptverfahrens zum Festpreis von 1,15 Millionen Euro an Florian Niedermeier, Bernd Maier und Nikolaus Driessen. Zu dritt betreiben diese seither die „Markthalle Neun“. Seitdem hat sich der Bodenrichtwert dort verzehnfacht.
Die Erwerber hatten sich mit einem Konzept beworben, das eine Wiederbelebung mit kleinteilig vermieteten Marktständen vorsah. Damals gab es aus der Nachbarschaft Unterstützung für das Projekt. Allerdings haben sich die Hoffnungen auf einen Wochenmarkt nicht erfüllt. Der findet nur freitags und samstags statt, an den anderen Tagen sind die meisten Stände leer. Stattdessen entstand eine touristische Event-Location, „einer der ambitioniertesten Kulinarik-Treffpunkte der Stadt“ wie der Tourismusführer Lonely Planet schreibt. Konkret bedeutet das hochpreisige Veranstaltungen, einen Naschmarkt, und donnerstags den „Street Food Thursday“.
Seit die Betreiber auch noch dem in der Markthalle ansässigen Aldi-Supermarkt gekündigt haben, gibt es Streit und regelmäßige Proteste von Nachbarschaftsinitiativen. Anstelle von Aldi soll ein dm-Drogeriemarkt des Anthroposophen und Milliardärs Götz Werner einziehen – „eine konzeptionelle Entscheidung“, wie die Betreiber betonen. Nachbar*innen setzen sich für den Verbleib von Aldi ein, oder für ein anderes, ebenso preiswertes Geschäft für den täglichen Bedarf. Denn die Delikatessen an den Marktständen, wie „kuratierten Käse“ oder Fleisch von „glücklichen Tieren“ können sie sich nicht leisten.
Dabei geht es nicht vorrangig um Aldi, dessen günstige Preise durch Ausbeutung und Umweltzerstörung zustande kommen, sondern um eine wohnortnahe, bezahlbare Einkaufsmöglichkeit. Die Initiative Kiezmarkthalle betont: „Es ist einfach traurig gegen umweltbewusste Lebensmittelerzeugung protestieren zu müssen. Ihr Kern ist ja großartig. Nur bitte nicht auf Kosten eines ganzen Viertels! Bio darf nicht gegen Sozial ausgespielt werden“.
LOHAS – besser als andere?
Die Markthalle Neun ist ein Ort der LOHAS – so werden diejenigen genannt, die sich einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ (Lebensstil von Gesundheit und Nachhaltigkeit) leisten können, dies zur Schau stellen und sich damit von anderen abheben, oft auch für etwas Besseres halten. Andere aus der Nachbarschaft haben das Gefühl, in der Markthalle Neun nicht erwünscht zu sein. Besonders deutlich wurde dies, als Anfang Dezember eine zweitägige Weinmesse zelebriert wurde. Für einen Tagespreis ab 40 Euro konnten die Besucher*innen eintauchen „in die faszinierende Welt der Naturweine“. Die Markthallenbetreiber versprachen „Aufrichtigkeit, Authentizität und offene Weingespräche“. Schon am ersten Adventssonntag protestierten Anwohner*innen gegen die „Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb dieser Markthalle Neun“. Wer am darauffolgenden Montag bei Aldi einkaufen wollte, musste durch einen mit metallenen Absperrgittern abgetrennten Gang direkt neben den Besucher*innen der Weinmesse zum Supermarkt gehen, überwacht von Securities.
Wer seinen Frieden gemacht hat mit den herrschenden Verhältnissen mag dies legitim finden. Als privatwirtschaftliches Unternehmen darf die Markthalle Neun formaljuristisch wohl so handeln. Wer sich jedoch den Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und ein Gespür für soziale Ungleichheit bewahrt hat, kann sich vielleicht in diejenigen einfühlen, die gezwungen sind, ihren Einkauf unter solch unwürdigen Bedingungen vorzunehmen. Was passiert in einer Gesellschaft, wenn sie sich an solche Bilder sozialer Spaltung gewöhnt?
Gentrifizierung und Zweckentfremdung von Wohnraum
Auch in den folgenden Tagen gingen die Proteste weiter. Am Abend des 5. Dezember führte ein Demonstrationszug von mehr als 100 Menschen rings um den Markthallen-Block, und bei einer Aktion am 7. Dezember verkündeten „Weihnachtsmann, Weihnachtsengel und Gentrifzierungs-Hai“ vor der Markthalle Neun, dass sie draußen bleiben müssen, weil sie nicht genug Geld haben.
Über die grundsätzliche Kritik an den Angeboten in der Markthalle hinaus leiden Anwohner*innen auch unter Müll und Verkehr durch den Markthallenbetrieb. Die Markthalle Neun ist Teil der Gentrifizierung und Touristifizierung des Kiezes. Auch innerhalb der Markthallen-Immobilie werden Wohnungen zweckentfremdet und als Gewerbe genutzt. Der Anordnung des Bezirksamts zur sofortigen „Wiederzuführung der Wohnungen zu Wohnzwecken“ kamen die Markthallen-Betreiber nicht nach, nun muss das Verwaltungsgericht entscheiden. „Das Bezirksamt geht davon aus, dass die Wohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt werden“ antwortete Bezirksstadtrat Knut Mildner-Spindler (Die Linke) auf eine mündliche Anfrage der Bezirksverordneten Sevim Aydin (SPD) in der BVV am 27. November.
Elisabeth Voß
Nachbarschaftsinitiative: https://kiezmarkthalle.noblogs.org
Abgetrennter Durchgang zu Aldi durch die Markthalle Neun am 2.12.2019.
(Foto: Anwohnergruppe Kiezmarkthalle) |