Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 25.6.2020

Ein Lob auf den Kreuzberger Widerstandsgeist

Ca. 200 Leute haben sich am 24. Juni ab 18 Uhr unter dem Motto „Volle Breitseite für Kisch und Co“ vor dem räumungsbedrohten Buchladen Oranienstraße zur Kundgebung und öffentlichen Buchvorstellung versammelt. Die Veranstaltung war der Auftakt von Stadtteilprotesten gegen einen in Kreuzberg seit Jahrzehnten bekannten linken Buchladen. Hier wird die Protestkultur sichtbar, die Jürgen Enkemann in seinen kürzlich im Verlag für Berlin-Brandenburg (VBB) erschienenen Bildband „als kreuzbergspezifischen Widerstandsgeist“ bezeichnet. Enkemann, der seit den frühen 1960er Jahren in Kreuzberg lebt und in verschiedenen Stadtteilinitiativen aktiv war, ist Leser/innen des MieterEcho als Autor bekannt. Er beendete seinen Bildband „Kreuzberg das andere Berlin“ mit einen optimistischen Ausblick. Auf der letzten Seite ist ein Transparent mit der Parole„Wir holen uns den Kiez zurück“ zu sehen, das 2019 aus den Fenstern einer Wohnung in der Großbeerenstraße hing. In den vorigen Kapiteln hat Enkemann kenntnisreich verschiedene Stadteilaktionen der letzten Jahre beschrieben und fotografisch dokumentiert. Neben Mieter/innenprotesten widmet sich der Autor auch der Unterstützung für Geflüchtete und der Gedenkpolitik im Stadtteil. Er beschreibt auch das spannungsreiche Verhältnis von  Stadtteilinitiativen und Politiker/innen. Dabei geht er bis in die Weimarer Republik zurück und erinnert an den von den Nazis vertriebenen linkssozialdemokratischen Bürgermeister Carl Herz, der von SPD und KPD gemeinsam gewählt wurde. Allerdings benannte er die Schwerpunkte im sozialen und gesundheitspolitischen Bereich, die Herz in Kreuzberg gesetzt hat, nicht genauer. Für die Nachkriegszeit führt Enkemann den Stadtrat für Jugend und Kultur Erwin Beck, ebenfalls ein linker Sozialdemokrat an, der im Dezember 1971 nach der Besetzung des Bethanien-Komplexes auf Verhandlungen setzte. Dass es in dieser Zeit in den besetzen Häusern immer wieder Razzien gegeben hat, interpretiert Enkemann als Versuch, der auch damals schon rechtslastigen Polizeiführung, den Kurs der Verständigung von Beck und anderen SPD-Politiker/innen zu torpedieren. Diese Sichtweise dürfte bei manchen der damaligen Aktivist/innen umstritten sein. Schließlich gab es dort eine starke Ablehnung jeder Parteipolitik. Allerding setzt auch Enkemann, wie schon am Cover des Bildbands erkennbar ist,  den Schwerpunkt auf den Widerstand im Stadtteil.

Erinnerung an die Kreuzberger Boheme der 1960er Jahre
Besonders interessant vor allem für jüngere Leser/innen dürften das Kapitel über die kulturelle Kreuzberger Boheme der 1960er Jahre sein. Enkemann erinnert an die Galerie Zinke, die in einen Hinterhof in der Oranienstraße 27 bereits in den frühen 1960er Straße auch in den Medien beachtete Ausstellungen organisierte. Am Beispiel der noch heute existierenden Künstlerkneipe „Kleine Weltlaterne“ in der Kohlfurter Straße zeigt Enkemann auch auf, wie die Kommerzialisierung der Kunst auch in Kreuzberg schon in den 1960er Jahre einsetzte. Enkemann Bildband sticht unter den vielen Kreuzberg-Büchern positiv hervor, weil er nicht einen Mythos bedient, sondern die Geschichte eines Stadtteils in Text und Bild kenntnisreich vermittelt.


Peter Nowak

 
Enkemann Jürgen, Kreuzberg das andere Berlin, Verlag für Berlin-Brandenburg, 240 Seiten, 25 Euro

 

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