MieterEcho online 27.08.2020
Proteste gegen „Kantine Zukunft“ in der Markthalle Neun
Am 26. August 2020 präsentierte der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt, gemeinsam mit der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, das Projekt „Kantine Zukunft“ an seinem Standort inder Markthalle Neun in der Kreuzberger Eisenbahnstraße.
Das Projekt ist eine wesentliche Säule der Berliner Ernährungsstratgie. Es soll Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung dabei beraten und begleiten, mehr biologische, regionale und saisonale Lebensmittel einzusetzen. Im Sinne der Ernährungssouveränität, einer Demokratisierung der Lebensmittelversorgung durch kleinbäuerliche Strukturen, ist das ein wichtiger Ansatz. So wie es vom Senat umgesetzt wird, wirft es jedoch viele Fragen auf.
Die Pressekonferenz in der Markthalle Neun war begleitet von lautstarken Protesten aus der Nachbarschaft. Anwohner*innen sind empört, dass die Entscheidung für den Standort über ihre Köpfe hinweg getroffen wurde. Sie protestieren seit mehr als eineinhalb Jahren dagegen. dass sich die Markthalle zur Eventlocation für Besserverdienende und Tourist*innen entwickelt hat (MieterEcho online, 09.12.2019). Sie kritisieren: „Kreuzberg braucht dieses gut geförderte Food-Projekt nicht in der Markthalle Neun“ und fordern „eine Kiezmarkthalle für alle, die einen vollen Lebensmittel-Markt mit einer täglichen, für alle bezahlbaren Lebensmittelnahversorgung in ihrer Halle führt und an der alle Menschen hier im Kiez Teilhabe haben können“.
Privater Betreiber für Ernährungswende-Projekt
Die Kantine Zukunft wurde von ihrem Leiter Philipp Stierand und dem Koch Patrick Wodni vorgestellt. Der Berliner Ernährungsrat hatte schon am Ausschreibungsverfahren für das Projekt kritisiert, dass ein privater Betreiber gesucht wurde, statt es gemeinsam mit den Ernährungsakteurender Stadt zu entwickeln. Der Dortmunder Unternehmer Stierand hatte im Mai 2018 für den Senat eine Studie zur Gemeinschaftsverpflegung in Berlin vorgelegt und anschließend das Konzeptverfahren gewonnen.
Nun zieht er mit seinem Büro ins erste Obergeschoss der Markthalle, die Lehrküche wird im Erdgeschoss eingerichtet. Bis vor kurzem gab es dort ein Gemüsegeschäft. Dessen Betreiber wurde in die Markthalle umgesetzt und Monika Herrmann versicherte, für ihn sei dies vorteilhaft, weil seine Umsätze durch die bessere Sichtbarkeit in der Halle gestiegen seien.
Subventionen für ein angeschlagenes Projekt?
Die Kantine Zukunft wird voraussichtlich bis Ende 2023 pro Jahr mit etwa 1,2 Millionen Euro vom Senat gefördert. Davon geht ein erheblicher Teil als Miete an die Markthalle Neun: 21 Euro pro Quadratmeter für die Büros und 29 Euro für die Ladenräume. Ein Sanierungsprogramm für ein finanziell angeschlagenes Projekt, denn die Bilanz der Eigentümerin der Immobilie, der „Markthalle Neun Verwaltungs UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG“ weist für Ende 2018 eine Überschuldung um mehr als eine halbe Million Euro aus.
Aus der Nachbarschaft wird auch kritisiert, dass es zu dem von Bezirk und Marthallenbetreibern gemeinsam geleiteten Dialogverfahren zur Markthalle seit Februar 2020 keine Informationen mehr gibt. Die „Initiative Kiezmarkthalle“ hatte das Partizipationsverfahren als „Beteiligungs-Farce“ bezeichnet (MieterEcho online 20.01.2020). Dass ausgerechnet ein gut gelegener Laden in der Eisenbahnstraße nun nicht für die Nachbarschaft geöffnet, sondern stattdessen als private Kochschule ausgebaut wird, bestätigt diese Kritik.
Die Anwohner*innen-Initiative fordert, „dass die Kantine Zukunft Berlin sich vom Standort Markthalle Neun zurückzieht!“
Elisabeth Voß