MieterEcho online 29.06.2013
Innere Verdrängung
Wohnungsknappheit in Berlin: Überbelegung und schlechter werdende Wohnqualität bei steigenden Mieten. [Sigmar Gude]
Die Wohnungsknappheit wird noch länger anhalten und sich auf die gesamte Stadt, nicht nur auf die Innenstadt, auswirken. Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen werden nicht nur mit kontinuierlich steigenden Mietbelastungen, sondern auch zunehmend mit Überbelegung konfrontiert und innerhalb der Quartiere in die schlechten Bestände abgedrängt.
Die sozialen und ökonomischen Prozesse des Berliner Wohnungsmarkts werden von vielen Faktoren beeinflusst und eine genaue Betrachtung haben in der Vergangenheit gerade diejenigen versäumt, die um die Jahrtausendwende das „Ende der Wohnungsfrage“ konstatierten. Unter den Schlagworten „Wohnungsleerstand“, „entspannter Wohnungsmarkt“ und „Mietermarkt“ wurde ein zentrales sozialpolitisches Problem des vergangenen Jahrhunderts ad acta gelegt. Gegenteilige Analysen, die bei dem quantitativ entspannten Wohnungsmarkt Probleme im Marktsegment der preiswerten Wohnungen feststellten, wurden nicht ernst genommen. Die Politik wie auch die Öffentlichkeit waren an der Wohnungsversorgung praktisch nicht interessiert.
Die zuständige Senatsverwaltung und ihre Berater klammerten sich lange an das „Ende der Wohnungsfrage“, selbst dann noch, als in der Öffentlichkeit die Themen Mieten, Aufwertung und Verdrängung immer mehr Raum einnahmen.
Wohnungsknappheit in der ganzen Stadt, nicht nur in der Innenstadt
Die sich anschließende Phase, in der die Gentrifizierung eine große Rolle einnimmt, wird inzwischen von anderen, gravierenderen Prozessen überlagert, die die Entwicklung der „Wohnungsfrage“ in den nächsten Jahren bestimmen werden.
Zunächst beschränkten sich Gentrifizierungsprozesse auf bestimmte, angesagte Quartiere, die mittels aufwendiger Wohnungsmodernisierungen für eine einkommensstarke, kulturell homogene Bevölkerung frei gemacht wurden. Die ärmere Bevölkerung wurde in innerstädtische Problemgebiete und die Großsiedlungen am Stadtrand verdrängt.
Zentrale Merkmale der jetzt erreichten Phase sind eine anhaltende Zuwanderung, völlig unzureichende Neubauquoten und eine stadtweite quantitative Wohnungsknappheit, das heißt die Zahl der am Markt angebotenen Wohnungen reicht für die nachfragenden Haushalte insgesamt nicht mehr aus. Auch wenn die Folgen der Verdrängung in einigen – vor allem in der Innenstadt gelegenen – Quartieren besonders deutlich zutage treten, erfasst sie nun praktisch die ganze Stadt. Das liegt vor allem – und das ist für die zukünftige Entwicklung besonders wichtig – an der kontinuierlichen Verringerung des niedrigpreisigen Wohnungsangebots durch Modernisierungen und das Auslaufen von Bindungen ehemals geförderter Wohnungen. Ein deutliches Zeichen für diese Wohnungsverknappung ist die Tatsache, dass selbst in den Großsiedlungen, die laut einiger Einschätzungen alle aus der Innenstadt verdrängten Armen aufnehmen sollten, praktisch kein Leerstand mehr zu verzeichnen ist. Diese Entwicklung zeichnet sich bereits seit zwei Jahren ab. Die Eigentümer der Wohnungen in den Großsiedlungen, überwiegend städtische Wohnungsunternehmen, haben zudem erklärt, dass sie keineswegs jede frei werdende Wohnung an die jeweils ärmsten Bewerber/innen vermieten wollen. Vielmehr möchten sie eine sozialstrukturelle Mischung erhalten, indem sie auch Bewerber/innen akzeptieren, die mittlere Erwerbseinkommen haben und die Miete ohne Transferleistungen des Jobcenters zahlen können.
Besonders gravierend in der jetzigen Phase ist also, dass Mieter/innen mit niedrigen – oder auch knapp durchschnittlichen – Einkommen nicht mehr ohne Weiteres in andere Bezirke oder Quartiere ausweichen können, wenn sie eine neue, für sie bezahlbare Wohnung suchen müssen. Das gilt unabhängig davon, ob der Grund für die Wohnungssuche eine teure Modernisierung in der alten Wohnung, ein Zuzug nach Berlin oder eine Trennung oder anderes ist. Die Veränderung des Wohnungsmarkts wird sich daher weniger an bestimmten Wanderungsströmen abzeichnen, sondern an einer schnell wachsenden Mietbelastung, an Überbelegung und an der schlechten Wohnqualität in verlärmten oder dunklen Wohnlagen von Haushalten mit geringen Einkommen. Der Wohnungsmarkt ist inzwischen so eng, dass auch schlechte Lagen teuer, zumindest teurer als früher, zu vermieten sind.
Überbelegung, zunehmende Mietbelastung und schlechte Wohnqualität in dunklen und verlärmten Wohnungen
In der Untersuchung zu den Auswirkungen der Wohnungsaufwendungsverordnung hat Topos festgestellt, dass der Abstand zwischen den Mieten, den Hartz-IV-Beziehende zahlen, zu denen, die im Durchschnitt gezahlt werden, zwischen 2005 und 2012 kontinuierlich gesunken ist. Es gibt offensichtlich kaum noch Wohnungsangebote, die nur für Hartz-IV-Beziehende akzeptabel sind und daher deutlich billiger angeboten werden. Lag der Unterschied noch 2005 bei Neuvermietung bei ca. 0,30 Euro/qm, ist diese Differenz 2011 bei insgesamt deutlich höheren Mieten auf gut 0,10 Euro/qm gefallen.
Gleichzeitig hat diese Untersuchung gezeigt, dass die Überbelegung – wenn es weniger Zimmer als Haushaltsmitglieder gibt – unter Hartz-IV-Beziehenden groß ist. Über 40% der Mehrpersonenhaushalte mit Hartz-IV-Bezug leben bereits mit dieser Einschränkung. Auch die gravierende Überbelegung – mindestens zwei oder weniger als Haushaltsmitglieder – betrifft bereits fast ein Viertel der Haushalte ab drei Personen und damit besonders viele Haushalte mit Kindern. Insgesamt ist daher ein direkter Zusammenhang zwischen Überbelegung und hohen Mieten bei Haushalten mit geringen Einkommen festzustellen. Das gilt auch bei Haushalten ohne Transferbezug, denn in den letzten Jahren hat sich bei Haushalten mit prekärem Einkommen ebenfalls eine wachsende Mietbelastung gezeigt, weil die Mietsteigerungen deutlich über den Einkommenssteigerungen lagen. Warmmietbelastungen von 50% des Haushaltseinkommens sind inzwischen nicht mehr selten, sondern betreffen in Innenstadtwohngebieten bereits 10%. Zudem wohnen an lärmbelasteten Straßen deutlich einkommensschwächere Mieter als in ruhigeren, angrenzenden Quartieren, übrigens ohne, dass die Mieten deutlich niedriger wären. Das zeigt, dass arme Haushalte häufig nur zu solchen schlechten Wohnungen, die Einkommensstärkere nicht mehr akzeptieren, überhaupt Zugang haben.
Vorboten wohnungsnotähnlicher Verhältnisse?
Diese Verhältnisse, die bisher quantitativ noch nicht so stark ins Gewicht fallen, zeigen die zukünftige Entwicklung an, die immer mehr Haushalte betreffen wird, wenn ein knapper Markt für längere Zeit den Eigentümern Mietsteigerungsquoten ermöglicht, die über der Einkommensentwicklung liegen. Zunehmende Knappheit auf dem Berliner Wohnungsmarkt wird sich dann bei den Haushalten, die auf das untere Wohnungsmarktsegment angewiesen sind, so auswirken, dass es zu Überbelegung, kaum tragbarer Mietbelastung und Abdrängung in die schlechtesten Wohnungsbestände kommt. Diese „innere“ Verdrängung wird nur in Ausnahmefällen zu großräumigen Wanderungsprozessen führen, sondern dort stattfinden, wo die Armen bereits jetzt wohnen. Damit wird auch die Zahl der schweren Wohnungsnotfälle steigen, die es in der jüngeren Vergangenheit fast gar nicht mehr gegeben hat. Die Hoffnung mancher Wohnungsmarktstrategen, die zunehmende Knappheit hätte einen heilsamen – und auch ökologisch sinnvollen – Effekt auf den zu hohen Wohnflächenverbrauch, wird sich nicht erfüllen. Die Haushalte mit hohen Einkommen, beispielsweise selbstnutzende Wohnungseigentümer, werden wie in der Vergangenheit ihren Wohnkonsum erhöhen. Einschränken werden sich nur diejenigen am anderen Ende der Einkommensskala und damit die vorhandenen Tendenzen verschärfen.
Wenn wieder in stärkerem Maß Wohnungsneubau betrieben wird, kann dies im oberen und teilweise auch noch im mittleren Marktsegment zu einer gewissen Entlastung führen. Im unteren Marktsegment könnten sich sogenannte Sickereffekte jedoch erst dann bemerkbar machen, wenn deutlich mehr gebaut wird, als jetzt absehbar und geplant ist. Ohne entsprechende zusätzliche Förderung ist die Verhinderung einer zunehmenden Anspannung nicht zu erreichen.
Der Diplom-Soziologe Sigmar Gude verfügt über 25-jährige Berufspraxis im Bereich Stadtforschung und ist Gründungsmitglied des Büros Topos. Im Bereich Stadtforschung führt Topos regelmäßig Untersuchungen in Milieuschutz- und in Sanierungsgebieten sowie Analysen des Wohnungsmarkts durch.
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